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»Du gefällst ihm«, sagte Lea. »Ich glaube, du hast einen neuen Freund gewonnen.«

Arri bedachte den Hengst mit einem schrägen Blick. Er mochte vielleicht nicht so boshaft und angriffslustig sein, wie der Anblick seines nachtschwarzen Fells und des beeindruckenden Gebisses sie glauben machte, aber er war ein Tier, und ein schrecklich starkes dazu. Ihr Freund?

Die Herde hatte sich mittlerweile zerstreut. Etliche Tiere grasten friedlich, andere tollten mit den Jungtieren herum, von denen Arri eine ganze Anzahl gewahrte, wieder andere standen einfach da und taten gar nichts; vielleicht Wächter, die nach Raubtieren Ausschau hielten, die versuchen mochten, sich im hohen Gras unbemerkt anzuschleichen. Arri sah jetzt auch, dass sie sich kräftig verschätzt hatte, was die Größe der Herde anging. Es waren vielleicht vierzig oder fünfzig Tiere, noch immer eine gewaltige Menge, die aber nicht nach hunderten zählte.

Sie drehte sich wieder zu ihrer Mutter um und wollte etwas sagen, doch da traf sie ein Stoß in den Rücken, der fast sanft war, zugleich aber so kraftvoll, dass sie haltlos zwei, drei Schritte nach vorn stolperte und nur mit Mühe und heftig rudernden Armen ihr Gleichgewicht wieder fand. Empört fuhr sie herum und wich hastig noch einen weiteren Schritt rückwärts gehend zurück, als sie sah, wem sie diesen rüden Stoß zu verdanken hatte. Das Pferd war nicht ganz so groß wie Nachtwind - aber auch nicht wirklich kleiner - und hatte ein schwarzweiß geschecktes Fell, eine lange, strahlend weiße Mähne und einen schwarzen Schweif. Noch während sich Arri völlig verdattert fragte, ob dies nun ein heimtückischer Angriff oder ein Versehen gewesen war, kam es mit zwei Schritten näher, senkte den Kopf und stupste sie mit seiner weichen Schnauze so kräftig vor die Brust, dass sie schon wieder unbeholfen nach hinten stolperte und noch heftiger mit den Armen rudern musste, um nicht zu stürzen.

»He!«, begehrte sie auf. »Was soll denn das?«

Ihre Mutter lachte schallend. »Vielleicht solltest du ihr einfach die Nüstern streicheln oder den Hals. Ich wette, dass sie dann aufhört.«

Arri warf ihrer Mutter zwar einen zweifelnden Blick zu, aber das gescheckte Ungeheuer trabte schon wieder heran, und so beeilte sie sich, ihrem Rat nachzukommen. Hastig streckte sie die Hand aus und tätschelte den schwarzweiß gefleckten Hals des Pferdes, und tatsächlich bekam sie jetzt keinen weiteren Knuff mehr. Ganz im Gegenteil schnaubte das riesige Tier vor lauter Wohlwollen. Arri fuhr zwar noch einmal zusammen, als sich der gewaltige Schädel ihrem Gesicht näherte, doch diesmal beließ es das Ungeheuer dabei, seine Nüstern kurz an ihrer Wange zu reiben; dann drehte es sich plötzlich um und lief ein paar Schritte weit davon, bis es stehen blieb und an den saftigen Grashalmen zu zupfen begann, die die Ebene bedeckten.

»Ich muss mich verbessern«, sagte Lea hinter ihr. »Ich glaube, du hast zwei neue Freunde gewonnen.«

Arri drehte sich halb zu ihr um, sah aber immer wieder zu dem schwarzweißen Schecken. Sie sagte nichts, doch der Ausdruck auf ihrem Gesicht schien so komisch zu sein, dass ihre Mutter schon wieder in ein leises, spöttisches Gelächter ausbrach.

»Das ist Morgenwind«, sagte sie. »Nachtwinds Tochter.« Ohne Arris Reaktion auf ihre Eröffnung abzuwarten, drehte sie sich zu dem riesigen Hengst um, der mittlerweile wieder an ihre Seite getreten war, tätschelte mit der linken Hand seinen Hals und fuhr ihm mit der anderen fast liebkosend über die Nüstern. »Du hast deiner Tochter gesagt, wer Arianrhod ist, nicht wahr?«, fragte sie. »Das war eine gute Idee. Ich bin sicher, unsere Kinder werden genauso gute Freunde, wie wir es sind.«

Arri wusste im ersten Moment nicht, was sie sagen sollte. Sie fragte sich, ob ihre Mutter nur einen Scherz hatte machen wollen. »Du... du sprichst doch nicht etwa wirklich mit ihnen?«, murmelte sie schließlich hilflos.

