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»Was ist los?«, fragte sie.

Lea lächelte beruhigend und machte eine entsprechende Geste mit der linken Hand, ihre Rechte löste sich jedoch nicht vom Schwertgriff. Konzentriert blickte sie in die Richtung, aus der der näher kommende Hufschlag ertönte. Arianrhod tat es ihr gleich, und nur wenige Augenblicke später gewahrte sie ein prachtvolles weißes Pferd, das um die Biegung des Waldweges galoppiert kam. Plötzlich wusste sie besser, was Sarns Krieger beim Anblick ihrer Mutter empfunden haben mussten. Obwohl sie nun um das Geheimnis des Reitens wusste, erstarrte sie für einen Moment innerlich vor Schrecken, als sie Dragosz erblickte, der mit wehendem Haar und Mantel auf dem Rücken der gewaltigen Stute saß. Selbst der tapferste Krieger musste bei diesem Anblick innerlich vor Furcht erstarren.

»Endlich.« Lea machte einen Schritt auf die Stute zu. »Dragosz! Wie sieht es aus?«

Der schwarzhaarige Krieger brachte sein Reittier nur ein kurzes Stück vor ihr zum Stehen, und das so hart, dass die Stute unwillig den Kopf in den Nacken warf und schrill wieherte. Hinter ihnen antwortete Nachtwind im gleichen Tonfall, und erst in diesem Moment erkannte Arianrhod das Tier, auf dessen Rücken Dragosz saß. Es war Sturmwind, Nachtwinds Gefährtin. Sie nahm sich vor, das, was sie bisher über diese sonderbaren Tiere zu wissen geglaubt hatte, noch einmal in aller Ruhe zu überdenken.

»Nicht gut«, antwortete Dragosz, während er bereits mit einer hastigen Bewegung von Sturmwinds Rücken glitt und Lea flüchtig in die Arme schloss. Er wirkte besorgt. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, und sein Atem ging so schnell, als wäre er die Strecke hierher gerannt und nicht auf Sturmwinds Rücken geritten. »Ich konnte nicht lange genug bleiben, um viel zu erkennen, aber ich glaube, dass sie uns bereits verfolgen. Wir müssen weg.«

»Dann sollten wir keine Zeit verlieren«, pflichtete ihm Lea bei. Sie löste sich aus seiner Umarmung, stieß einen hellen, schnalzenden Laut aus, und der schwarze Hengst hörte augenblicklich auf zu grasen und kam an ihre Seite.

»Konntest du sehen, ob Sarn noch am Leben ist?«, erkundigte sich Lea, während sie nach dem Lederriemen griff, der auf eine komplizierte Art hinter den Ohren über den Kopf und um den Pferdehals geschlungen zu sein schien und mit einem sorgfältig beschliffenen Maulteil aus Hirschhorn verknüpft war. Nachtwind senkte gehorsam den Kopf, um es ihr leichter zu machen, und Lea setzte dazu an, auf seinen Rücken zu steigen, überlegte es sich dann aber noch einmal anders und winkte Arianrhod herbei.

»Nein«, antwortete Dragosz.

»Nein, was?«, schnappte Lea unwillig. »Nein, er ist nicht mehr am Leben, oder nein, ich konnte es nicht sehen?« Sie wedelte ungeduldig mit der Hand, als Arianrhod nicht sofort auf ihre erste Bewegung reagierte, sondern nur verwirrt zwischen ihr und Dragosz hin und her sah.

»Ich konnte es nicht erkennen«, antwortete Dragosz, immer noch keuchend, nun aber in ebenso gereiztem Ton wie sie. »Ungefähr zwei Dutzend seiner Krieger waren auf dem Weg zum Waldrand, weißt du? Ich vermute, sie wollten mir die Pfeile zurückbringen, die ich auf ihre Kameraden abgeschossen habe.« Er machte ein betrübtes Gesicht. »Es waren gute Pfeile. Unser Waffenmeister wird mir Vorhaltungen machen, dass ich sie verloren habe.«

Arianrhod beeilte sich jetzt, neben ihre Mutter zu treten, und Lea packte sie ohne viel Federlesens - oder gar Rücksicht auf ihre Verletzungen zu nehmen, bei den Hüften und setzte sie so mühelos auf den Rücken des Hengstes, als wäre sie ein Säugling, und nicht beinahe so groß und schwer wie sie selbst. Unwillkürlich klammerte sich Arianrhod mit beiden Händen in der Mähne des Tieres fest, was Nachtwind mit einem unwilligen Schnauben und einem noch unwilligeren Kopfschütteln kommentierte, das sie beinahe wieder von seinem Rücken gefegt hätte.

