Выбрать главу

Jetzt packte sie ein ganz anderes Entsetzen, kalt, lähmend und begleitet von einer Mischung aus Angst und Hilflosigkeit, wie sie sie trotz allem bisher noch nicht gespürt hatte. Mit einem Male wusste sie, dass all die grässlichen Geschichten wahr waren, die man sich über die Hunde aus Goseg und das, was sie ihren Opfern antaten, erzählte. Sie wollte schreien. Plötzlich war es ihr gleich, ob all diese Menschen hier ihr Wimmern und Kreischen und das verzweifelte Um-ihr-Leben-Betteln hörten, doch ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt; sie brachte nicht einmal mehr ein Keuchen zustande, sondern musste sich mit aller Macht konzentrieren, um überhaupt noch atmen zu können.

Die beiden Hundeführer traten nun auf Jamu zu. Die Tiere zerrten und rissen mit immer größerer Ungeduld an ihren Stricken. Vielleicht witterten sie trotz der großen Entfernung das Blut, das an Arris Beinen hinablief, doch die beiden Männer ließen sie noch nicht los, sondern zerrten sie mit sichtlichem Kraftaufwand weiter zu Jamu hin. Der schwarzhaarige Krieger ließ sich in die Hocke sinken und streckte die rechte Hand aus, und die beiden geifernden Ungeheuer, die sich noch gerade wie tollwütig gebärdet hatten, sprangen plötzlich auf ihn zu und leckten ihm schwanzwedelnd Hände und Gesicht ab. Jamu ließ sie eine kurze Weile gewähren, dann bedeutete er den Männern, die die Stricke hielten, loszulassen. Die beiden Krieger schienen es plötzlich sehr eilig zu haben, denn sie fuhren auf der Stelle herum und rannten die wenigen Schritte zum offen stehenden Tor zurück, während sich Jamu erneut vorbeugte und die Stricke aufknotete, die noch immer um die Hälse der Hunde lagen.

Eines der Tiere richtete sich spielerisch auf die Hinterläufe auf und versuchte erneut, ihm das Gesicht abzulecken, wobei er ihm ohne Anstrengung die Vorderpfoten auf die Schultern legte, das andere aber drehte plötzlich den Kopf und blickte in Arris Richtung. Sein Schwanzwedeln erlosch, und Arri konnte sehen, wie sich die gewaltigen Muskeln unter seinem struppigen Fell spannten. Dann aber rief ihm Jamu einen scharfen Befehl zu, und das Tier machte gehorsam einen Schritt rückwärts. Es entspannte sich sichtlich, aber sein Blick ließ Arri keinen Moment lang los.

Noch einmal verging eine kurze Weile, in der Jamu mit den beiden gewaltigen Hunden spielte, als wären es Welpen, dann sank er auf die Knie, wickelte das zerrissene Kleid ab, das er sich um den linken Arm geschlungen hatte, und ließ den Stoff plötzlich wie eine Peitsche knallen, um damit nach der empfindlichen Schnauze eines der Hunde zu schlagen. Das Tier stieß ein schrilles, überraschtes Heulen aus und prallte einen Schritt zurück, versuchte aber fast unmittelbar darauf, nach dem Stoff zu schnappen. Jamu zog ihn mit einer tausendfach geübten Bewegung weg und versetzte nun auch dem anderen Hund einen Hieb auf die Nase, der empfindlich wehtun musste. Dann stand er hastig auf, warf den Stofffetzen in die Höhe, und die beiden Hunde schnappten gleichzeitig danach und bekamen ihn an zwei Enden zu fassen. Ein wütendes Knurren und ein rasches, kraftvolles Kopfschütteln, und der zähe Stoff zerriss wie trockenes Laub. Einen Moment lang schüttelte jede der beiden Bestien noch ihr erbeutetes Stück, dann klatschte Jamu in die Hände und begann sich gleichzeitig rückwärts gehend und sehr schnell von den Hunden zu entfernen.

Und die beiden Ungeheuer stürmten los.

Arri registrierte entsetzt, wie schnell sie waren. Vielleicht noch einen, höchstens aber zwei Atemzüge, und sie mussten heran sein. Ihre schrecklichen Fänge waren gebleckt, aber sie hatten aufgehört zu knurren und aufgeregt zu kläffen, sondern stürmten nun vollkommen lautlos heran, und ein allerletzter, zwar klarer, nichtsdestoweniger aber völlig unvernünftiger Gedanke blitzte hinter Arris Stirn auf: nämlich der, was für eine grausame Ironie des Schicksals es doch war, dass es nun so enden musste, wo es doch damit angefangen hatte, dass sie um ein Haar von einem Wolf zerrissen worden wäre. Aber vielleicht war das ja das Schicksal, das ihr zugedacht war, und dies war einfach der Preis, den sie für die Zeit bezahlen musste, die sie ihm abgetrotzt hatte, denn der Tod unter den Fängen des Wolfes wäre mit Sicherheit gnädiger gewesen als das, was diese beiden abgerichteten Ungeheuer ihr antun würden.

