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»Wer war es dann?«, fragte sie.

»Dragosz«, erwiderte ihre Mutter. »Ich war für die Schweine zuständig.«

»Und warum musste ich mich dann so lange mit Sarn und Jamu herumplagen?«, fragte Arianrhod beleidigt.

Immerhin war es ihr diesmal tatsächlich gelungen, ihre Mutter aus der Fassung zu bringen. Sie blinzelte verständnislos, dann aber lachte sie, laut und befreit. Einen Moment später wurde sie jedoch schlagartig umso ernster. »Und sie haben dir wirklich nichts angetan?«, vergewisserte sie sich.

»Bis auf das, was du gesehen hast?« Arianrhod schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Aber ich gebe mich auch gern damit zufrieden, weißt du? Ich bin nicht genusssüchtig.«

Diesmal blieb ihre Mutter ernst. Sie sah sich rasch um, als wartete sie auf jemand, wandte sich aber dann wieder an Arianrhod und fragte: »Was ist überhaupt geschehen? Du hast Nor doch nicht wirklich getötet, oder?«

»Natürlich nicht«, erwiderte Arianrhod empört. Allein die Frage brachte sie schon beinahe wieder in Rage.

»Und wer war es dann?«, wollte Lea wissen. »Jamu oder Sarn selbst?«

»Eine von Nors Frauen«, antwortete Arianrhod. »Sasa. Die Jüngste.«

»Die Stumme? Die Frau, der Nor die Zunge hat herausschneiden lassen?« Arianrhod nickte. »Man sollte nie die Rachsucht einer Frau unterschätzen«, meinte Lea grimmig. »Und trotzdem überrascht es mich. Sarns Macht muss schon weitaus größer gewesen sein, als Nor geahnt hat. Das macht alles noch viel komplizierter.« Sie seufzte tief. »Sarn muss ziemlich verzweifelt gewesen sein, nachdem Nor ihn während der Feuerzeremonie so gedemütigt hat.«

»Woher weißt du davon?«, erkundigte sich Arianrhod überrascht.

»Von Rahn«, antwortete ihre Mutter.

»Er ist hier?« Arianrhod sah sich rasch nach allen Seiten um, als erwarte sie allen Ernstes, ihn aus dem Gebüsch hervortreten zu sehen. »Was ist mit den anderen? Kron und Achk?«

Lea hob besänftigend die Hand. »Sie sind wohlauf. Wir treffen uns mit ihnen, nicht weit von hier.«

»Dann hat er dir erzählt, was passiert ist?«, vergewisserte sich Arianrhod. Sie hatte kein gutes Gefühl. Stirnrunzelnd und in eindeutig verändertem Ton fuhr sie fort: »Du traust ihm?«

»Nein«, antwortete Lea offen. »Ebenso wenig wie er mir. Rahn hat die ganze Zeit über versucht, sich irgendwie durchzumogeln, ohne wirklich Stellung zu beziehen. Ich nehme an, er war von Anfang an in viele Machenschaften Sarns eingeweiht, und das droht ihm nun zum Verhängnis zu werden.«

»Das verstehe ich nicht«, bekannte Arianrhod.

»Das versteht vielleicht noch nicht einmal Rahn selbst«, sagte Lea ernst. »Aber er muss gespürt haben, dass sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zieht. Seine Nähe zu mir drohte ihm mit Sicherheit zum Verhängnis zu werden, zumal Sarn nicht verborgen bleiben konnte, wie nahe wir uns gekommen sind. Und dass er sich dann auch noch für Achk und Kron stark gemacht hat, hat ihn für Sarn untragbar gemacht. Deswegen hatte er wohl gar keine andere Wahl, als sich auf unsere Seite zu schlagen. Zumindest für den Augenblick.«

Arianrhod dachte an die sonderbare Veränderung des Fischers. Vielleicht hatte sie ihn von Anfang an falsch beurteilt, weil ihre Überheblichkeit sie blind gemacht hatte, vielleicht hatte er aber auch ihr - und allen anderen - etwas vorgespielt. Wie auch immer, letztlich hatte sich Rahn als alles andere als der Dummkopf erwiesen, für den sie ihn ein Leben lang gehalten hatte. »Aus Rahn bin ich immer noch nicht ganz schlau geworden«, gestand sie. »Er ist also nicht der harmlose Fischer, für den er sich immer ausgegeben hat?«

Lea schüttelte den Kopf. »Wohl kaum. Dann wäre er sicher nicht auf die Idee mit den Wildschweinen gekommen.«

»Das war Rahn?«, fragte Arianrhod verblüfft.

