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»Es dauert nur noch einen Moment«, sagte Rahn, nachdem Arianrhod sich gesetzt und die Beine auf die gleiche Art wie er und die beiden anderen unter den Körper geschoben hatte. Erst danach ging ihr auf, dass es genau umgekehrt war: Rahn, Achk und der einarmige Jäger saßen da wie sie, in einer vielleicht unbequem aussehenden Haltung, die es aber ganz und gar nicht war, sondern es im Gegenteil möglich machte, eine geraume Zeit so dazusitzen, ohne dass sich die Muskeln verspannten oder man gar Krämpfe bekam. Diese Art zu sitzen hatten die Menschen in ihrem Dorf von ihrer Mutter gelernt, und wie so vieles hatten sie am Anfang darüber gelacht oder es schon aus Prinzip abgelehnt, nur um ihr dann umso emsiger nachzueifern, nachdem sie erst einmal begriffen hatten, wie nützlich es war.

Arianrhods Blick wanderte ohne ihr Zutun schon wieder zu dem Stück Fleisch, das Rahn an seinem Stock aufgespießt hatte. Fett, vielleicht auch Blut, tropfte heraus und fiel zischend auf das glühende Holz, das die Flammen nährte, und sie musste immer heftiger schlucken, um den Speichel loszuwerden, der sich unter ihrer Zunge sammelte.

Rahn kramte mit der freien Hand in einem Beutel herum, der hinter ihm auf dem Boden lag. Als er den Arm wieder hervorzog, hielt er ein dünnes Stück Fladenbrot in den Fingern, das aussah, als hätte jemand schon emsig daran herumgeknabbert. Arianrhod riss es ihm trotzdem regelrecht aus der Hand und verschlang es mit zwei gierigen Bissen. Der Blick, mit dem der Fischer sie dabei musterte, hätte ihr peinlich sein müssen, aber er war es nicht. Ganz im Gegenteil heftete sich ihr eigener Blick auf den Beutel, aus dem Rahn das Brot genommen hatte, und was man darin lesen konnte, musste wohl überdeutlich sein, denn Rahn schmunzelte nur und förderte ein zweites, größeres Stück Brot zutage, das Arianrhod ebenso schnell verputzte, auch wenn sie sich noch so fest vorgenommen hatte, sich zu beherrschen und nicht zu gierig auszusehen.

Gleich darauf und diesmal eindeutig fordernd, sah sie noch einmal zu dem Beutel hin, doch jetzt schüttelte Rahn den Kopf. »Wenn du zu gierig bist, wird dir nur schlecht. Eigentlich solltest du das doch wissen, oder?«

»Du meinst, weil meine Mutter mir mit solchen Weisheiten ununterbrochen in den Ohren gelegen hat?«, gab Arianrhod zurück, während sie den Beutel unverwandt anstarrte. So dick, wie er war, musste er noch eine ganze Menge Brot enthalten.

Rahn lachte leise. »Wie kommst du auf die Idee, nur dir?«, fragte er kopfschüttelnd.

Arianrhod riss ihren Blick mit einiger Mühe von den Beutel los, um Rahn irritiert anzusehen, aber schließlich deutete sie nur ein Schulterzucken an und zwang sich, eine etwas weniger verkrampfte und sprungbereite Haltung einzunehmen. Rahn hatte vollkommen Recht.

Unglücklicherweise kümmerte sich ihr Magen nicht darum, was richtig war und was falsch. Er knurrte abermals, und diesmal sehr viel lauter und anhaltender als vorher, denn die paar kümmerlichen Bissen, die sie bekommen hatte, hatten ihren Hunger allenfalls richtig angefacht. Um den peinlichen Moment zu überspielen, rettete sie sich in ein schüchternes Lächeln und fragte: »Ich... ich esse euch doch nichts weg, oder?«

Kron schüttelte den Kopf. »Nein, Vorräte haben wir im Augenblick genug.«

»Und wenn es anders wäre«, fügte Rahn mit einem breiten Grinsen hinzu, »würde es dich davon abhalten?«

Arianrhod funkelte ihn wütend an, aber sie spürte auch selbst, dass ihr Zorn nicht ganz echt war, und musste plötzlich lachen. »Nein«, gestand sie.

»Siehst du?«, meinte Rahn. Er tauchte sein Stöckchen tiefer in die Flammen, sodass sie das Fleisch nun von allen Seiten bestrichen. Das Zischen von verkochendem Fett und Blut wurde lauter, und in den Bratenduft mischte sich nun ein leicht verbrannter Geruch. Er wird es verderben, dachte Arianrhod fast entsetzt. Wieder musste sie sich mit aller Macht beherrschen, Rahn den Stock nicht einfach aus den Händen zu reißen.

