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Obwohl es genau das war, was Arianrhod erwartet hatte, erschrak sie bis ins Innerste. »Was sagst du da?«, murmelte sie.

Rahn drehte sich nun doch zu ihrer Mutter um und maß sie mit einem langen, traurigen Blick. »Dragosz wird uns nicht mitnehmen«, bestätigte er. »Noch für ein kleines Stück. Wenn seine Männer hier eintreffen, dann können wir bei ihnen bleiben, bis wir weit genug gekommen sind, damit uns von Sarns Kriegern keine Gefahr mehr droht. Aber sie werden uns nicht mit zurück zu seinem Volk nehmen.«

»Aber... aber warum denn nicht?«, murmelte Arianrhod verstört.

»Aus demselben Grund, aus dem Sarn uns davongejagt hat«, antwortete Rahn. Er klang nicht zornig, fand Arianrhod, sondern allerhöchstens ein wenig verbittert, und das auf eine Art, die weder Sarn noch Dragosz zu gelten schien, sondern allenfalls dem Schicksal, jener übermächtigen Kraft, gegen die aufzubegehren noch nie irgendeinen Sinn gemacht hatte. »Die beiden Krüppel sind zu nichts nütze. Sie können nicht arbeiten und würden den anderen nur zur Last fallen. Niemand hat etwas zu verschenken.«

»Aber... aber das ist nicht... nicht gerecht!«, empörte sich Arianrhod. »Ohne euch wäre ich jetzt tot!«

»Ich weiß«, sagte Rahn traurig. »Und deine Mutter und Dragosz wissen das auch. Aus diesem Grund hat Dragosz auch beschlossen, dass wir noch eine Weile mit ihnen ziehen dürfen, bis wir in Sicherheit sind.« Er schüttelte hastig den Kopf und hob ein wenig die Stimme, als Arianrhod abermals auffahren wollte. »Die beiden Krieger, die bei uns sind, waren nicht damit einverstanden.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte Arianrhod. »Sprichst du etwa ihre Sprache?«

Rahn verneinte. »Das ist auch gar nicht nötig. Man muss nicht immer die Worte verstehen, um zu wissen, worüber geredet wird. Sie haben sich heftig gestritten. Wenn Dragosz wirklich der Herrscher seines Volkes ist, dann bringen sie ihm nicht sehr viel Respekt entgegen. Ich hatte das Gefühl, dass er all seine Macht in die Waagschale werfen musste, nur um ihnen schon dieses kleine Zugeständnis abtrotzen zu können.«

Arianrhod war hin- und hergerissen zwischen Wut, Fassungslosigkeit und schierer Empörung. Ihr Blick suchte Dragosz und fand ihn am anderen Ende der Lichtung, wo er dastand und sich leise mit ihrer Mutter unterhielt. »Aber das ist...«

»Nun einmal der Lauf der Welt«, unterbrach sie Rahn. Als sie wieder zu ihm sah, lächelte er seltsamerweise. »Wer nicht für seinen Lebensunterhalt arbeitet, der hat auch kein Anrecht auf Essen. So ist es bei uns, und wohl auch bei ihnen. Vielleicht überall.« Er schüttelte wieder den Kopf. »Ich würde nicht anders entscheiden, an seiner Stelle.«

»Aber ich!«, behauptete Arianrhod überzeugt. »Es ist einfach nicht richtig!« Dann, ganz plötzlich, fiel ihr auf, was an Rahns Worten nicht stimmte. Durchdringend sah sie den Fischer an. »Aber wieso du? Wenn er Kron und Achk schon nicht mitnehmen will, du bist jung und gesund und kräftig. Du kannst arbeiten.«

Rahns Blick wurde auf eine schwer zu greifende Weise noch trauriger. »Ja«, sagte er, schüttelte jedoch zugleich schon wieder den Kopf. »Aber es hätte keinen Sinn. Dragosz würde mich niemals in seiner Nähe dulden.«

»Hat er das gesagt?«, erkundigte sich Arianrhod.

»Nein«, antwortete Rahn. »Aber ich weiß es. Für ihn bin ich ein Verräter. So wie mittlerweile auch für Sarn - und das, obwohl ich mich ihm nur ein einziges Mal offen widersetzt habe.« Er zuckte andeutungsweise mit den Schultern. »Vielleicht bin ich das sogar. Immerhin habe ich meinen Schamanen verraten.«

»Um mich zu schützen!«, wandte Arianrhod ein.

