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Natürlich wurde ihr hinterher schlecht. Eigentlich schon, während sie aß, aber das störte sie nicht. Sie versuchte nicht, gegen das Gefühl anzukämpfen, sondern ignorierte es einfach und genoss stattdessen die Tatsache, sich zum allerersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr hungrig zu fühlen. Als sie endlich fertig war und alles, was sie noch von dem behelfsmäßigen Bratenspieß hätte ablecken können, seine verbrannte Rinde war, warf sie das Stöckchen ins Feuer, faltete umständlich die Beine auseinander (wobei sie streng darauf achtete, dass ihr Umhang geschlossen blieb) und ließ sich nach hinten und auf die Ellbogen sinken. Ihr war ein bisschen mulmig zumute. Wenn sie sich jetzt zu hastig bewegte, das wusste sie, dann würde ihr tatsächlich übel werden.

Aber sie hatte auch gar nicht vor, sich zu bewegen. Stattdessen schloss sie die Augen, legte den Kopf in den Nacken und drehte das Gesicht so, dass sie die wärmenden Strahlen der Sonne spüren konnte. Sie würde jetzt einfach so sitzen bleiben und das Gefühl genießen, satt zu sein, nicht um ihr Leben fürchten oder vor irgendetwas oder irgendjemandem davonrennen zu müssen, und sich unter Freunden zu befinden. Vielleicht bis zum nächsten Frühjahr, oder auch dem darauf folgenden.

Sie spürte eine Bewegung in ihrer unmittelbaren Nähe und öffnete träge - aber auch ein bisschen alarmiert - die Augen, doch es war nur Rahns Hand, die eine prall mit Wasser gefüllte Ziegenblase vor ihrem Gesicht schwenkte, sodass ihr Inhalt leise gluckerte. Dankbar griff sie danach, trank ein paar große Schlucke und stellte fest, dass das Wasser warm und ein wenig abgestanden schmeckte und nicht annähernd so köstlich wie jenes aus dem Bach, aus dem ihre Mutter und sie vorhin getrunken hatten.

»Stimmt mit dem Wasser irgendetwas nicht?«, fragte Rahn, als sie ihm den Schlauch zurückreichte.

Arianrhod lächelte flüchtig. »Nein, eher mit mir.«

Rahn verknotete den Wasserschlauch sorgfältig wieder und blickte sie fragend an.

»Ich stelle nur gerade fest, dass ich ziemlich undankbar bin«, fügte Arianrhod erklärend hinzu; was aber dem fragenden Ausdruck auf seinen Zügen nach zu urteilen anscheinend keine Erklärung war. Arianrhod machte sich jedoch nicht die Mühe, noch weiter auszuholen, sondern stemmte sich seufzend ein wenig in die Höhe und lauschte einen Moment lang mit geschlossenen Augen in sich hinein. Ihr Magen revoltierte immer noch ein bisschen, und sie spürte deutlich, dass nicht nur Männer von Zeit zu Zeit allein in den Wald gehen mussten, wie Rahn es gerade ausgedrückt hatte, sondern auch sie, und zwar bald; aber im Augenblick war sie viel zu träge, um eine solch gewaltige Anstrengung auf sich zu nehmen.

»Und jetzt erzähl uns von deinen Abenteuern«, verlangte Achk plötzlich. Arianrhod sah ihn einen Atemzug lang verwirrt an. Was wusste dieser Blinde von Abenteuern? Er war niemals aus seinem heimatlichen Dorf herausgekommen, auch nicht, als er noch sehen konnte. Sie schüttelte den Kopf, bevor ihr einfiel, dass Achk die Bewegung ja nicht sehen konnte.

Er musste sie aber gespürt haben, denn er zog eine Grimasse, und seine Stimme wurde quengelnder. »Du musst uns sagen, wie es dir ergangen ist«, beharrte er. »Wie bist du entkommen? Was wollten sie dir antun?«

Arianrhod setzte zu einer scharfen Entgegnung an, fing aber dann im letzten Augenblick einen warnenden Blick von Rahn auf und beherrschte sich. »Sie wollten mich umbringen«, sagte sie knapp, »und meine Mutter und Dragosz haben mich befreit.«

Die weißen Kugeln, die Achk anstelle von Augen hatte, starrten sie einen Moment lang fassungslos an. »Und das... ist alles?«

»Das ist alles«, bestätigte Arianrhod. Achk wollte auffahren, aber Kron versetzte ihm einen derben Knuff gegen die Schulter. »Sie will nicht darüber reden! Verstehst du das denn nicht, du alter Dummkopf?«, raunzte Kron ihn an.