»Selbstverständlich tue ich das. Und sie mit mir.«

»Du... du machst dich über mich lustig.« In Arris Stimme war sehr wenig Überzeugung, und obwohl ihre Mutter sich nun wieder zu ihr umdrehte, dauerte es eine ganze Weile, bis sie antwortete; immer noch lächelnd, nun aber mit einem sonderbaren Ernst in der Stimme. »Keineswegs. Nachtwind und die Seinen sind meine Freunde. Vielleicht die besten, die ich jemals hatte.« Sie hob rasch die Hand, als Arri etwas sagen wollte, und fuhr in verändertem Ton fort: »Ich glaube wirklich, dass sie mich verstehen. Nicht die Worte, nicht, was ich sage. Aber sie spüren, dass ich nicht ihr Feind bin, und ich spüre, dass es umgekehrt genauso ist.«

Arri sah sich abermals verwirrt um, antwortete aber trotzdem: »Es sind nur Tiere, Mutter.«

»Nur Tiere?« Lea hörte auf, Nachtwinds Hals zu streicheln, und versetzte ihm stattdessen einen Klaps mit der flachen Hand auf die Flanke. Der Hengst reagierte darauf mit einem enttäuschten Schnauben, drehte sich aber gehorsam um und rannte zu seiner Tochter. Kaum hatte er die gescheckte Stute erreicht, fielen beide in einen leichten Trab und liefen ein gutes Stück weit davon, bevor sie ausgelassen herumtollten.

»Nur Tiere«, sagte Lea noch einmal. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ja, das mag vielleicht sogar stimmen. Aber es sind ganz besondere Tiere. Nicht nur Nachtwind und seine Herde, auch wenn er gewiss ein ganz außergewöhnliches Exemplar ist. Die Menschen hier wissen nicht, was Pferde wirklich sind. Für die allermeisten sind sie nur Wild, dass sie jagen können und deren Fleisch äußerst schmackhaft ist. Einige wenige spannen sie vor Karren und halten sich auch noch für besonders schlau, weil sie diese prachtvollen Tiere eine Arbeit tun lassen, für die die Götter Ochsen und Kühe erschaffen haben.« Sie schüttelte heftig den Kopf, als versetze sie allein die Vorstellung schon in Zorn. »Sie haben ja keine Ahnung.«

»Und... was sind sie wirklich?«, fragte Arri zögernd.

Ein sonderbarer Ausdruck trat in die Augen ihre Mutter, fast so etwas wie Wehmut, vielleicht auch eine sachte Spur von Trauer. Ihre Stimme wurde leiser. »In meiner Heimat...« Sie verbesserte sich. »In unserer Heimat waren Pferde für uns etwas ganz Besonderes. Wir waren für unsere Pferde fast so berühmt wie für das Geschick unserer Seeleute und die Tüchtigkeit unserer Händler. Wir züchteten Tiere, die auf der ganzen Welt begehrt waren. Als ich so alt war wie du, Arianrhod, hat mir mein Vater mein erstes eigenes Pferd geschenkt. Es war ein Fohlen, ein Hengst wie Nachtwind, und auch ebenso schwarz. Er hat mir sein Leben lang treue Dienste geleistet, und als er schließlich starb, da war es wirklich ein Freund, der von mir ging, nicht nur ein Tier. Du wirst mich verstehen, wenn du sie erst einmal ein bisschen besser kennen gelernt hast. Ich glaube, Morgenwind mag dich. Sie ist sonst eher scheu. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um ihr Vertrauen zu erringen. Du kannst sehr stolz darauf sein, dass sie ganz von sich aus zu dir gekommen ist.«

Arri schwieg dazu, schon weil es gar nichts gab, was sie hätte sagen können. Sie war noch immer viel zu überrascht, um sich wirklich eine Meinung über das bilden zu können, was sie sah oder was ihre Mutter ihr erzählt hatte, aber sie musste nur einen einzigen Blick auf Leas Gesicht werfen, um zu begreifen, dass sie sich nicht etwa über sie lustig machte, sondern diese Worte bitter ernst meinte. Und irgendwie konnte sie sie auch verstehen. Nun, wo sie ihren ersten Schrecken überwunden und begriffen hatte, dass ihr von diesen Tieren keine Gefahr drohte, fiel Arri die Schönheit und Anmut dieser großen, kräftigen Geschöpfe mehr und mehr ins Auge. Längst nicht alle waren so muskulös und beeindruckend wie Nachtwind, manche sogar eher klein, nicht viel größer als Kälber, obwohl sie offensichtlich ausgewachsen waren. Doch es ging etwas von ihnen aus, das Arri zwar nicht mit Worten beschreiben konnte, das ganz zweifellos aber genau dem entsprach, was sie in der Stimme ihrer Mutter hörte und in ihrem Blick las.