»Kron! Achk!«, sagte Lea scharf. Sie schob Arri mit sanfter Gewalt zur Seite, war mit einem raschen Schritt bei Kron und dem Blinden und begutachtete den Schaden. »Ist es nicht zu reparieren?«, fragte sie stirnrunzelnd.
Achk strich weiter mit den Fingerspitzen und schließlich mit der Handfläche über die verbogene Messerklinge. Es zischte abermals, und lauter. »Es ist verdorben«, nörgelte er. »Ich selbst könnte es vielleicht noch retten, wenn du mir nicht mein Augenlicht geraubt hättest, aber dieser Dummkopf doch nicht! Er hat alles zunichte gemacht!«
»Ich glaube, wir haben genug gesehen«, mischte sich Sarn ein. Er schnaubte abfällig. »Ich war von Anfang an dagegen, aber diesen einen Versuch musste ich dir geben, Lea, schon um Krons und Achks willen.« Er hob unmerklich, aber wirkungsvoll die Stimme. »Aber nun ist es genug. Hör mit diesem grausamen Spiel auf, bevor am Ende noch ein Unglück geschieht.«
Lea achtete nicht weiter auf ihn. Sie tastete mit den Fingerspitzen nach dem Messer, zog die Hand aber sofort und mit einem schmerzhaften Verziehen der Lippen wieder zurück. Trotzdem sagte sie: »So schlecht finde ich es gar nicht.« Sie wandte sich mit einem fragenden Blick an Achk, den der Blinde zwar nicht sehen konnte, aber irgendwie zu spüren schien, denn er drehte das verbrannte Gesicht in ihre Richtung und sah sie aus seinen erloschenen Augen an.
»Wie lange hast du gebraucht, um dein erstes Messer zu schmieden?«
Achk antwortete nicht darauf, aber Lea schien damit auch nicht wirklich gerechnet zu haben, denn sie drehte sich fast augenblicklich zu Sarn um und fuhr fort: »Bestimmt länger als ein paar Tage, nehme ich an.«
Sarn machte ein abfälliges Geräusch. »Du bist verrückt. Bereitet es dir Freude, diese armen Menschen zu quälen?«
»Es bereitet mir Freude, ihnen eine Gelegenheit zu geben«, antwortete Lea mit einem dünnen Lächeln. »Und eurem Dorf auch. Ihr braucht doch einen neuen Schmied, oder?«
»Nachdem du uns den alten genommen hast, ja.« Sarn wurde plötzlich zornig. Mit einer wütenden Geste stocherte er nach Achks verbranntem Gesicht. »Reicht dir nicht, was du ihm angetan hast? Musst du ihn auch noch zum Gespött des ganzen Dorfes machen? Oder wartest du auf seinen Tod?«
Er machte eine weitere, wütende Handbewegung, die diesmal aber nicht Lea oder dem blinden Mann galt, sondern den Umstehenden. »Genug, sage ich. Lasst diese armen Menschen in Ruhe!«
»Warum fragst du sie nicht, ob sie in Ruhe gelassen werden wollen?«, entgegnete Lea. »Kron, glaubst du, dass ihr es schafft?«
Kron zog ein missmutiges Gesicht und warf einen noch missmutigeren Blick auf das kümmerliche Ergebnis seines ersten Versuchs, die Schmiedekunst zu erlernen, aber schließlich nickte er - und zu Arris Überraschung grunzte nach einem weiteren Moment auch Achk eine widerwillige Zustimmung.
»Dann ist es wohl entschieden«, sagte Lea. »Achk ist ein guter Schmied. Sein Wissen ist unersetzlich für euch alle. Ihr könnt es euch nicht leisten, es verloren gehen zu lassen. Blind ist er euch nicht mehr von Nutzen, aber Kron kann für ihn sehen. Er wird Achks Augen sein, und Achks Hände werden seinen verlorenen Arm ersetzen.«
»Das ist verrückt«, beharrte der Schamane. »Und es ist nicht der Wille der Götter.«
»Das haben sie dir gesagt, nehme ich an?«, fragte Lea.
Sarn presste die rissigen Lippen aufeinander und funkelte sie an, und auch Lea selbst schien zu spüren, dass sie damit vielleicht ein bisschen zu weit gegangen war, denn sie beeilte sich, sich wieder zu Achk umzudrehen und zu fragen: »Du hast jetzt fünf Tage mit Kron gearbeitet. Glaubst du, dass du ihn deine Kunst lehren kannst?«
»Wenn er lernt, seine Kraft im Zaum zu halten«, nörgelte Achk. Er drehte das Gesicht in die Richtung, in der er Kron vermutete. »Er ist ein grober Klotz, aber er wird es schon lernen.«
»Und du bist verrückt, alter Mann«, sagte Sarn, was Arri einigermaßen komisch vorkam, denn schließlich war er ein gutes Stück älter als Achk. »Vielleicht kannst du ihn ja lehren, den Hammer zu schwingen und deine Werkstücke krumm zu schlagen, aber wer wird deine Formen herstellen? Wer wird die Feinarbeiten vornehmen? Du, ohne etwas zu sehen, oder er, mit nur einer Hand? Mach dich nicht lächerlich!«
Kron wollte auffahren, aber Lea brachte ihn mit einem mahnenden Blick zum Verstummen und legte dem blinden Schmied zugleich beruhigend die Hand auf die Schulter. Achk fuhr sichtlich zusammen. Seit er blind war, hasste er es, ohne Vorankündigung angefasst zu werden.