»Aber sie ist es uns schuldig«, jammerte Achk. »Sie hat an unserem Feuer gesessen und unser Essen gegessen! Jetzt muss sie uns von ihren Abenteuern erzählen!«

»Halt endlich den Mund, du dummer Krüppel!«, versetzte Kron. Achk japste nach Luft, als hätte er einen Hieb in den Leib bekommen, und versuchte nach Kron zu schlagen, verfehlte ihn aber natürlich, und Kron versetzte ihm einen zweiten, noch derberen Schubs, der den Alten fast aus dem Gleichgewicht gebracht hätte.

Arianrhod unterdrückte ein Grinsen, während sie den beiden Streithähnen zusah. Ein Krüppel, der den anderen als Krüppel beschimpfte, das erschien ihr ziemlich verrückt, aber sie spürte zugleich natürlich auch, dass der Streit nicht ernst gemeint war. Viel mehr war es wohl die Art dieser beiden Männer, mit dem schweren Schicksal fertig zu werden, das sie ereilt hatte. Und sie konnte Achk auch fast verstehen. Der Blinde lebte in einer Welt, die nur aus Gerüchen und Geräuschen bestand, und vor allem aus Worten. Für ihn waren Geschichten viel mehr als für alle anderen. Sie waren nahezu alles, was ihm das Leben noch zu bieten hatte. Später, wenn das alles hier vorbei war, und wenn die Bilder in ihrem Kopf weit genug verblasst wären, um nicht mehr nur durch ihre bloße Anwesenheit wehzutun, würde sie ihm vielleicht erzählen, was an diesem Morgen wirklich geschehen war. Vielleicht.

Sie spürte Rahns durchdringenden Blick. Der Fischer lächelte, während er sie ansah, aber da war auch noch mehr in seinen Augen. Etwas, das sie an die Art erinnerte, auf die er sie vorhin angesehen hatte, drüben am Waldrand, als er über Dragosz und seine Freunde sprach.

»Was bedrückt dich?«, fragte sie geradeheraus.

Rahn wirkte nicht im Geringsten überrascht, dass sie ihm seine Gefühle so deutlich ansah. Vielleicht hatte er sie nur auf diese bestimmte Art angeblickt, damit sie die Frage stellte. »Nichts«, behauptete er. »Vielleicht bedauere ich nur ein wenig, dass es so lange gedauert hat, bis ich dich richtig kennen gelernt habe.« Und du mich. Das sprach er nicht laut aus, aber irgendwie hörte Arianrhod es trotzdem.

»Dafür bleibt uns ja jetzt noch genug Zeit«, antwortete sie, aber Rahns Reaktion fiel vollkommen anders aus, als sie erwartet hätte. Statt zu nicken, eine entsprechende Bemerkung zu machen oder gar nichts zu tun, fuhr er fast unmerklich zusammen und warf dann einem verstohlenen Blick zu Achk und dem Einarmigen hin, wie um sicherzugehen, dass sie ihn auch nicht belauschten. Die beiden Männer waren jedoch so sehr in ihr albernes Gezänk vertieft, dass sie rein gar nichts mehr von dem wahrzunehmen schienen, was rings um sie herum vorging. Rahn setzte dazu an, etwas zu sagen, besann sich dann aber eines Besseren und erhob sich. Er forderte Arianrhod nicht auf, ihm zu folgen, als er mit gemächlichen Schritten davonschlenderte, aber sie spürte, dass er es irgendwie von ihr erwartete, und so folgte sie ihm; auch, wenn es ihr tatsächlich schwer fiel, sich hochzustemmen.

»Also?«, fragte sie direkt, als sie aus der Hörweite der beiden anderen heraus waren.

»Was?«, erkundigte sich Rahn.

Arianrhod machte ein ärgerliches Gesicht. »Du wolltest mir doch irgendetwas sagen«, sagte sie. »Lass mich raten: etwas, das Kron und Achk nicht hören sollen.«

Rahn zögerte noch einmal unmerklich, dann jedoch seufzte er und sagte: »Ja - auch wenn ich eigentlich sicher bin, dass sie es schon wissen. Achk ist vielleicht blind, aber nicht dumm. Und er hat gute Ohren.«

»Und was?«, fragte Arianrhod. Sie hatte das Gefühl, die Antwort bereits zu kennen, und gestand sich ein, dass sie diese Frage im Grunde nur stellte, weil da immer noch die widersinnige Hoffnung in ihr war, er könnte etwas anderes sagen.

Er tat es nicht. Stattdessen ging er noch ein paar Schritte, bis sie die Stelle erreicht hatten, in der der ebene Boden der Lichtung in die steil ansteigende Wand des Tales überging. »Wir werden nicht mit euch kommen«, sagte er dann.