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»Wie schön«, antwortete Arri kühl. »Nicht, dass es mich kümmert - aber ich vermute, du wirst es mir trotzdem sagen?«

Diesmal gelang es ihr immerhin, Sarn für einen ganz kurzen Moment aus der Fassung zu bringen - und die Männer hinter ihm für einen deutlich längeren. Unruhe kam auf, und Sarns Blick wurde wiederum hasserfüllt, dann aber schüttelte er nur den Kopf und schürzte geringschätzig die Lippen. »Du kannst mich nicht beleidigen, du dummes Gör. So wenig, wie es dir möglich ist, unsere Götter zu verspotten. Sie haben entschieden, was mit dir zu geschehen hat. Deine Zauberkräfte schrecken uns nicht mehr.«

Er machte eine Bewegung mit seinem Stock, die den Männern hinter ihr galt, und Arri fühlte sich von starken Händen an beiden Armen ergriffen und festgehalten. Der Schmerz war fast noch schlimmer als vorhin, als Jamu sie so grob in die Höhe gerissen hatte, doch Arri zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sarn würde sie nicht wimmernd erleben.

Der frisch geweihte Hohepriester hob die Stimme, als er weitersprach, damit auch jedermann seine Worte hören konnte. Nicht, dass es nötig gewesen wäre; seit Sarn zu sprechen begonnen hatte, hatte eine fast schon unheimliche Stille von der Menschenmenge ringsum Besitz ergriffen. »Du wirst des heimtückischen Mordes an unserem Hohepriester beschuldigt, Hexenkind«, rief er. »Du hast dich in unser Vertrauen geschlichen, indem du deine Zauberkräfte benutzt hast, um unsere Sinne zu verwirren. Du und deine Mutter, ihr habt euch wie räudige Hunde an unsere Feuer geschlichen und euch mit Lügen und falschen Gaben unser Vertrauen und unser Wohlwollen erkauft, um es hinterher auf die schlimmste nur mögliche Art zu missbrauchen. Deshalb haben die Götter entschieden, dass du auch wie ein solcher sterben sollst.«

Es begann ganz langsam. Zuerst spürte Arri, wie ihre Finger zu zittern begannen, dann ihre Hände und Knie, schließlich ihre Unterlippe und ihr Kiefer. Sie wimmerte nicht - diesen winzigen Tribut an ihren Stolz brachte sie irgendwie noch auf -, doch sie zitterte am ganzen Leib, und ihr Herz schlug wie die verzweifelte Faust eines Ertrinkenden, der in der Reuse eines Fischers gefangen war, von ihnen gegen ihre Rippen. Fast wünschte sich Arri, dass es einfach ausgesetzt hätte und alles vorbei wäre. Sarn verzichtete auf die Gelegenheit, sie abermals zu verhöhnen, sondern wandte sich stattdessen mit einer neuerlichen, befehlenden Geste an die beiden Männer, die Arri gepackt hatten. »Bindet sie.«

Rasch, aber unerwartet rücksichtsvoll schoben die beiden Männer Arri vorwärts. Einen Moment lang sah es so aus, als wollten Sarn und die anderen einfach stehen bleiben und ihr den Weg verwehren, im allerletzten Augenblick jedoch trat der greise Hohepriester beiseite, und alle anderen vollzogen seine Bewegung getreulich nach; abgesehen vielleicht von Sasa, die zwar ebenfalls zurückwich, aber erst nach einem spürbaren Zögern und nach dem Sarn sie mit einem zornigen Blick bedacht hatte. Arri suchte vergeblich im Gesicht der jungen Frau nach einer Spur von Mitleid oder wenigstens Bedauern. Im Gegenteil. Mehr als je zuvor spürte sie, wie sehr dieses Mädchen sie hasste. Arri verstand es immer noch nicht - nach dem, was Jamu ihr über Sasas Schicksal erzählt hatte, sogar weniger denn je -, doch plötzlich wurde ihr klar, dass das Mädchen hundertmal lieber ihr als Nor eigenhändig die Kehle durchgeschnitten hätte.

Gefolgt von Sarn und den anderen, näherten sie sich der Mitte des umzäunten Geländes, und jetzt erkannte Arri auch, was die Männer dort aufgerichtet hatten: eine einfache Konstruktion, die aus zwei mannshohen, leicht schräg in den Boden gerammten Pfählen bestand, an denen zwei kräftige Stricke festgeknotet waren. Arris Verzweiflung wuchs. Ihr Herz hämmerte immer schneller, aber es war jung und kräftig und würde ihr nicht den Gefallen tun, einfach auszusetzen. Ihre Knie zitterten jetzt so stark, dass sie immer mehr Mühe hatte, einen Schritt nach dem anderen zu tun. Der Sinn dieser Konstruktion war ziemlich klar: Die Männer würden ihr die Stricke um die Handgelenke legen und sie mit ausgebreiteten Armen zwischen den beiden Pfählen festbinden, sodass sie hilflos alles über sich ergehen lassen musste, was auch immer Sarn ihr zugedacht hatte.

