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Jetzt, als sie ruhiger saß, machte sich eine wohltuende Entspannung in ihr breit, die rasch, aber fast ohne dass sie selbst es merkte, in eine bleierne Schwere überging, welche ihre Glieder und kurz darauf auch ihre Gedanken ergriff.

Obwohl es so ziemlich das Letzte gewesen war, womit sie selbst gerechnet hätte, musste sie wohl doch eingeschlafen sein, denn mit einem Mal fand sie sich in fast vollkommener Dunkelheit wieder. Der pochende Schmerz in ihrem Knie war zu einem dumpfen, zwar beständigen, aber eigentlich nur noch unangenehmen Druck geworden, und sie hatte Kopfschmerzen, die sich bis in ihren Nacken und die Schultern zogen; eine Folge der unnatürlichen, verspannten Haltung, in der sie sitzend an der Wand eingeschlafen war. Mühsam - und kein bisschen überrascht, plötzlich das Gefühl zu haben, als hätte sie eine Hand voll spitzer Dornen verschluckt, die nun mit aller Macht versuchten, sich durch ihren Nacken und die Schultern einen Weg nach außen zu bahnen - drehte sie den Kopf und sah wieder zu der Mauerlücke hoch.

Immerhin hatte sie jetzt Gewissheit. Das graue Zwielicht, das sie beobachtet hatte, war die Abenddämmerung gewesen, denn hinter dem Spalt war nun nichts mehr als Schwärze zu erkennen, allenfalls durchwoben von einem sachten, blassroten Hauch. Irgendwo dort draußen brannte ein Feuer.

Außerdem war jemand bei ihr gewesen, während sie geschlafen hatte, denn als sich Arri bewegte, stieß ihre Hand gegen eine hölzerne Schale; sie hörte ein schwappendes Geräusch, und kalte Nässe benetzte ihre Finger.

Umständlich und mit zusammengebissenen Zähnen, um nicht vor Schmerz wimmern zu müssen, setzte sie sich weiter auf und wartete darauf, dass sich ihre Augen an das veränderte Licht gewöhnten. Es war nicht so vollkommen dunkel hier drinnen, wie sie im allerersten Moment angenommen hatte. Schon bald konnte sie einen blassen, mattgrauen Schimmer erkennen, in dem die steinernen Wände das kaum vorhandene Licht reflektierten, das durch die Mauerlücke hereinfiel. Behutsam streckte sie die Hand aus, tastete über den Boden und fühlte feuchtes Holz. Obwohl alles in ihr danach schrie, die Schale zu packen und ihren Inhalt gierig herunterzustürzen - allein das Wissen, dass es Wasser in ihrer Nähe gab, fachte ihren Durst zu nie gekannter Wut an -, zwang sie sich, die Schale mit beiden Händen und sehr vorsichtig zu ergreifen, um sie noch vorsichtiger an die Lippen zu heben, damit sie auch ja keinen Tropfen der kostbaren Flüssigkeit verschüttete, und begann zu trinken.

Das Wasser war eiskalt und schmeckte so köstlich, wie es wohl sonst nur der kostbare Wein aus ihrer Heimat tun konnte, von dem ihre Mutter ihr so oft vorgeschwärmt hatte, ohne dass Arri ihn jemals hätte kosten können oder auch nur genau gewusst hätte, was Wein überhaupt war. Obwohl ihre Lippen so ausgetrocknet und rissig waren, dass die ersten Tropfen, mit denen sie sie benetzte, wirklich wehtaten, so gewann ihre Gier doch nach dem ersten, noch vorsichtigen Schluck endgültig die Oberhand. Mit einem einzigen Zug leerte sie die Schale, ließ dann erschöpft und mit einem dankbaren Seufzen ihren Hinterkopf wieder gegen den rauen Stein sinken und saß einen Moment lang einfach nur so da und genoss das Gefühl, nicht mehr vor Durst schier den Verstand verlieren zu müssen. Sie war tatsächlich noch immer durstig; die wenigen Schlucke hatten keinesfalls ausgereicht, ihrem Körper die Menge an Flüssigkeit zurückzugeben, die sie in den vergangenen anderthalb Tagen verloren hatte. Aber immerhin hatte man ihr zu trinken gebracht, was bedeutete, dass ihre Wärter zumindest nicht vorhatten, sie verdursten zu lassen.

