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Rahn machte sich nicht die Mühe, überhaupt zu antworten, und Arri kamen ihre eigenen Worte nicht nur albern und überflüssig vor, sie fragte sich auch - vergebens -, warum sie das überhaupt gesagt hatte; und vor allem erschreckte sie der unbeherrschte Ton, der plötzlich in ihrer Stimme war. Dass sie Rahn überhaupt erst bemerkt hatte, als er sich freiwillig zu erkennen gegeben hatte, sagte ihr nicht nur eine Menge über ihren eigenen Zustand, sondern machte sie auch wütend, und dass diese Wut zum Großteil ihr selbst galt, machte es allenfalls schlimmer.

»Und jetzt erwartest du, dass ich dir vor lauter Dankbarkeit um den Hals falle, wie?«, fragte sie herausfordernd.

»Nur, wenn ich vorher deine Hände sehen kann«, antwortete Rahn, »um mich davon zu überzeugen, dass du kein Messer darin hast, um mir die Kehle durchzuschneiden.«

»Nur keine Sorge«, erwiderte Arri boshaft. »Anderen hinterrücks ein Messer an die Kehle zu setzen überlasse ich dir. Du hast schließlich mehr Übung darin.«

Sie bedauerte die Worte schon, bevor sie ganz über ihre Lippen gekommen waren. Nicht, weil sie Rahn nicht verletzen wollte - ganz gewiss nicht -, aber ganz gleich, ob er sich nun darüber ärgerte (was sie inständig hoffte) oder auch nicht: Mehr als alles andere mussten ihm ihre Worte ihre Schwäche klarmachen. Dabei hatte sie sich fest vorgenommen, sich nicht herausfordern zu lassen, auch und schon gar nicht von Rahn.

Der Fischer antwortete erst nach einer Weile - und vollkommen anders, als sie erwartet hatte. »Es tut mir Leid, wenn ich dir wehgetan habe«, sagte er ernst. »Das wollte ich nicht. Aber es war die einzige Möglichkeit.«

»Wofür?«, fragte Arri böse. »Mich ein bisschen zu begrabschen?«

»Dir das Leben zu retten«, antwortete Rahn.

»Ja, sicher«, erwiderte Arri höhnisch. »Wenn das deine Art ist, jemandem das Leben zu retten, dann kann ich ja wirklich froh sein, dass du nicht mein Feind bist, wie?« Allmählich verspürte sie das Bedürfnis, sich selbst zu ohrfeigen. Warum hielt sie nicht einfach den Mund? Auf dem Weg hierher, und nachdem ihre erste Wut verraucht war, war sie zu dem Entschluss gekommen, gar nichts mehr zu sagen, bis dieser Albtraum - so oder so - vorüber war, und auch keinerlei Fragen zu beantworten (es sei denn, man zwang sie dazu), was sicherlich ein sehr kluges Vorhaben war. Nun aber schien plötzlich jede Vernunft dahin. Sie wollte einfach um sich schlagen und jemandem wehtun. Am allerliebsten natürlich Sarn und noch lieber Nor, aber wenn gerade keiner der beiden bei der Hand war, tat es Rahn zur Not auch.

Vielleicht, um nicht noch mehr zu sagen, was ihr später wieder Leid täte (und um ehrlich zu sein, weil sie immer noch verdammt hungrig war), hob sie die Schale und fuhr fort, den Rest des klebrigen Zeugs in sich hineinzuschaufeln. Was sie nicht daran hinderte, mit vollem Mund und nahezu unverständlich fortzufahren: »Stopfst du alle deine Freunde in einen Sack und zwingst sie, tagelang mit einem gebrochenen Bein zu marschieren?«

»Sarn war sehr wütend darüber«, sagte Rahn.

»Worüber? Dass du mir nicht auch noch die Füße zusammengebunden und mich wie ein erlegtes Schwein hinter dir hergeschleppt hast?«

»Er hatte mir aufgetragen, dich zu töten«, antwortete Rahn. »Es war nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, dass du lebend wertvoller für uns bist, solange deine Mutter noch am Leben oder zumindest in Freiheit ist. Sein Befehl lautete, dich zu töten, sobald wir deiner habhaft werden.«

Diesmal stopfte sich Arri so viel von dem klebrigen Zeug in den Mund, dass sie fast glaubte, daran ersticken zu müssen, nur damit sie auf gar keinen Fall antworten konnte. Das Schlimme war, dass sie Rahn glaubte, obwohl sie sich mit aller Kraft dagegen sträubte, und sie hätte in diesem Moment lieber ihre eigene Zunge verschluckt, bevor sie das zugab.