»Aber ja. Er hat vollkommen zu Recht gemeint, dass alle Tiere Angst vor Feuer haben und dass man mit dem entsprechenden Feuerzauber eine Gruppe Wildschweine im wahrsten Sinne des Wortes im Schweinsgalopp vor sich hertreiben könnte. Ich war mir trotzdem bis zum letzten Moment nicht sicher, dass es funktioniert.«

Wahrscheinlich hätte es das auch nicht, dachte Arianrhod. Eine Gruppe Wildschweine, noch dazu auf kopfloser Flucht vor dem Feuer, war eine ernst zu nehmende Gefahr, selbst für eine Anzahl bewaffneter Männer, und doch wären Sarns Krieger rasch mit ihnen fertig geworden, wären es nur die Schweine gewesen. Was die Männer tatsächlich in Panik versetzt hatte, das war der Anblick des schwarzen Ungeheuers gewesen, das hinter ihnen herangesprengt kam, und natürlich Dragosz’ Pfeile. Arianrhod schauderte, als ihr klar wurde, was für ein unglaubliches Glück sie und ihre Mutter gehabt hatten. Dieser Plan - wenn man ihn denn so nennen wollte - war aus purer Verzweiflung geboren und vielleicht einfach nur deshalb aufgegangen, weil im Herzen ihrer Mutter das Feuer ungezügelter Mutterliebe brannte.

Arianrhod zog den Mantel enger um die Schultern und wandte sich ab, um nach Nachtwind zu suchen. Der schwarze Hengst stand ein gutes Stück entfernt am Wegesrand und zupfte an den kümmerlichem Grashalmen, die dort wuchsen, doch als sie ihn ansah, drehte er den Kopf in ihre Richtung und ließ ein leises Schnauben hören; fast als hätte er ihren Blick gespürt und antwortete auf seine Weise. »Ich wusste gar nicht, dass man auf seinem Rücken sitzen kann«, sagte sie.

»Reiten«, verbesserte sie ihre Mutter. »Man nennt es reiten.« Sie trat an Arianrhods Seite und sah ebenfalls zu Nachtwind hin, und, wahrscheinlich, ohne dass es ihr selbst auch nur bewusst war, erschien ein sonderbarer, beinahe zärtlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Niemand hier weiß das. Die Menschen hier sind so dumm. Wo wir herkommen, lernen die Kinder manchmal das Reiten, bevor sie richtig laufen können.«

Und wahrscheinlich, dachte Arianrhod, hatte ihr genau dieses Unwissen das Leben gerettet. Selbst sie hatte im ersten Moment ja geglaubt, sich einem Dämon gegenüberzusehen, der direkt aus der Hölle emporgestiegen war, um mit Feuer und Tod über die Menschen hereinzubrechen. Auf Sarns Krieger, denen der Anblick eines Pferdes nicht annähernd so vertraut war wie ihr, musste das Bild ihrer Mutter, die auf dem Rücken des riesigen Hengstes herangesprengt kam und ihr tödliches Schwert schwang, geradezu verheerend gewirkt haben. Aber sie machte sich nichts vor. Es hatte einmal funktioniert, aber das würde es gewiss nicht wieder tun. Aus einer Überraschung ließ sich selten mehrmals ein Vorteil ziehen. »Wenn sich alle Tiere vor dem Feuer fürchten«, fragte sie nachdenklich, »warum hatte er dann keine Angst?«

Lea lächelte flüchtig. »Weil Nachtwind kein gewöhnliches Tier ist.«

Arianrhod blinzelte leicht. »Aber du hättest mir doch zumindest sagen können, dass du ihn reiten kannst!«

»Ja, das hätte ich«, sagte ihre Mutter ruhig. »Und ich hatte nicht nur das vor, sondern auch, dir selbst das Reiten beizubringen. Aber es ist nicht leicht, es zu erlernen, und deswegen habe ich auf einen günstigen Augenblick gewartet, um dich in das Geheimnis dieser edlen Tiere einzuweisen.«

Nachtwind schnaubte, wie um ihre Worte zu bekräftigen, doch dann begriff Arianrhod, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Der Hengst hob den Kopf und stieß plötzlich ein zweites, ganz anders klingendes Schnauben aus, und auch Lea fuhr mit einer raschen Bewegung herum. Ihre linke Hand machte eine Bewegung, wie um den Umhang zurückzuschlagen, den sie gar nicht mehr trug, die andere schloss sich um den Schwertgriff an ihrem Gürtel, und erst jetzt hörte auch Arianrhod das dumpfe, rasch näher kommende Hämmern.

Noch bevor sie jedoch wirklich erschrecken konnte, entspannte sich ihre Mutter wieder, und auch Nachtwind schnaubte noch einmal und abermals auf hörbar andere Art. Er stampfte zweimal mit dem rechten Vorderhuf auf, und sein langer Schweif begann aufgeregt zu peitschen.