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Der Bereich rings um seinen Nabel sah aus, als hätte vor langer Zeit jemand (mit Erfolg) versucht, seinen Bauch aufzuschlitzen, und Arri fragte sich vergebens, wie ein Mensch, der nicht über das große Wissen und die Heilkräfte ihrer Mutter verfügte, eine solche Verletzung überleben konnte. Arme und Beine waren mit Schlangenlinien und Runen übersät, die er sich offensichtlich freiwillig in die Haut geschnitten hatte, und da waren überall kleine, harte Stellen, die an rissig gewordenes altes Leder erinnerten und vielleicht alte Brandwunden sein mochten. Ein erschrockenes Raunen lief durch die Reihen der nächststehenden Zuschauer, und auch Sarn riss erstaunt die Augen auf und starrte den Hohepriester an.

Und es war noch nicht vorbei. Nors Tanz wurde immer wilder und hektischer. Wie in Krämpfen warf er den Kopf hin und her und streckte die Hände gegen den Himmel aus, als versuche er, die lodernde Sonnenscheibe dort oben zu fassen und auf die Erde herabzuziehen...

... und dann griff er mit beiden Händen in die Opferschale, die vor ihm auf dem Altar stand!

Vielleicht war es ein Schmerzensschrei, der über seine Lippen kam, vielleicht auch ein Ausruf der Verzückung, als er die Arme hochriss und zwei Hände voller dunkelrot lodernder Glut zwischen den Fingern zerquetschte. Aus den erstaunten Ausrufen der Menschen wurden Schreckens- und Entsetzensschreie, und die am nächsten Stehenden prallten unwillkürlich zurück. Nor rief immer lauter, schrie seinen Schmerz hinaus oder erflehte den Beistand der Götter oder beides, warf sich schließlich in einer nahezu grotesk wirkenden Verrenkung herum und ließ die Reste der Glut, die sich noch zwischen seinen Fingern befanden, auf das aufgeschichtete Reisig fallen.

Das Holz war so trocken, dass es augenblicklich Feuer fing. Eine mehr als mannshohe Stichflamme schoss in die Höhe, und ein ganzer Chor erschrockener Schreie und Rufe wurde rings um Arri laut. Aus dem aufgeschichteten Reisig stoben Funken, unzähligen, winzigen glühenden Insekten gleich, die sich gierig auf alles stürzten, was sie erreichen konnten, und die Hitze war mit einem Mal so gewaltig, dass selbst Arri das Gefühl hatte, eine trockene, heiße Hand streiche über ihr Gesicht. Dort, wo Nor und Sarn standen, musste sie unerträglich sein.

Vielleicht, weil es nicht nur Reisig und trockenes Holz waren, die brannten.

Arris Augen weiteten sich ungläubig, und auch ihrer Kehle entrang sich ein spitzer, erschrockener Schrei, als sie sah, wie die Flammen nach Nors Fingern und Unterarmen züngelten, sie in Brand setzten und rasend schnell an seinen Schultern hinaufkrochen. Mit einem dumpfen, weithin hörbaren Wusch! fingen Nors Kopf und Oberkörper Feuer, dann brannte er plötzlich zur Gänze! Der Chor gellender Entsetzensschreie rings um Arri wurde lauter, und etliche Menschen fuhren herum und suchten ihr Heil in der Flucht, die meisten aber starrten den hell lodernden Hohepriester einfach nur fassungslos und voller Entsetzen an.

Auch Sarn war zwei oder drei Schritte weit zurückgeprallt. Sein Umhang schwelte. Die fliegenden Funken hatten Dutzende winziger Löcher in seinen Federschmuck gebrannt, von denen einige rot glommen, und auch aus seinem Haar und sogar von seinem Gesicht stieg dünner, grauer Rauch auf, doch er schien es nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen. Fassungslos starrte er den Hohepriester an, der vollkommen ruhig inmitten der tobenden Flammen stand.

Hinterher, wenn Arri an die unglaubliche Szene zurückdachte, wurde ihr klar, dass es nicht lange gedauert hatte; allenfalls die Dauer eines einzelnen, schweren Atemzugs. Aber während es andauerte, schien die Zeit stillzustehen, und es war ein Anblick, den sie nie wieder gänzlich vergessen sollte. Auch sie schrie auf und prallte zurück und wäre davongerannt, hätte sich nicht plötzlich eine starke Hand von hinten um ihren Arm geschlossen und sie festgehalten. Ebenso instinktiv wie vergeblich versuchte sie, sich loszureißen, doch ihr Blick hing die ganze Zeit wie gebannt an der brennenden Gestalt des Hohepriesters.