Wenn man ihr Wasser gebracht hatte, dann vielleicht auch etwas zu essen?

Arri ließ die Schale sinken, drehte sich halb um und tastete mit den Händen ein zweites Mal den Platz um sich ab. Das wenige Licht, das durch die schmale Öffnung hereindrang, reichte nicht aus, um auf dem Boden, auf dem unzählige Füße vielleicht hundert Jahre lang ihre Spuren hinterlassen hatten, mehr als Schwärze zu erkennen. Doch schon stießen ihre Finger erneut auf Widerstand. Sie griff zu, fand eine zweite, größere und schwerere Schale und als sie mit den Fingern hineingriff, spürte sie, dass sie mit einem klebrigen, kalten Brei gefüllt war.

Diesmal versuchte sie gar nicht erst, gegen ihre Gier anzukämpfen, sondern hob die Schale mit einer zitternden Hand ans Gesicht und schaufelte sich den Inhalt mit den Fingern der anderen Hand in den Mund. Sie wusste nicht, was sie da aß - irgendeine Art von kaltem Brei, der so gut wie geschmacklos war - und es war ihr auch vollkommen egal. Es war Nahrung, und das allein zählte. In diesem Moment hätte sie ihren Magen auch mit Blättern oder Gras gefüllt, hätte sie eines von beidem gehabt.

Etwas raschelte, und auf der anderen Seite der kleinen Kammer bewegte sich ein Schatten, den sie bisher noch gar nicht bemerkt hatte.

»Wer... wer ist da?«, fragte Arri erschrocken. Ihr Herz fing an zu pochen.

Der Schatten bewegte sich erneut, blieb aber ohne klare Form oder Umrisse. »Du solltest nicht so hastig essen«, erklang Rahns Stimme. »Sonst wird dir am Ende noch schlecht, und es wäre schade um das gute Essen. Ich meine, wer weiß, wann du wieder etwas bekommst? Es war gar nicht so leicht, sich an den Wachen vorbeizuschleichen.«

Langsam ließ Arri die Schale sinken. »Rahn?«, fragte sie, während sie vergeblich versuchte, die Schwärze auf der anderen Seite des Raumes mit Blicken zu durchdringen. »Bist du das?«

Diesmal bestand die Antwort aus einem kehligen Lachen, und wieder bewegte sich der Schatten. »Weißt du noch jemanden hier in Goseg, der dir wohlgesonnen genug ist, um dir Wasser und etwas zu essen zu bringen?«

Arri blinzelte. Ihre Finger waren noch immer voller Brei, der nun auf ihren Rock zu tropfen drohte. Hastig wischte sie sie am Rand der Schale ab. »Du hast mir das Essen gebracht?«

Rahns Stimme klang belustigt, auch wenn sie glaubte, einen leicht enttäuschten Unterton darin zu vernehmen. »Nun Überschlag dich nicht gleich. Ein einfaches Danke reicht vollkommen.«

»Danke«, sagte Arri. Bevor sie weitersprach, leckte sie die Finger der Linken sorgfältig ab, um nichts von der kostbaren Nahrung zu verschwenden, und bedauerte es zugleich, das Wasser so gierig heruntergeschluckt zu haben. Was immer sie gerade gegessen hatte, es verklebte ihre Zähne und ihren Gaumen wie Honig. »Warum?«

»Stell dir vor, weil ich mir eingebildet habe, du könntest hungrig sein«, antwortete Rahn. Sie hörte, wie er eine hastige Geste machte, um ihr das Wort abzuschneiden, als sie antworten wollte. Sehen konnte sie es nicht. Rahn blieb eine Stimme ohne Körper.

»Sprich bitte nicht so laut. Wenn die Wachen hören, dass jemand hier ist, dann schauen sie nach.«

»Und du bekommst Ärger?«

Sie konnte Rahns Achselzucken hören. »Zumindest bekomme ich keine Gelegenheit mehr, dir noch einmal etwas zu essen zu bringen. Wenn du also gern hungerst...«

»Ich bin sowieso zu dick«, antwortete Arri patzig. »Das gute Leben ohne Hunger, welches das Dorf meiner Mutter verdankt, weißt du?«