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Jamus Augen wurden schmal, aber er sagte nichts, und Arri konnte es sich einfach nicht verkneifen, in noch höhnischerem Ton hinzuzufügen: »Oder warum sonst bist du deiner Aufgabe als Beschützer des Hohepriesters so schlecht nachgekommen?«

Diesmal war sie fast sicher, dass Jamu sie schlagen würde. Er drehte tatsächlich den Oberkörper ein wenig zur Seite, wie um auszuholen, brach die Bewegung dann aber wieder ab und schüttelte stattdessen mit einem breiten, bösen Lächeln den Kopf. »O nein. Ich weiß, was du vorhast. Aber du wirst mich nicht dazu bringen, dich gleich hier auf der Stelle zu erschlagen. So einfach mache ich es dir nicht.«

Seine Worte ließen Arri einen eisigen Schauer über den Rücken laufen, denn sie passten nur zu gut dem, was sie zuvor gedacht hatte, aber sie gab sich alle Mühe, ihre Furcht zu überspielen, und antwortete stattdessen mit einer Stimme, deren Ruhe und Gefasstheit sie beinahe selbst in Erstaunen versetzte: »Oder hast du vielleicht Angst, dir könnte etwas entschlüpfen, was in die falschen Ohren gerät?«

Jamu sah sie ehrlich verblüfft an, aber dann lachte er und trat rückwärts gehend zwei Schritte aus Arris Gefängnis hinaus, wo er stehen blieb und sich mit übertriebenen Gebärden nach rechts und links umsah. »Wer sollte uns hören? Es ist niemand da.«

»Du bist allein gekommen?«, entfuhr es Arri überrascht.

Jamu hob geringschätzig die Schultern. »Ich mag vielleicht bei der Aufgabe versagt haben, meinen Herrn zu beschützen, aber mit einem vorlauten Balg werde ich immer noch fertig.«

»Und du hast wirklich keine Angst vor meinem Hexenkräften, die dich schon einmal verzaubert haben?«, erwiderte Arri.

Jamus Grinsen wurde noch böser. »Du hast keine Macht mehr über uns. Sarn hat mit den Göttern gesprochen, und sie haben ihm die Kraft verliehen, deinen bösen Zauber zu brechen.«

»Und deshalb bist du allein gekommen«, nickte Arri. »Nicht etwa um sicherzugehen, dass ich auch ja mit niemandem über etwas rede, was besser keiner hören sollte.«

»Wer würde dir schon glauben?«, gab Jamu mit unerwarteter Offenheit zurück und schüttelte den Kopf.

»Niemand«, antwortete Arri. »Aber trotzdem... du weißt, wie die Leute sind. Sie hören die Worte und glauben sie vielleicht nicht, aber sie behalten sie im Gedächtnis, und vor allem, sie reden darüber. Gerüchte entstehen schnell, und manchmal sind sie sehr hartnäckig. Vor allem, wenn sie wahr sind.«

»Rede du nur.« Jamu lächelte unerschütterlich weiter, aber Arri erschien dieses Lächeln mit einem Mal etwas zu sicher. Möglicherweise hatte sie einen wunden Punkt getroffen, und möglicherweise war es nicht besonders klug gewesen. Jamu mochte ein schlechter Mensch sein, tückisch und voller Bosheit, aber ebenso wie Sarn war er nicht dumm. Mit ihrer Vermutung, warum er allein gekommen war, um sie abzuholen, musste sie der Wahrheit ziemlich nahe gekommen sein, und sie konnte regelrecht sehen, wie es hinter seinen buschigen Augenbrauen zu arbeiten begann. Vielleicht erinnerte er sich ja an Sarns Drohung von gestern Mittag, ihr die Zunge herausschneiden zu lassen.

Arri ging langsam auf ihn zu und fuhr dabei schnell, aber nicht hastig, fort. »Wenn wir wirklich allein sind und niemand uns hören kann, Jamu, beantwortest du mir dann eine Frage?«

»Welche?« Jamu blickte schon wieder misstrauisch, aber sie konnte auch sehen, wie ihm ein gewisser anderer Gedanke entglitt. Er war vielleicht nicht dumm, aber auch nicht sonderlich klug.

»Was hat Sarn dir versprochen, damit du mithilfst, Nor umzubringen? Sasa? Einen Platz an seiner Seite? Oder die Macht über einen Teil des Landes?«

»Vielleicht ein wenig von allem«, antwortete Jamu. »Und wer weiß? Vielleicht irgendwann alles.«

Arri war so verblüfft, dass sie innehielt und den Krieger einfach nur aus großen Augen anstarrte. Jamu konnte doch nicht wirklich glauben, dass er irgendwann...

Aber ein einziger Blick in seine Augen beantwortete ihre Frage. Er glaubte es. »Du bist verrückt«, murmelte sie.