Für sie war es nicht Nor, den sie sah. Plötzlich war sie wieder im Haus des Händlers, spürte noch immer den Schmerz über Runas Tod, und der brennende Mann war wieder da, der Krieger, den sie selbst in Brand gesetzt hatte, um ihn auf die schrecklichste nur denkbare Art zu töten. Er war zurückgekommen, um sie zu holen und für das zu bestrafen, was sie ihm angetan hatte. Ihre Mutter hatte sich geirrt, und Nor und die anderen Prediger hatten Recht. Es gab die Götter, und sie achteten genau auf das, was die Menschen taten, und bestraften sie hart, wenn sie sich ihrem Willen widersetzten.

Dann trat Nor - ganz ruhig - zurück und senkte die Arme, und im gleichen Maße, in dem er es tat, wurden die Flammen, die ihn einhüllten, kleiner und erloschen nur einen Augenblick später ganz.

Der Hohepriester taumelte. Rauch stieg von seiner Haut auf, die plötzlich grau und von einer Schicht feiner Asche bedeckt schien, er machte einen mühsamen, unsicheren Schritt zur Seite und sank dann auf die Knie. Sarn stieß ein erschrockenes Keuchen aus und machte einen Schritt auf ihn zu, blieb aber sofort wieder stehen, und auch das entsetzte Schreien und Flüchten und Wegrennen ringsum hörte plötzlich wie abgeschnitten auf. Nor wankte auf den Knien, drohte nach vorn zu kippen und richtete sich mit einer gewaltigen Kraftanstrengung wieder auf, und dann geschah etwas ganz und gar Unglaubliches: langsam, unendlich mühevoll, stemmte sich Nor wieder in die Höhe, stand einen Moment lang schwankend und mit beiden Händen schwer auf den Rand des Altars gestützt da und ließ schließlich auch diesen Halt los. Sein Körper und sein Gesicht boten einen Grauen erregenden Anblick. Seine gesamte Haut schien zu Asche verbrannt zu sein. Seine Lippen waren gerissen und nässten, und aus seinen Augen liefen Tränen, die schmierige Spuren in die Ascheschicht auf seinem Gesicht zeichneten und die an eine barbarische Kriegsbemalung erinnerten. Er taumelte vor Schwäche und Schmerz, und doch war der Ausdruck auf seinen Zügen noch immer der höchster Verzückung, wenn auch zugleich abgrundtiefer Erschöpfung.

Arris Herz raste, als wollte es zerspringen. Sie zitterte am ganzen Leib. Ihr Verstand sagte ihr, dass die Gefahr vorüber war. Es war nicht der brennende Mann aus dem Bergwerk. Er war es nie gewesen. Es war Nor, und sie war keinen Moment lang wirklich in Gefahr gewesen, aber das war nur die Stimme ihres Verstandes. Da war plötzlich etwas in ihr, das stärker war als ihre Vernunft, stärker als alles, was sie gelernt und gesehen hatte, und das ihr sagte, dass gleich etwas noch viel Schrecklicheres geschehen würde, dass sie bezahlen musste für das, was sie getan hatte.

Noch einmal vergingen Atemzüge, die sich zu schieren Ewigkeiten dehnten, dann machte Nor einen weiteren, wankenden Schritt zur Seite, sodass er nun vollkommen frei stand, hob die Hände und fuhr sich mühsam damit über das Gesicht. Tränen und graue Asche vermischten sich zu einer schmierigen Schicht, die aus der vermeintlichen Kriegsbemalung das Antlitz eines Raubtiers werden ließ, doch die Haut, die darunter zum Vorschein kam, war unversehrt.

Für einen Moment schien jedermann auf dem weiten Platz den Atem anzuhalten, und abermals kam es Arri vor, als wäre die Zeit einfach stehen geblieben. Dann schrie irgendwo eine Frau - vielleicht auch ein Mann -, und Arri bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich etliche Männer und Frauen in schierer Panik zur Flucht wandten; ja, sie war sogar sicher, dass mehr als einer der Zuschauer schlichtweg in Ohnmacht fiel. Die allermeisten aber standen einfach genau wie sie reglos da und starrten das unglaubliche Bild an, das sich ihnen bot.

Nors Haut rauchte. Da, wo er sich die Ascheschicht heruntergewischt hatte, schimmerte sie in einem blassen Graugrün, und hier und da sah es gar aus, als wäre sie geschmolzen und hätte Blasen geschlagen. Sein Gesicht war noch immer verzerrt, aber es war Arri unmöglich zu sagen, warum.