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Vorsichtshalber wich sie zwei Schritt zur Seite, um die beiden Männer passieren zu lassen, denn nach allem, was sie mit Jamu erlebt hatte, war sie ziemlich sicher, dass er nicht zur Seite gehen, sondern die Gelegenheit ganz im Gegenteil nutzen würde, sie derb anzurempeln, doch ihr wurde schon bevor sie die Bewegung zu Ende gebracht hatte klar, dass sie schon wieder einen Fehler begangen hatte. In Jamus Augen blitzte es kurz und ebenso gehässig wie triumphierend auf, und Arri rief sich in Gedanken zur Ordnung. Hatte ihre Mutter ihr nicht oft genug erklärt, wie man sich in einer Lage wie dieser zu verhalten hatte? Sie durfte nicht das geringste Zeichen von Schwäche zeigen.

Nor winkte die beiden Krieger zu sich heran. Der, dessen Name Arri nicht kannte, blieb dennoch respektvoll drei oder vier Schritte vor ihm stehen, während Jamu weiterging und unmittelbar hinter Nors gestohlenem Thronsessel Aufstellung nahm. Sein Blick ließ Arri dabei die ganze Zeit nicht los, und was sie darin erkennen konnte, das ließ sie nur das Allerschlimmste befürchten.

»Du erinnerst dich an Jamu hier?«, begann der Schamane. Arri nickte, obwohl sie immer noch nicht sagen konnte woher, und Nor fuhr fort: »Als ich das letzte Mal in eurem Dorf war, um mit deiner Mutter zu reden, da habe ich Jamu mitgebracht, damit er dich zum Weibe nimmt.«

Arri konnte gerade noch ein Zusammenzucken unterdrücken. Natürlich. Der Krieger hatte Nor begleitet, als er bei ihrer Mutter aufgetaucht war, um Lea unter Druck zu setzen, und als sie, Arri, danach aus der Hütte nach unten gegangen war, hatte sie diesen grobschlächtigen Mann hinter dem Holunderbusch stehen sehen. Jetzt verstand sie auch den Grund für die abschätzenden Blicke, mit denen er sie damals gemustert hatte. »Warum sollte mich jemand wie Jamu zur Frau nehmen wollen?«, sagte sie verächtlich. »Es gibt doch hier sicherlich genug andere Weiber, die viel mehr seinem Geschmack entsprechen.«

In Jamus Augen blitzte es wütend auf, während Nor eigenartigerweise abermals zufrieden wirkte. »Eine Vermählung zwischen einem aus unserem Volk und dir wäre Beweis genug gewesen, dass deine Mutter es ehrlich meint«, antwortete er sanft. »An Jamus Seite wärst du eine der Unseren geworden, und sie damit auch.«

Sie, und die Frau dieses... dieses Viehs?, dachte Arri entsetzt. Sie hütete sich, auch nur eine entsprechende Bemerkung zu machen, doch sowohl Nor als auch Jamu mussten ihre Gedanken wohl überdeutlich auf ihrem Gesicht abgelesen haben.

»Du glaubst, deine Mutter hätte dir damit einen Gefallen getan, habe ich Recht?«, fuhr Nor fort und schüttelte heftig den Kopf, um seine eigene Frage zu beantworten. Hinter ihr wurde zustimmendes Murmeln und Raunen laut. »Du armes Kind. Du verstehst nicht, dass deine Mutter auch dich nur für ihre Zwecke benutzt und missbraucht hat. Sag, all diese fremden Götter, die deine Mutter verehrt - hat sie auch dich gelehrt, sie anzubeten? Welche Opfer musstest du ihnen bringen?«

»Keine!«, antwortete Arri wahrheitsgemäß.

»Götter, die den Menschen solche Gaben bringen, und sie erwarten keine Gegenleistung dafür?«, zweifelte Nor.

Es lag Arri auf der Zunge, ihm wahrheitsgemäß zu antworten, dass sie zu gar keinen Göttern betete, aber diesmal war die Stimme der Vernunft in ihrem Kopf ausnahmsweise einmal stark genug, sie im letzten Moment zurückzuhalten. Sie sagte gar nichts.