»Mag sein«, erwiderte Jamu. »Aber immer noch besser verrückt als tot. Nor war ein alter Mann. Er hätte ohnehin nicht mehr lange gelebt, und es ist manchmal besser, sich frühzeitig nach einem neuen Herrn umzusehen, weißt du? Sasa war übrigens der gleichen Meinung.« Er machte eine spöttische Handbewegung, die beinahe etwas Ehrerbietiges hatte. »Kommst du nun freiwillig mit, oder muss ich dich an den Haaren schleifen?«

Da Arri keinen Moment lang daran zweifelte, dass er das mit großem Vergnügen tun würde, wenn sie ihm auch nur den geringsten Anlass dafür bot, beeilte sie sich, an seine Seite zu treten. Sie rechnete nun damit, wieder gepackt und grob vorwärts gestoßen zu werden, aber Jamu bedeutete ihr nur mit einer entsprechenden Geste loszugehen, und sie gehorchte. »Du wirst sie auch töten müssen«, sagte sie.

»Sasa?« Jamu wirkte ehrlich überrascht. »Aber warum sollte ich das tun?«

»Weil auch sie weiß, was wirklich passiert ist. Du könntest niemals sicher sein, dass sie dich nicht eines Tages verrät.« Arri hob die Schultern. »Dein neuer Herr wird nicht ewig leben. Und selbst wenn, dann wird es nicht lange dauern, und er wird ebenso viele und ebenso mächtige Feinde haben, wie Nor sie hatte.«

Zu ihrer Überraschung lachte Jamu. »Nor hatte Recht, und Sarn auch, weißt du? Du bist schon genauso verschlagen wie deine Mutter.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Sasa wird mich nicht verraten. Sie hatte unzählige Gründe, Nor zu töten. Einer davon ist, dass sie ein ziemlich vorlautes Mundwerk hatte, mit dem sie Nor mehr als einmal bis aufs Blut gereizt hat. Und im letzten Frühjahr hat sie es wohl etwas übertrieben, und er hat ihr die Zunge herausreißen lassen.«

Arri starrte ihn erschrocken an. »Er hat was?«

Jamu nickte heftig und machte dabei ein Gesicht, als spräche er von etwas ungemein Lustigem. »Er hat ihr die Zunge herausreißen lassen«, wiederholte er. »Du siehst also, selbst wenn sie so dumm wäre, die Wahrheit zu sagen und damit ihr eigenes Todesurteil heraufzubeschwören, sie könnte es gar nicht.«

Sie gingen eine kleine Weile schweigend nebeneinander her, bis sie das offen stehende Tor erreicht hatten. Die versteinerte Stadt lag auch jetzt wieder wie ausgestorben rings um sie herum da, aber Arri spürte, dass dieser Eindruck täuschte. Sie wurden beobachtet, und möglicherweise sogar belauscht. Vermutlich hatte Jamu keine Ahnung davon, und vielleicht hatte er sich bereits um Kopf und Kragen geredet, ohne es zu wissen, aber diese Vorstellung brach ihr nicht unbedingt das Herz.

Sie gingen nicht besonders schnell, und als sie das weit offen stehende Tor durchschritten hatten, wies Jamu nach links, den Hügel hinauf und zum Heiligtum, und sie wurden sogar noch ein wenig langsamer. Niemand war weit und breit zu sehen, doch das Gefühl, angestarrt und belauert zu werden, wurde mit jedem Atemzug stärker. Ihr kam zu Bewusstsein, wie verrückt ihre Situation im Grunde war. Für jeden, der nichts über sie und ihren Begleiter wusste, mussten sie den Anblick eines Paares bieten, das in vertrautem Nebeneinander einen Spaziergang unternahm und keine Eile hatte, sein Ziel zu erreichen.

Zumindest was sie anging, stimmte das ja auch.

So unauffällig, wie es ihr nur möglich war, sah sie sich um und suchte ihre Umgebung mit Blicken ab. Der Waldrand war nicht einmal besonders weit entfernt.

»Versuch es lieber nicht«, sagte Jamu. Arri sah mit gespielter Überraschung zu ihm hoch und erntete wieder dieses böse, schadenfrohe Lächeln. »Ich würde dich nach ein paar Schritten einholen und dir das Fußgelenk brechen, damit du nicht mehr laufen kannst.«

»Aber dann müsstest du mich tragen.«

»Oh, das tue ich gern«, behauptete Jamu, und es klang ganz so, als wäre es ernst gemeint. »Ich würde sogar großzügig sein. Du kannst dir aussuchen, welchen Fuß ich dir breche. Willst du es darauf ankommen lassen?«

Arri sagte nichts darauf, sondern schenkte ihm nur einen weiteren bösen Blick und schritt dann ein wenig schneller aus, als könnte sie es plötzlich gar nicht mehr erwarten, die Hügelkuppe und das Heiligtum zu erreichen. Sie hatte geglaubt, sich unauffällig genug umgesehen zu haben, doch Jamu war entweder ein weit besserer Beobachter, als sie angenommen hatte, oder sie hatte sich selbst - wieder einmal - überschätzt.