Als sie noch ein knappes Dutzend Schritte entfernt waren, verließ sie endgültig der Mut. Ihre Knie gaben unter dem Gewicht ihres Körpers nach, und sie begann leise zu schluchzen, aber natürlich nahmen die beiden Männer, die sie gepackt hatten, keine Rücksicht darauf, sondern schleiften sie einfach grob zwischen sich her, bis sie zwischen den beiden Pfählen angelangt waren. Zwei weitere Krieger traten hinzu, packten ihre Handgelenke und verknoteten die Enden der beiden Stricke darum, die daraufhin mit einem einzigen Ruck straff gezogen wurden, bis sie mit weit ausgebreiteten Armen aufrecht zwischen den Pfählen stand. Arri schrie gellend auf, als ein neuerlicher, noch viel grauenhafterer Schmerz durch ihre Schulter fuhr. Dann hörte sie ein helles, knackendes Geräusch, und trotz der grässlichen Schmerzen, die sie plagten, hätte sie am liebsten hell aufgelacht, als sie begriff, dass ihre Peiniger ihr, wenn auch ganz gewiss nicht absichtlich, das Schultergelenk wieder eingekugelt hatten. Wenigstens würde sie nicht als Krüppel sterben.

Die Männer traten zurück. Arri blinzelte die Tränen fort, und als sie wieder klar sehen konnte, erkannte sie, dass nur noch Sarn und Jamu bei ihr geblieben waren. Alle anderen strebten jetzt wieder mit raschen Schritten dem Tor entgegen, und auch die Männer, die bisher dort Wache gehalten hatten, schienen es plötzlich sehr eilig zu haben, das Gehege zu verlassen.

»Auch wenn du es nicht verdient hast, Hexenkind«, sagte Sarn jetzt wieder mit lauter, weithin verständlicher Stimme, »soll dir noch eine letzte Gnade gewährt werden.« Er machte eine befehlende Geste, auf die hin Jamu rasch auf sie zutrat und einen kurzen Dolch unter dem Mantel hervorzog. Arri erkannte überrascht, dass es dieselbe Waffe war, mit der Sasa Nor getötet hatte, eine Klinge aus Feuerstein, die zehnmal schärfer war als jedes Metall, abgesehen vielleicht vom Zauberschwert ihrer Mutter. Panik ergriff sie. Auch wenn sie unvorstellbare Angst vor dem hatte, was gleich mit ihr geschehen würde, und wenn ihr Verstand ihr noch so laut zuschrie, dass es tatsächlich eine Gnade wäre, wenn Jamu sie jetzt und hier mit diesem Dolch tötete, so wehrte sie sich dennoch verzweifelt gegen die Vorstellung, dass sie nun tatsächlich sterben sollte. Selbst wenn ihr Leben nur noch wenige weitere Augenblicke währen würde, und ganz gleich, wie unvorstellbar grauenhaft diese Augenblicke auch sein mochten, es wäre Leben, und unglaublich kostbar.

Verzweifelt warf sie sich zurück und riss und zerrte mit aller Gewalt an ihren Fesseln, ohne den wütenden Schmerz, der dabei durch ihre Schulter tobte, auch nur zu spüren, doch es war sinnlos. Die Stricke hielten. Sie versuchte nach Jamu zu treten, doch der Krieger schlug ihren Fuß nur mit einem abfälligen Grunzen beiseite, griff in den Ausschnitt ihres Kleides und schnitt es ihr mit einer einzigen Bewegung vom Leib, wobei er ihr einen langen, blutigen Kratzer vom Halsansatz bis fast zur Hüfte hinab zufügte. Dann trat er zurück, wickelte sich das zerrissene Kleid scheinbar achtlos um den Unterarm und nahm wieder an Sarns Seite Aufstellung.

»Dir wird noch eine letzte Gnadenfrist gewährt«, sagte der Hohepriester. »Du magst noch einmal zu deinen falschen Göttern beten, wenn du willst. Falls es sie wirklich gibt, dann werden sie deine Gebete ja vielleicht erhören und deine verkommene Seele zu sich nehmen.«

»Das werden sie bestimmt«, antwortete Arri. Sie wusste selbst nicht, woher sie die Kraft für diese Worte nahm, aber sie fuhr, zwar unter Tränen und schluchzend, dennoch aber mindestens ebenso laut wie Sarn gerade, wenn nicht lauter, fort: »Du solltest lieber zu deinen Göttern beten, damit sie dir deine Verbrechen vergeben. Ich jedenfalls tue es nicht. Ich verfluche dich, Sarn, dich und dein ganzes Volk! Meine Zauberkräfte werden dich verfolgen, so lange du lebst, und jeden verderben, der auf deiner Seite steht!«