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»Und?«, fragte sie, als sie neben Dragosz angekommen war. »Wie sieht es aus?«

»Hm«, brummelte Dragosz.

Arianrhod zog fragend die Augenbrauen zusammen. »Weißt du überhaupt, was du da tust?«, erkundigte sie sich.

Dragosz’ Finger tasteten weiter über das Bein der Stute, und Sturmwind gab einen Laut von sich, der sich in Arianrhods Ohren fast wie ein abfälliges Lachen anhörte. »Nein«, gestand er schließlich. »Ich habe nur einmal gesehen, wie deine Mutter es gemacht hat. Zu irgendetwas muss es doch schließlich Nutze sein, oder?« Arianrhod gab sich keine Mühe, das Lächeln zu unterdrücken, das sich auf ihrem Gesicht breit machte. Schließlich sah Dragosz es ja nicht.

»Aber es scheint alles in Ordnung zu sein«, sagte er schließlich, während er Sturmwinds Fesseln losließ und sich aufrichtete. Sein Blick huschte kurz zu einem Punkt irgendwo hinter ihr (vermutlich ihrer Mutter) und richtete sich dann wieder auf ihr Gesicht. Er wirkte immer noch wütend.

»Sie hat Recht, weißt du?«, sagte Arianrhod. »Wenn den Pferden etwas zustößt, sind wir verloren.«

»Ich weiß«, antwortete Dragosz missmutig. »Aber es macht einen bei seinen Mitmenschen nicht unbedingt beliebt, wenn man immer Recht hat.«

»Ist es denn besser, sich immer zu täuschen?«, gab Arianrhod zurück. Eigentlich war das scherzhaft gemeint, ein Friedensangebot, das sie ihm stellvertretend für ihre Mutter machte, aber sie las an der Reaktion auf seinem Gesicht, dass er es gründlich missverstand. Er wirkte eher noch zorniger.

»Du bist schon genau so wie sie, weißt du das?«, sagte er, ließ ihr aber keine Gelegenheit, irgendetwas darauf zu erwidern, sondern drehte sich mit einem Ruck um und ging zum Bach hinunter. »Ich sehe nach, wie es dort drüben ist«, rief er, während er mit schnellen Schritten durch das zwar reißende, aber kaum knöcheltiefe Wasser platschte. »Dieser Wald gefällt mir nicht.«

Arianrhod blickte ihm kopfschüttelnd nach, während Sturmwind noch einmal ihr sonderbares, abfällig wirkendes Schnauben hören ließ und dann davontrabte, um sich zu Nachtwind zu gesellen. Dragosz war mit vier oder fünf raschen Schritten auf der anderen Seite des Baches und zog sein Schwert, um sich mit wütenden Hieben einen Weg durch das Unterholz zu bahnen, was Arianrhod eine Menge darüber sagte, wie es wirklich in ihm aussah. Er hätte nur ein paar Schritte nach links gehen müssen, wo das Unterholz sehr viel weniger dicht war, um ganz bequem in den Wald eindringen zu können. Vielleicht brauchte er einfach irgendetwas, an dem er seinen Zorn auslassen konnte.

»Lass ihn ruhig«, erklang die Stimme ihrer Mutter hinter ihr. Arianrhod hatte nicht einmal gehört, dass sie herangekommen war. Sie drehte sich auch nicht zu ihr um. »Er beruhigt sich wieder, keine Sorge. Dragosz ist nun einmal so. Du wirst lernen, mit ihm zurechtzukommen.«

»Vielleicht hätte ich doch Jamu heiraten sollen. Obwohl ich fürchte, dass ich ohnehin nicht seinem Geschmack entspreche.« Arianrhod drehte sich nun doch zu Lea um und fügte mit bedauerndem Gesichtsausdruck hinzu: »Ich habe zwei Beine zu wenig.«

»Und um Nor zu gefallen, hättest du wahrscheinlich eine Zunge zu viel gehabt«, bestätigte ihre Mutter ebenso ernst.

»Und sie wäre auch entschieden zu spitz.« Sie schüttelte den Kopf und fuhr noch ernster und in überaus bedauerndem Ton fort: »Du siehst also, uns bleibt gar keine andere Wahl, als von hier fortzugehen, wenn wir einen passenden Mann für dich finden wollen.«

»Wollen wir denn das?«, erkundigte sich Arianrhod.