»Trotzdem bleibt es Verrat«, erwiderte Rahn. »Ich habe den Schamanen, dem ich die Treue geschworen habe, hintergangen - und schlimmer noch, damit auch den neuen Hohepriester von Goseg. Er könnte niemals sicher sein, dass ich es nicht wieder tue. Und ich habe die Blicke gesehen, mit denen uns seine Männer ansehen. Sie würden nie jemanden aus unserem Volk in ihrer Mitte dulden.«

»Aber meine Mutter und ich...«

»... seid Frauen«, unterbrach sie Rahn. »Das ist ein Unterschied.« Er schüttelte abermals und jetzt heftiger den Kopf, auf eine Art, die aus der Bewegung eine Entscheidung machte, an der nichts mehr zu ändern war. »Wir werden euch noch ein Stück begleiten, bis wir weit genug aus Gosegs Machtbereich heraus sind, und dann trennen wir uns. Vielleicht findet sich irgendwo ein Platz, wo wir leben können. Ich kann fischen, und Kron kann mir das Jagen beibringen. Und vielleicht haben die Götter mehr Mitleid mit uns als die Menschen.«

Wenn er über dieselben Götter sprach, die Nor und Sarn anbeteten, dachte Arianrhod, dann musste er sich darüber im Klaren sein, dass er sich selbst belog. Noch einmal und noch entschiedener schüttelte sie den Kopf. »Das lasse ich nicht zu«, wiederholte sie. »Ich werde mit meiner Mutter sprechen.«

»Nein!«, sagte Rahn, hastig, fast schon erschrocken. »Bitte, tu das nicht.«

»Warum nicht?«

»Ihr würdet euch nur streiten«, antwortete Rahn, »und das will ich nicht.«

Arianrhod sah ihn einen Herzschlag lang verständnislos an, bevor sie begriff, was die Worte des Fischers wirklich bedeuteten. Das ungläubige Keuchen, mit dem sie die Luft ausstieß, hörte sich fast wie ein kleiner Schrei an. »Und du... du willst damit sagen, dass... dass meine Mutter...«

»Es war auch ihre Entscheidung«, sagte er. »Und sie hat Recht.« Ausgerechnet aus seinem Mund fand Arianrhod diese Worte geradezu absurd, und sie schürten ihre Empörung nur noch. Ganz gleich, was Rahn jetzt auch noch sagen mochte, sie fuhr herum und setzte dazu an, zu ihrer Mutter und Dragosz hinüberzustürmen. In diesem Moment jedoch tauchte der Krieger, den Dragosz vorhin weggeschickt hatte, wieder aus dem Unterholz auf, und trotz der großen Entfernung konnte Arianrhod den besorgten Ausdruck erkennen, der auf seinem Gesicht lag.

Mitten in der Bewegung hielt sie inne. »Was geht da vor?«, murmelte sie.

Sie konnte spüren, wie Rahn hinter ihr die Schultern hob. »Ich weiß es nicht. Aber es gefällt mir nicht.«

Arianrhod konnte ihm nur stumm beipflichten. Dragosz und der andere unterhielten sich hastig und auch jetzt wieder von eifrigen Gesten und Deuten begleitet, dann verschwand der Krieger abermals im Unterholz, während Dragosz auf der Stelle herumfuhr und mit weit ausgreifenden Schritten den Wagen ansteuerte, hinter dem Kron und der Schmied noch immer am Feuer saßen. Sein Gesicht hatte sich vor Zorn verdunkelt, und er schritt so schnell aus, dass Lea, die ihm folgte, alle Mühe hatte, auch nur mit ihm Schritt zu halten.

Auch Arianrhod und Rahn setzten sich in Bewegung und kamen nahezu gleichzeitig mit Dragosz bei den beiden an. »Was ist? Ist etwas geschehen?«, fragte sie, noch bevor Dragosz auch nur die Gelegenheit hatte, ein einziges Wort zu sagen.

Für einen Moment blitzte es wütend in seinen Augen auf; ein Zorn, der nicht ihr galt, sich aber um ein Haar auf ihr entladen hätte, ganz einfach, weil sie die Erste war, die sich als Zielscheibe anbot. Nur mit sichtlicher Mühe beherrschte er sich. Statt sie anzuschreien, wonach ihm wahrscheinlich zumute war, sagte er gepresst: »Sie kommen!«

»Sarns Krieger?«, fragte Kron erschrocken. Auch Achk legte mit einem Ruck den Kopf in den Nacken und starrte aus weit aufgerissenen, leeren Augen zu Dragosz hoch.

»Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, antwortete Dragosz. »Barosch sagt, dass sie rasch zu uns aufschließen.«

»Dann müssen wir kämpfen«, sagte Rahn, aber Dragosz schüttelte nur heftig und scheinbar noch zorniger werdend den Kopf.

»Dazu sind es zu viele«, antwortete er. »Mindestens ein Dutzend, wenn nicht mehr.« Sein Blick heftete sich nun fest auf Rahns Gesicht, und in seinen Augen erschien ein Ausdruck, der schlimmer war als Zorn. »Ich hätte mich nie auf dein Wort verlassen dürfen«, grollte er. »Ihr müsst deutliche Spuren hinterlassen haben.«