»Lass das«, sagte Lea scharf. »Du tust ihm weh. Ich zeige dir gleich, wie man die Zügel hält.« Als Arianrhod sie nur begriffsstutzig ansah, hielt sie die Riemen nach oben. »Die Lederriemen hier - das sind die Zügel, wie du sie bislang nur in Form von Stricken kennen gelernt hast. Zusammen mit dem Zaumzeug helfen sie dabei, dass sich Mensch und Pferd besser verstehen.«

Arianrhod ließ augenblicklich die schwarze Mähne des Hengstes los, obwohl sie ganz und gar nicht davon überzeugt war, wirklich klug zu handeln. Obwohl sie sich mit beiden Beinen und aller Kraft festklammerte, hatte sie doch das Gefühl, dass sich der ganze Wald plötzlich um sie drehte, und gleichzeitig ein Dutzend unsichtbarer Hände aus einem Dutzend verschiedener Richtungen an ihr zerrten. Nachtwind schnaubte noch einmal und stand dann plötzlich stocksteif, fast als spürte er ihre Unsicherheit und wollte es ihr leichter machen, doch das Schwindelgefühl, das Arianrhod ergriffen hatte, wurde eher noch schlimmer. Und so etwas sollten die Kinder in der Heimat ihrer Mutter gelernt haben, bevor sie laufen konnten? Lächerlich!

»Dann sollten wir besser keine Zeit mehr verlieren«, sagte Lea, zu Dragosz gewandt. »Sarn ist wie eine Katze mit neun Leben. Du hättest einen deiner kostbaren Pfeile für ihn aufheben sollen.«

Mit einer Bewegung, die in Arianrhod eine Mischung aus blankem Neid und schierem Entsetzen hervorrief, schwang sie sich hinter ihr auf den Rücken des Hengstes, griff mit beiden Händen an ihr vorbei nach dem Zügel und fuhr Dragosz gleichzeitig an: »Worauf wartest du? Sie sind bestimmt schon hinter uns her!«

Der schwarzhaarige Krieger funkelte sie einen Herzschlag lang fast trotzig an, dann aber kletterte er gehorsam, allerdings weit weniger elegant oder schnell, auf Sturmwinds Rücken. Seine Hände zitterten sichtbar, als er nach dem Zügel der weißen Stute griff.

»Also los«, sagte Lea. »Halt dich gut fest.«

Obwohl sie den gewundenen Weg nicht einmal schnell erst hügelaufwärts und dann wieder -abwärts ritten, kam es Arianrhod so vor, als flöge der Wald nur so an ihnen vorbei. Gegen den ausdrücklichen Rat ihrer Mutter krallte sie sich weiter mit aller Kraft in die Mähne des Pferdes. Schließlich gab Lea es auf, und selbst Nachtwind protestierte jetzt nicht mehr gegen das Unbehagen, das ihm das Zerren an seinem Haar bereiten musste, fast als spürte das Tier, was in ihr vorging, und nähme darauf Rücksicht. Arianrhod hatte das Gefühl, sich keinen Augenblick länger auf dem Rücken des Hengstes halten zu können, als sie etwas langsamer wurden - aber nur, um in einen schmalen, tief eingeschnittenen Hohlweg einzutauchen, aus dessen Wänden fingerdicke, bizarr verdrehte und gewundene Wurzeln herauswuchsen, die nach ihnen zu greifen schienen wie die Klauen sonderbarer, gefährlicher Wesen, die unter der Erde lebten.

Arianrhod versuchte den Gedanken als albern abzutun, eine jener Geschichten, mit denen man Kinder erschreckte und von denen sie sich wirklich nicht mehr beeindrucken lassen sollte; was aber nichts daran änderte, dass ihr der bloße Anblick fast mehr körperliches Unbehagen bereitete als die Vorstellung, sich noch für eine halbe Ewigkeit irgendwie auf dem Pferderücken festklammern zu müssen. Zumindest, was den Hohlweg anging, schien ihre Mutter ihr Unbehagen zu teilen. Sie lenkte Nachtwind nur wenige Schritte weit in diesen unheimlichen, nach oben hin offenen Tunnel hinein, dann ließ sie den Hengst anhalten, sah einen Moment lang unbehaglich nach rechts und links und glitt schließlich von seinem Rücken. Wortlos streckte sie die Hände aus, und Arianrhod wartete diesmal nicht, bis sie ihre Einladung wiederholte, sondern leistete ihr ganz im Gegenteil erleichtert und sehr schnell Folge.

Nachtwind schnaubte erlöst und machte zwei oder drei vorsichtige Schritte, bevor er wieder stehen blieb und unruhig mit dem Schweif zu schlagen begann. Seine Ohren drehten sich hektisch hin und her, und seine Nüstern weiteten sich, während er misstrauisch die Luft einzog. Dem Tier gefiel diese Umgebung so wenig wie seinen Reitern, das war nicht zu übersehen, und diese Erkenntnis steigerte Arianrhods Unbehagen nur noch. Auch wenn sie nicht so weit gehen würde wie viele, die manchen Tieren übernatürliche Kräfte zusprachen, so wusste sie doch, um wie vieles feiner die Instinkte mancher Tiere als die der Menschen waren. Wenn der Hengst eine Gefahr witterte, dann war es besser, sie gingen davon aus, dass es sie auch gab.