Das spöttische Funkeln in den Augen ihrer Mutter erlosch. Sie antwortete nicht, und Arianrhod bedauerte ihre Frage. Es war noch nicht lange her, da hatte sie insgeheim über die Marotte ihrer Mutter den Kopf geschüttelt, gerade in manchmal ernsten oder auch traurigen Situationen herumzualbern; ein solches Benehmen erschien ihr wenig erwachsen und einer Frau wie ihrer Mutter nicht würdig. Aber jetzt begriff sie, dass es wohl manchmal der einzige Weg war, eine solche Situation überhaupt zu ertragen.

»Ich... ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich. »Ich weiß so wenig über sein Volk. Was, wenn sie uns nicht für den Winter aufnehmen, wie es jede andere Gemeinschaft auch verweigern würde? Oder wenn es dort noch schlimmer ist als hier? Schlimmer als in Goseg, das von Männern wie Sarn und Jamu beherrscht wird?« Lea schüttelte heftig den Kopf, um ihre eigene Frage zu beantworten. »Kaum. Und selbst wenn... ich fürchte, uns bleibt gar keine andere Wahl.«

»Es ist meine Schuld, nicht wahr?«, fragte Arianrhod leise.

»Deine Schuld?«, wiederholte Lea. Sie sah verwirrt aus, einen Moment später erschrocken. »Oh, mein armer Schatz, wie kommst du denn auf diesen Gedanken? Von allen hier trägst du die wenigste Schuld, glaub mir.«

»Aber wenn ich nicht...«, begann Arianrhod, doch Lea unterbrach sie sofort. »Alles wäre ganz genau so gekommen, glaub mir, ganz gleich, was du getan hättest oder auch nicht. Sarn hat das alles von Anfang an so geplant - vielleicht schon von dem Tag an, an dem wir damals in sein Dorf kamen.« Ein flüchtiges, sehr trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht und verschwand wieder, wie ein Schatten, der sie gestreift hatte. »Ich gebe zu, ich habe ihn unterschätzt. Die ganze Zeit über habe ich gedacht, Nor wäre unser eigentlicher Feind. Dabei war es in Wahrheit Sarn.«

Und wenn dort, wo sie jetzt hingingen, auch wieder nur neue, womöglich noch gefährlichere Feinde auf sie warteten?, dachte Arianrhod. Sie kannte von diesem fremden Volk, zu dem sie nun unterwegs waren, nur Dragosz, und selbst aus ihm wurde sie nicht schlau.

»Du hast Angst vor dem, was uns erwartet, nicht wahr?«, fragte Lea plötzlich.

Arianrhod hob nur die Schultern. Was sollte sie sagen? Dass sie fürchtete, in der kalten, dunklen Jahreszeit verhungern zu müssen? Oder aber, dass sich Dragosz’ Volk als ein Volk von Barbaren herausstellte, das sie zwar aufnahm, aber nur, um sich dann mit Gewalt von ihnen zu nehmen, was immer sie wollten?

»Das kann ich verstehen«, fuhr Lea fort. Sie hatte nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet. Plötzlich wünschte sich Arianrhod nichts mehr, als dass ihre Mutter diesen allerletzten Schritt, der noch zwischen ihnen lag, tun und sie in die Arme schließen würde, sie einfach nur festhalten, ohne irgendetwas zu sagen, aber sie wusste auch, dass das nicht geschehen würde.

Ein Gefühl bitterer Trauer breitete sich in ihr aus. Ihre Mutter war nicht herzlos, und wie sehr sie sie liebte und mit welch unerbittlicher Härte sie sie zu verteidigen bereit war, hatte sie mehr als einmal bewiesen. Doch seit sie ihr eröffnet hatte, dass sie nun kein Kind mehr sei, sondern eine Frau, hatte sich ihr Benehmen ihr gegenüber verändert. Obwohl sie es niemals laut ausgesprochen hatte, wusste Arianrhod doch, dass sie sich jetzt viel mehr bemühte, eine gute Freundin für sie zu sein, und nicht länger die allmächtige Mutter, und Arianrhod verstand auch, warum sie das tat. Aber verstand Lea denn nicht, dass sie keine Freundin wollte, sondern eine Mutter?

Dragosz kam zurück. Er hielt noch immer das Schwert in der rechten Hand und hackte auch beim Verlassen des Waldes zornig auf die wenigen Äste ein, die seinem Wüten auf dem umgekehrten Weg irgendwie entgangen waren, und der Ausdruck auf seinem Gesicht war womöglich noch zorniger. Im allerersten Moment erschrak Arianrhod fast, denn sie nahm an, dass er hinter diesen Bäumen irgendetwas gesehen hatte, was mit ihren Verfolgern im Zusammenhang stand, dann aber streifte Dragosz’ Blick Lea, und das Feuer in seinen Augen schien noch heller zu lodern.