Sie schluckte ein paar Mal. »Wieso war Sarn so großzügig und hat euch so viel Essen mitgegeben?«

»Vielleicht wollte er, dass man in Goseg ein Loblied auf seine Großzügigkeit und sein weiches Herz singt«, antwortete Kron an Rahns Stelle, aber der Fischer schüttelte nur den Kopf. Er sah Arianrhod weiter mit diesem sonderbar warmen Lächeln an, das ihr ebenso unangenehm war, wie es sie verwirrte und ihr zugleich auch gefiel, und fügte dann fast verächtlich hinzu: »Sarns Herz ist genauso groß wie seine Mildtätigkeit und sein Glaube an die Götter.« Er schnaubte; abfällig und leise, zugleich aber auch sonderbar belustigt. »Er hat uns diesen Wagen nur mitgegeben, weil er so schöne, breite Spuren hinterlässt, denen selbst ein Blinder folgen könnte.«

Achk sah bei diesen Worten auf und wandte das Gesicht in die ungefähre Richtung, in der er Rahn vermutete.

»Und?«, fragte Arianrhod. Auch Kron blickte den Fischer stirnrunzelnd an.

»Zwei seiner Krieger sind uns gefolgt, kaum dass die Sonne untergegangen war«, antwortete Rahn. »Ich habe sie nicht gefragt, aber ich nehme doch an, dass sie den Auftrag hatten, den Wagen samt Inhalt unversehrt nach Goseg zurückzubringen... ohne dass jemand es sieht.«

»Und?«, fragte Arianrhod noch einmal.

»Deine Mutter hat mich eine Menge nützliche Dinge gelehrt«, antwortete Rahn mit einem sonderbaren Lächeln. »Unter anderem auch, wie man Spuren verwischt. Selbst die eines Wagens.«

Arianrhod blickte zweifelnd, und auch der Ausdruck auf Krons Gesicht wurde immer fragender.

»Dann... dann sind sie immer noch auf der Suche nach euch?«, fragte Arianrhod beunruhigt.

»Die beiden Männer?« Rahn lächelte dünn und drehte das Fleisch in den Flammen, sodass das Zischen und Brutzeln noch einmal lauter wurde. »Nein. Nicht mehr.«

Arianrhod wartete darauf, dass er weitersprach, aber Rahn lächelte nur still und schien sich plötzlich ganz auf den Braten an seinem Stock zu konzentrieren, doch nach einer Weile sagte Achk: »Du warst gestern Nacht eine Weile fort.«

»Jeder Mann muss dann und wann einmal allein in den Wald gehen«, antwortete Rahn. »Du etwa nicht?«

»Als du zurückgekommen bist, hast du nach Blut gerochen«, beharrte Achk.

»Da muss ich wohl auf ein Kaninchen getreten sein«, antwortete Rahn versonnen. Er wandte den Kopf und starrte Achk an, und obwohl dieser blind war, schien er seinen Blick irgendwie zu spüren, denn er beharrte nicht auf diesem Thema, sondern zog nur wieder diese abstoßende Grimasse, die er sich angewöhnt hatte, seit er nichts mehr sehen konnte, und die wohl nur er selbst für ein Lächeln hielt.

»Das Fleisch ist fertig«, sagte Rahn in verändertem Ton, während er den Spieß aus den Flammen nahm und ihn Arianrhod hinhielt. »Aber sei vorsichtig. Es ist sehr heiß.«

Er hatte nicht übertrieben. Selbst das entfernte Ende des Stocks, das Arianrhod mit spitzen Fingern ergriff, war so heiß, dass sie es kaum festhalten konnte. Sie verbrannte sich an dem Fleisch kräftig die Zunge und die Lippen, was aber vermutlich ein Glück war, denn sonst hätte sie womöglich versucht, ihre gesamte Beute mit einem einzigen Bissen hinunterzuschlingen. So knabberte sie gezwungenermaßen vorsichtig an den brutzelnden Brocken und wagte es lediglich, mit den Zähnen kleine Stücke davon abzureißen, die sie nahezu unzerkaut hinunterschluckte.

Das Fleisch war alles andere als gut durchgebraten, und es schmeckte auch deutlich verbrannt. Arianrhod hatte auch keine Ahnung, was sie da eigentlich aß, dafür aber das sichere Gefühl, dass es auch nicht sehr viel besser geschmeckt hätte, hätte ihre Mutter es in aller Ruhe zubereitet oder sonst jemand, der wirklich etwas davon verstand und nicht nur zeit seines Lebens mehr oder weniger rohen Fisch gegessen hatte. Dennoch hatte sie das Gefühl, niemals etwas Köstlicheres bekommen zu haben.

Schweigend und mit großer Konzentration aß sie das ganze Stück auf, das groß genug gewesen wäre, selbst einen kräftigen Mann von Rahns Statur satt zu bekommen, und leckte hinterher sogar noch den Ast ab, an dem ein wenig Bratensaft heruntergelaufen war. Rahn sah ihr mit stillem Vergnügen dabei zu, während sich auf Krons Zügen ein Ausdruck großer Verblüffung ausbreitete, als er sah, welche Portion sie ohne innezuhalten herunterschlang.