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Schnell, dennoch aber mit sehr ruhigen, sicheren Bewegungen führte Lea ihre Arbeit zu Ende, legte das Messer anschließend wieder ins Feuer und sah dann mit nachdenklich gerunzelter Stirn auf ihren Patienten hinab. Kron stöhnte leise im Schlaf, hatte aber aufgehört, sich hin und her zu werfen und mit den Beinen zu strampeln. Sein Armstumpf blutete nicht mehr, und der Gestank von Eiter und Fäulnis war einem Geruch gewichen, als hätte man ein Stück Wildbret zu lange im Feuer gelassen. Sarn saß noch immer in unveränderter Haltung unter dem Fenster und starrte abwechselnd den bewusstlosen Jäger und den Lederriemen in seinen Händen an, an dessen Ende immer noch Krons abgetrennter Arm hing; seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, wäre er nicht besonders überrascht gewesen, wäre dieser plötzlich zum Leben erwacht und hätte nach seiner Kehle gegriffen.

Lea bückte sich nach einem der kleinen Lederbeutel, die sie geholt hatte, und reichte ihn Grahl. »Bestreicht die Wunde mit einem dicken Sud aus diesen Kräutern. Ich komme später und lege ihm einen Verband an, aber im Moment sind Licht und Luft das Beste für die Wunde. Ihr müsst ihm Wasser geben, so viel es nur geht. Wenn er nicht trinken will, dann zwingt ihn.«

Grahl blickte den kleinen Beutel in seiner Hand vollkommen verständnislos an. Er wusste offensichtlich nicht, was er damit anfangen sollte. »Aber was, wenn...«

»Mehr kann ich im Augenblick nicht für deinen Bruder tun«, unterbrach ihn Lea. Plötzlich klang sie ungeduldig, fast zornig. Sie wedelte mit der Hand. »Jetzt bringt ihn nach Hause. Wenn er aufwacht und seine Schmerzen zu schlimm werden, dann kommt zu mir, aber wahrscheinlich wird er schlafen.«

»Aber... aber er wird... leben?«, murmelte Grahl. Es klang flehend.

»Ich hoffe es.« Lea fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und verbesserte sich dann mit einem abgehackten, aber nur angedeuteten Nicken: »Wahrscheinlich. Wenn er die Nacht übersteht, sind seine Aussichten gut. Jetzt bringt ihn weg.«

Nicht nur Arri war verwirrt. Bisher hatte ihre Mutter die gleiche Mischung von Sicherheit und Zuversicht ausgestrahlt wie sonst auch. Nun aber wirkte sie erregt, ungeduldig und zornig und schien Kron und die beiden anderen gar nicht schnell genug loswerden zu können. Was bedeutete das nur?

Hinter ihr richtete sich Sarn ächzend wieder auf. Arri wandte flüchtig den Kopf und sah, dass er den Lederriemen immer noch in beiden Händen hielt; ein Angler, der einen ganz besonders grausigen Fisch gefangen hatte. Auch in seinen Augen las sie pures Entsetzen, aber nicht nur. Da war noch etwas, und auch wenn sie es nicht richtig zu deuten vermochte, machte es ihr Angst.

Grahl schob den Beutel, den Lea ihm gegeben hatte, unter seinen Umhang, dann hob er seinen bewusstlosen Bruder anscheinend ohne die mindeste Mühe hoch und wandte sich zum Ausgang »Und du kommst täglich und... und sorgst dich um ihn?«, vergewisserte er sich, bevor er die Hütte verließ.

Lea nickte. Sie sagte nichts. Ihr Gesicht war zu einer Maske erstarrt.

»Und wenn nicht, dann werden die Götter sein Leben erhalten«, sagte Sarn. »Ich werde ihre Gunst erflehen, und der ganze Stamm wird ihnen opfern, damit sie Krons Leben verschonen.«

»Ja«, flüsterte Lea, so leise, dass Arri bezweifelte, dass Sarn die Worte überhaupt verstand. »Tu das.« Etwas lauter und mit einem Lächeln, das so falsch war, wie es nur sein konnte, fügte sie hinzu: »Geh mit ihm, Sarn. Er wird alle Hilfe brauchen, die er bekommen kann. Was ich tun konnte, habe ich getan. Jetzt sind eure Götter an der Reihe.«

Sarn starrte sie mit eisigem Blick an und wollte Grahl dann folgen, doch Lea hielt ihn noch einmal zurück und deutete auf Krons abgetrennten Arm. »Hast du nicht etwas vergessen? Das hier gehört Kron, glaube ich.«