Sie versuchte die Augen zu schließen, als die beiden Tiere auf zehn oder zwölf Schritte heran waren, aber nicht einmal mehr das konnte sie. So kam es auch, dass sie den Speer, der aus dem nahen Waldrand herangeflogen kam und das vordere der beiden Tiere mitten im Sprung traf, es herumriss und regelrecht gegen den Boden nagelte, ebenso deutlich sah wie jeder andere hier.

Das Tier starb so schnell, dass ihm nicht einmal mehr Zeit für einen erschrockenes Jaulen blieb.

Dafür stürmte der zweite Hund umso schneller heran. Arri begriff nicht wirklich, was sie sah, ebenso wenig wie alle anderen hier, denn im gleichen Atemzug, in dem der Speer den Hund niedergeworfen hatte, war es nahezu vollkommen still geworden. Sie konnte nur den Hund anstarren, der immer schneller und schneller näher kam, seine gewaltigen, spitzen Fänge, die sich in ihr Fleisch bohren und es zerreißen mussten, noch bevor ihr Herz das nächste Mal geschlagen hatte, und erneut überkam sie ein Gefühl vollkommen absurder Heiterkeit, als ihr klar wurde, dass ihr Leben tatsächlich von dieser einzigen, lächerlich kurzen Zeitspanne abhängen sollte.

Die Pfoten des Hundes trommelten wie die Hufe eines durchgehenden Ochsen auf den Boden. Flockiger weißer Geifer sprühte aus seinem Maul, als er sich abstieß und in einem gewaltigen Satz auf sie zuflog.

Ein Schatten huschte so dicht an Arri vorbei, dass sie das helle Sirren seines gefiederten Endes zu hören glaubte, und riss den Hund im Flug herum.

Der Pfeil war nicht gut genug gezielt gewesen, um das Tier sofort tödlich zu treffen, aber seine Wucht hatte ausgereicht, um es aus der Bahn zu werfen, und die dreieckige Spitze aus Feuerstein grub eine blutige Furche quer über sein Gesicht und bohrte sich tief in seine Schulter. Mit einem schrillen Heulen stürzte der Hund zu Boden, überschlug sich zwei oder drei Mal und heulte noch lauter auf, als der Pfeil dabei abbrach und sich zugleich noch tiefer in sein Fleisch bohrte.

Und als wäre dieser Laut ein Signal gewesen, endete die atemlose Stille, die bisher über dem Platz gelegen hatte. Ein ganzer Chor ebenso erschrockener wie wütender oder auch ängstlicher Schreie gellte auf, und überall längs des dreiseitigen Zaunes schien gleichzeitig das Chaos loszubrechen. Das Tor flog auf, und Jamu und mehr als ein halbes Dutzend Krieger stürmten in das Gehege, doch Arri hatte nur Augen für den Hund.

Das Tier warf sich mit einem wütenden Heulen und Jaulen hin und her. Blut lief über sein Gesicht und tropfte aus seinem weit aufgerissenen Maul, während es immer wieder versuchte, nach dem abgebrochenen Schaft des Pfeils zu schnappen, der kaum noch auf der halben Länge eines Fingers aus seiner Schulter ragte. Der Pfeil hatte den Hund aus der Bahn geschleudert, aber er war keine drei Schritte von Arri entfernt, und wenn sie auch nur eine einzige, falsche Bewegung machte, dann würde er sich zweifellos auf sie stürzen, halb wahnsinnig vor Angst und Schmerz und Wut, wie er war. Sie erstarrte zur Reglosigkeit.

Aber vielleicht war es dazu schon zu spät. Jamu und seine Krieger stürmten heran. Der Großteil der Männer und auch Jamu selbst hatten Kurs auf den Waldrand genommen, von woher der Speer und auch der Pfeil gekommen waren, aber zwei oder drei Männer rannten auch mit gezückten Schwertern und weit ausgreifenden Schritten auf Arri zu, und als wäre das allein noch nicht genug, hörte die verwundete Bestie vor ihr plötzlich auf, nach ihrer eigenen Schulter zu schnappen, drehte mit einem wütenden Knurren und einem Ruck den Kopf in ihre Richtung und versuchte taumelnd in die Höhe zu kommen. Ihre Vorderläufe knickten unter dem Gewicht ihres eigenen Körpers weg, was sie mit einem neuerlichen, noch gequälteren Aufheulen quittierte, aber sie sprang sofort wieder hoch und stürzte sich auf sie.