»Du wolltest einen Beweis, dass es möglich ist«, fuhr Lea fort, noch immer erstaunlich ruhig und nun wieder direkt an den Schamanen gewandt. Das Bronzemesser war inzwischen offenbar weit genug abgekühlt, dass sie es in der Hand halten konnte, ohne sich zu verbrennen, denn sie nahm die krumm gebogene Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und hielt sie fast triumphierend in die Höhe.
»Ihr seht es«, rief sie mit leicht erhobener Stimme. »Es ist nicht vollkommen, aber ein Anfang ist gemacht. Warum es also nicht weiter versuchen?«
»Unsinn!« Sarn stampfte wütend mit seinem Stock auf. »Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du unser Dorf zum Gespött des ganzen Landes machst!«
Es fiel Arris Mutter jetzt sichtlich immer schwerer, ruhig zu bleiben. Vielleicht gelang es ihr tatsächlich nur, weil sie ebenso deutlich wie Arri und alle anderen hier spürte, dass Sarn sie um jeden Preis zum Äußersten treiben wollte.
»Ich habe nichts dergleichen vor«, sagte sie ruhig. Ihre Finger begannen mit dem Messer zu spielen; vielleicht weil die Klinge doch noch zu heiß war, um sie länger als ein paar Augenblicke ruhig zu halten, vielleicht auch aus einem ganz anderen Grund.
»Es ist doch ganz einfach, Sarn. Ihr habt keinen Schmied. Von den drei Jägern, die es im Dorf gab, ist einer tot und der andere verkrüppelt. Ihr habt drei wichtige Mitglieder eurer Gemeinschaft verloren und dafür zwei zusätzliche Mäuler zu stopfen. Was habt ihr zu verlieren, wenn ihr bis zum nächsten Frühjahr wartet und seht, ob sie lernen zusammenzuarbeiten? Vor dem nächsten Frühling werdet ihr ohnehin niemanden finden, der hierher kommt, um Achks Platz einzunehmen. Wenn überhaupt«, fügte sie nach einer winzigen und - Arri war sicher, genau berechneten - Pause hinzu. »Ein halbes Jahr, Sarn, ein Winter, in dem nach der reichen Ernte dieses Jahres wohl kaum jemand Hunger leiden wird. Ist das zu viel verlangt für zwei Männer, die ihr Leben für euch alle eingesetzt haben?«
Der Schamane machte eine Bewegung, wie um abermals mit seinem Stock aufzustampfen, aber dann beließ er es bei einem letzten, verächtlichen Blick und stapfte davon. Ein gut Teil der Neugierigen, die gekommen waren, um Leas Niederlage mit anzusehen, folgte ihm, aber etliche blieben auch; vielleicht die, die gekommen waren, um Zeuge von Sarns Niederlage zu werden. Seltsamerweise stimmte dieser Gedanke Arri nicht froh, obwohl er es eigentlich sollte.
»Es wird nicht funktionieren«, sagte Kron plötzlich; allerdings erst, nachdem der Schamane und seine Begleiter sich ein gutes Stück entfernt hatten, und auch dann so leise, dass niemand außer Arri, ihrer Mutter und dem Blinden die Worte hören konnte. Er klang auf eine Weise niedergeschlagen und zornig zugleich, die Arri bei einem Mann wie ihm niemals erwartet hätte.
Auch ihre Mutter wirkte überrascht. Sie sagte jedoch nichts, sondern musterte den einarmigen Jäger nur einen Moment lang abschätzend und drehte sich dann mit einer abrupten Bewegung zu dem knappen Dutzend Männer und Frauen um, die vor der Hütte zurückgeblieben waren.
»Es gibt hier nichts mehr zu sehen«, sagte sie scharf. »Ihr könnt gehen. Es sei denn, ihr wollt bleiben und Achk helfen, seine Hütte wieder herzurichten.«
Die Hälfte der Neugierigen entfernte sich sofort und die andere Hälfte, nachdem Lea sie nacheinander scharf angesehen hatte. Auch dann blickte sie ihnen noch einen Moment lang aufmerksam hinterher, bis sie sicher war, dass sie auch tatsächlich gingen, und wandte sich schließlich mit einem flüchtigen Lächeln wieder zu Kron um.