»Und um deine nächste Frage gleich zu beantworten«, fuhr Rahn fort, nachdem er offensichtlich eingesehen hatte, dass er keine Antwort mehr bekommen würde, »bisher ist es Nors Kriegern noch nicht gelungen, Lea einzufangen. Und ich bin auch ziemlich sicher, dass sie noch lebt.«

»Warum?«, fragte Arri gegen ihren Willen und schalt sich im gleichen Atemzug eine Närrin. Was für eine Frage! Selbstverständlich war ihre Mutter noch am Leben, schon weil sie eben ihre Mutter war und somit gar nicht sterben konnte, weil Mütter grundsätzlich unsterblich waren.

Arri hörte für einen Moment auf zu kauen. Was waren das für unsinnige Gedanken? Stirnrunzelnd musterte sie die fast geleerte Schale in ihrer Hand. Ob Rahn ihr etwas ins Essen gemischt hatte, das ihre Gedanken verwirrte?

Nein, entschied sie. So schlau war Rahn nicht.

Aber vielleicht ein anderer, der ihn geschickt hatte...

Trotzdem aß sie nach kurzem Zögern weiter. Vergiftet oder nicht, sie würde sowieso verhungern, wenn sie nichts aß, und es war letzten Endes egal, was sie umbrachte. Rahn lachte, als hätte er ihre Gedanken erraten und fände sie genauso kindisch wie sie selbst. »Weil ich es Nors Kriegern nicht zutraue, deine Mutter zu finden, wenn sie selbst es nicht will. Jedenfalls hoffe ich es, um ihretwillen. Außerdem ist deine Mutter viel zu stur, um zu sterben, so lange du nicht in Sicherheit bist. Du kennst sie.«

»Das habe ich nicht gemeint«, antwortete Arri. »Warum hast du mich nicht getötet, wenn Sarn es dir doch angeblich befohlen hat? Du tust doch sonst alles, was er von dir verlangt.« Das war schlichtweg nicht wahr, wie sie beide wussten. Außerdem überzeugte die Feindseligkeit in ihrer Stimme mittlerweile nicht einmal mehr sie selbst.

»Ich kann dich verstehen«, fuhr Rahn fort. »Ich an deiner Stelle würde mir wahrscheinlich genauso wenig trauen. Aber das solltest du. Ich bin nämlich der Einzige, der noch auf deiner Seite steht.«

»Sicher«, antwortete Arri spöttisch. »Deshalb hast du uns auch an Sarn verraten, nicht wahr? Oder hat er über Nacht das Spurenlesen gelernt?«

»Er nicht«, antwortete Rahn, so ruhig und unaufgeregt, als hätte er ganz genau diese Frage erwartet und sich die Antwort sorgsam zurechtgelegt. »Aber die Männer, die Nor zu seiner Unterstützung geschickt hat. Und es war auch nicht so schwer, eurer Spur zu folgen. Ich glaube, selbst ich hätte es gekonnt, wenn es nötig gewesen wäre. Deine Mutter wird allmählich nachlässig. Oder ihr wart wirklich in sehr großer Eile.«

Arri entging die verkappte Frage keineswegs, die sich in dieser scheinbar beiläufigen Feststellung verbarg, aber sie hütete sich, auch nur irgendetwas darauf zu sagen, sondern beugte sich tiefer über die Schale und tat so, als brauchte sie ihre gesamte Konzentration, um die einfache Aufgabe zu bewältigen, den zähen Brei aus der Schale in ihren Mund zu befördern - was der Wahrheit im Übrigen ziemlich nahe kam. Das bisschen Schlaf, das sie bekommen hatte, war keineswegs genug gewesen, um sie wirklich zu erfrischen, und ihre Gedanken bewegten sich immer mühsamer, statt allmählich in Schwung zu kommen, was sie doch eigentlich sollten.

»Du rechnest damit, dass deine Mutter zurückkommt, um dich zu befreien«, fuhr Rahn fort. »Aber darauf solltest du dich besser nicht verlassen.«

»Ach ja, und warum nicht?«

»Weil ich nicht glaube, dass sie dazu in der Lage ist.«

»Wieso?«

»Du weißt, wo wir hier sind?«, fragte Rahn, statt direkt zu antworten.

Natürlich wusste Arri das. Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein.«

»Goseg. Und du weißt, was Goseg ist?«

»Nors Heiligtum«, antwortete Arri. »Der große Tempel, in dem er und die anderen Priester zu den Göttern sprechen.«

»Ja, auch das«, sagte Rahn. Seine Stimme klang plötzlich belustigt, allerdings auf eine Art, als halte er noch eine wenig angenehme Überraschung für Arri bereit und freue sich insgeheim schon darauf, sie ihr unter die Nase zu reiben. »Warst du schon einmal hier?« Arri wusste, dass er die Antwort auf diese Frage genauso gut kannte wie sie, aber sie tat ihm trotzdem den Gefallen, den Kopf zu schütteln. »Dann weißt du wohl auch nicht, dass Goseg zwar ein mächtiges Heiligtum ist, zugleich aber auch eine gewaltige Festung«, fuhr Rahn fort. »Deine Mutter kann dich hier nicht heraushauen.«