»Dann müssen es wahrhaft verschlagene und grausame Götter sein, denen deine Mutter dient«, fuhr Nor fort. Arri war ziemlich sicher, dass er das so oder so gesagt hätte, ganz gleich, was sie auf seine Frage geantwortet hätte. Wieder wurde hinter ihr zustimmendes Murmeln laut, das Nor aber diesmal nicht mit einer entsprechenden Geste zum Verstummen brachte. Ganz im Gegenteil schien er es zu genießen. »Sag, mein Kind - kommt dir diese Großzügigkeit und Milde nicht selbst ein wenig seltsam vor?«

Arri verbiss es sich, Nor zu sagen, dass das Einzige, was ihr hier seltsam vorkam, er war. Sie starrte ihn weiter einfach nur an. Nor wartete einen Moment lang vergebens darauf, dass sie etwas sagte, dann richtete er sich kerzengerade in seinem Stuhl auf und klatschte zweimal hintereinander in die Hände. Aus der Menge hinter Arri traten vier Männer, die bisher verborgen darin gestanden und zugehört hatten und bei denen es sich offensichtlich ebenfalls um Schamanen und Priester handelte, denn sie trugen die gleiche Art von Kleidung wie er und stützten sich auf ähnliche knorrige Stäbe, nur dass beides weit weniger beeindruckend und verziert war als die zeremonielle Tracht des Hohepriesters. Auch sie waren alt, mindestens einer von ihnen noch deutlich älter als Nor, denn er benutzte seinen Stock tatsächlich, um sich mühsam darauf gestützt fortzubewegen.

Als folgten sie einem genau abgesprochenen Bewegungsablauf (Arri war sicher, sie taten es!), ließen sie sich in einen lockeren Halbkreis mit untergeschlagenen Beinen vor Nor auf den Boden sinken, sodass sie nun zu Arri und ihren Bewachern hinaufsehen mussten. Kaum hatten die Priester Platz genommen, da begannen sie auch schon, einen monotonen, an- und abschwellenden Gesang anzustimmen, bei dem sie keine Worte zu gebrauchen schienen, sondern einfach nur - zumindest in Arris Ohren - sinnlose Laute ausstießen. Keiner der Männer sah sie direkt an, aber sie spürte dennoch, dass sie irgendwie plötzlich noch mehr im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit stand.

Nor ließ die vier Priester eine Weile gewähren, dann hob er gebieterisch die rechte Hand, woraufhin Jamu rasch nach dem Stock griff, der am Rücken des Stuhles lehnte, um ihm diesen zu reichen. Schwer darauf gestützt, stemmte sich Nor in die Höhe, und wie auf ein Stichwort hin tauchte nun auch Rahn wieder auf.

Er war nicht mehr allein, sondern erschien in Begleitung Sarns und zweier weiterer Männer, bei deren Anblick Arri erneut erschrocken zusammenfuhr. Sarn hatte sie erwartet; wen sonst hätte Nor aus dem Dorf hierher befehlen sollen, um alle Schandtaten und Verfehlungen ihrer Mutter aufzuzählen, wenn nicht ihren ärgsten Feind? Wen sie nicht erwartet hatte, das waren Kron und Achk. Der einarmige Jäger hatte den blinden Schmied an der Hand ergriffen und führte ihn, damit er nicht stolperte. Arri konnte Achk ansehen, wie konzentriert er lauschte, um sich ein Bild von dem zu machen, was um ihn herum vorging. Krons Mine hingegen war wie versteinert. Arri versuchte, seinen Blick einzufangen, was ihr aber nicht gelang. Er sah überallhin, nur nicht in ihre Richtung, und Arris Beunruhigung steigerte sich weiter und grenzte nun an nackte Panik.

Nor erwartete Rahn und seine Begleiter hoch aufgerichtet und mit unbewegter Miene. Als sie heran waren, trat er einen halben Schritt zurück und machte mit der freien Hand eine einladende Geste in Richtung des Stuhles, auf dem er bisher gesessen hatte. »Nimm Platz, Sarn. Ich weiß, dass du eine anstrengende und gefährliche Reise hinter dir hast. Du musst müde sein.«

Sarn war von diesem Angebot sichtlich überrascht, denn er zögerte, Nors Aufforderung Folge zu leisten, dann aber ließ er sich schwer auf den gestohlenen Stuhl niedersinken, und das aus Holz und Weidengezweig geflochtene Möbelstück ächzte hörbar unter seinem Gewicht, was es gerade bei Nor nicht getan hatte, obwohl dieser deutlich größer und auch schwerer gebaut war; fast, als wolle es dagegen protestieren, von jemandem besetzt zu werden, der nicht das Recht dazu hatte.

Rahn nahm wieder am gleichen Platz Aufstellung, an dem er zuvor gestanden hatte, und starrte weiter mit steinernem Gesicht ins Leere. Kron blickte überall hin, nur nicht in Arris Richtung; Achk aber sah sich mit hektischen Kopfbewegungen aus weit aufgerissenen, erloschenen Augen um und wurde mit jedem Atemzug unruhiger. Arri war ziemlich sicher, dass er nicht einmal verstand, was mit ihm geschah.

»Nun, Sarn«, begann Nor, »erzähl uns, was du von den Taten der fremden Hexe und ihren falschen Göttern berichten kannst.«