Arri stockte der Atem, und auch der Stammesälteste japste nun tatsächlich nach Luft. Dann aber drehte er sich mit einem Ruck herum, hob Krons abgetrennten, schon fast vollständig ausgebluteten Arm auf und stürmte regelrecht damit aus der Hütte. Arri war mit zwei schnellen Schritten am Guckloch und sah, dass er heftig auf Grahl einzureden begann, der seinen bewusstlosen Bruder die Anhöhe zum Dorf hinauftrug. Die beiden waren nicht allein. Nicht nur Rahn, sondern nahezu alle männlichen Dorfbewohner hatten sich - ohne dass Arri es bisher auch nur bemerkt hätte - vor ihrer Hütte versammelt und offensichtlich darauf gewartet, dass er und die beiden Jäger wieder herauskamen. Arri wartete, bis Grahl und seine Begleiter aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, dann drehte sie sich wieder zu ihrer Mutter um und sah sie fassungslos und aus großen Augen an. »Warum hast du das getan?«, murmelte sie.

Lea schnaubte. »Was?«, stieß sie hervor. »Sein erbärmliches Leben gerettet? Ich weiß es nicht.«

»Sarn«, antwortete Arri kopfschüttelnd. »Warum hast du ihn so gereizt?«

»Gereizt?«, erwiderte Lea mit einem neuerlichen, durch und durch humorlosen Lachen. »Ich habe ihn nicht gereizt, Arri. Ich habe ihm einen Gefallen getan. Jetzt hat er endlich den Grund, nach dem er schon so lange sucht.«

»Wie meinst du das?«

»Ich hätte diesen Dummkopf sterben lassen sollen. Es war ein Fehler, ihm zu helfen, ganz gleich, wie es ausgeht.«

»Aber hast du mir nicht immer selbst gesagt, dass es niemals ein Fehler ist, einem Menschen zu helfen?«, fragte Arri.

»Und vielleicht war gerade das mein größter Fehler«, antwortete Lea düster. Sie biss sich auf die Lippen. Bevor sie weitersprach, hob sie das Schwert auf und wischte die Klinge sorgfältig mit Buchenblättern sauber. Ihre Stimme wurde leiser. »Es ist gleich, was jetzt passiert, weißt du? Wenn er stirbt, dann ist es meine Schuld, jedenfalls für Sarn, und er wird dafür sorgen, dass alle anderen das auch glauben. Und wenn er lebt, dann ist es meine Schuld, dass sich der Stamm mit einem weiteren Krüppel herumplagen muss, der nicht mehr arbeiten kann und an den man wertvolles Essen verschwenden muss.«

»Das meine ich nicht.« Arri war verwirrt, aber auch traurig, denn sie spürte den Aufruhr, der hinter der Stirn ihrer Mutter tobte, und sie fühlte sich so hilflos, da sie nichts für sie tun konnte. »Das mit dem Arm. Warum hast du das getan? Es war grausam.«

Lea fuhr mit einer zornigen Bewegung herum, und in ihren Augen funkelte es so wütend, dass Arri fast sicher war, nunmehr selbst zur Zielscheibe ihres Zorns zu werden. »Wieso grausam?«, fragte sie böse. »Vielleicht brauchen sie ihn ja, um ihn ihrem Nachtgott Mardan zu opfern.« Sie lachte hart auf. »Vielleicht essen sie ihn ja auch.«

Arri war schockiert. So etwas hatte sie noch niemals aus dem Mund ihrer Mutter gehört. Doch die harsche Antwort, die ihr auf der Zunge lag, wollte nicht kommen. Stattdessen fragte sie ganz leise: »Du hasst diese Menschen?«

»Hassen?« Lea schien einen Moment ernsthaft über diese Frage nachzudenken. Dann schüttelte sie den Kopf. Plötzlich schimmerten ihre Augen feucht. »Nein.« Dann hob sie die Schultern und verbesserte sich: »Ja. Du hast Recht. Ich hasse sie. Aber nicht, weil sie so sind, wie sie nun einmal sind. Ich hasse sie, weil unser Volk sterben musste und sie leben.«

»Aber das ist doch nicht ihre Schuld«, widersprach Arri. Sie war nicht einmal sicher, ob das stimmte. Sie wusste so wenig über das, was geschehen war, bevor sie hierher gekommen waren.