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»Das wirkt immer. Du musst den Menschen nur sagen, dass du Freiwillige für eine unliebsame Arbeit suchst, und schon haben sie alle plötzlich etwas furchtbar Wichtiges zu tun.« Sie wurde übergangslos wieder ernst, und ihre Stimme gewann ebenso an Schärfe wie ihr Blick an Härte. »Ich will einen solchen Unsinn nicht noch einmal hören. Wenigstens nicht, solange Sarn oder einer der anderen in der Nähe ist.«

»Aber er hat Recht«, sagte Kron düster. »Ich kann das nicht. Ich werde es nie können.« Er streckte den Arm aus, nahm Lea den grifflosen Bronzedolch aus der Hand und drückte ihn dann in seiner gewaltigen Pranke zusammen, ohne sich dabei übermäßig anstrengen zu müssen. Lea zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Die Legierung ist zu weich«, sagte sie.

»Zu weich?« Achks Hände tasteten mit erstaunlicher Zielsicherheit in Krons Richtung, wanderten wie dürre, knochenbeinige Spinnen an seinem Arm hinauf und rissen ihm den Dolch regelrecht aus den Fingern. »Zeig her!«

»Achk«, sagte Lea. »Das ist doch nicht weiter...«

»Sie hat Recht«, keifte Achk. »Es ist zu weich! Du hast zu viel Zinn in die Mischung getan! Du Dummkopf! Ich habe es dir hundertmal gesagt, aber du hast nicht zugehört! Die Legierung war falsch! Kannst du Dummkopf denn gar nichts richtig machen?«

Lea warf ihm einen scharfen Blick zu, den Achk natürlich nicht sehen konnte - und hätte er ihn gesehen, vermutete Arri, so wäre er ihm herzlich egal gewesen -, aber Krons Miene wurde noch mürrischer.

»Du tölpelhafter, grober Kerl!«, schimpfte er weiter. »Warum hast du nicht einfach getan, was ich dir aufgetragen habe?«

»Achk!«, sagte Lea scharf. »Das reicht jetzt!«

»Aber er hat doch Recht«, sagte Kron niedergeschlagen. »Ich kann das nicht. Ich bin Jäger, kein Schmied. Ich werde das nie lernen.«

»Willst du den Rest deines Lebens auf die Mildtätigkeit anderer angewiesen sein?«, fragte Lea. »Oder - schlimmer noch - in der Angst leben, dass die Ernte einmal nicht so reich ausfällt wie in diesem Jahr, die Jäger das Jagdglück verlässt und man so mit euch verfährt, wie das früher hier üblich war, und euch als Hungerleider mit Schimpf und Schande aus dem Dorf jagt?«

»Aber er hat Recht!«, sagte Kron noch einmal. »Wir haben es versucht, doch ich kann es nicht. Und ich werde es auch nie lernen. Solche Dinge sind nichts für mich. Ich kann Spuren lesen. Ich kann mich an einen Hirsch heranpirschen, ohne dass er mich bemerkt, und ich kann einen Eber in vollem Lauf mit dem Pfeil treffen...« Er brach ab, biss sich auf die Unterlippe und starrte mit leerem Blick auf seinen Armstumpf hinab, bevor er mit leiserer, zitternder Stimme fortfuhr: »... oder konnte es einmal. Das ist nichts für mich. Sarn hat Recht. Ich werde es nie lernen. Am Ende werden alle über mich lachen, und dann werden sie mich eines Tages sowieso aus dem Dorf jagen.«

Arri bemerkte aus den Augenwinkeln, wie ihre Mutter zu einer scharfen Entgegnung ansetzte - Geduld hatte niemals zu ihren Tugenden gehört -, aber sie kam ihr zuvor. »Du warst der beste Jäger, den dieser Stamm je hatte, nicht wahr?«, fragte sie.

Krons Blicke wurde noch mürrischer. »Du sagst es, Mädchen. Ich war es. Und dass ich nicht mehr jagen kann, ist nicht nur für mich schlimm, sondern für uns alle. Es bedeutet, dass das Dorf weniger frisches Fleisch auf den Tisch bekommen wird.«

»Du hast deinen Arm verloren, nicht dein Wissen«, antwortete Arri. »Du könntest es mir beibringen. Zeig mir alles, was du weißt. In ein paar Tagen kann ich sicher auf die Jagd gehen und ebenso erfolgreich sein wie du.«

Kron starrte sie fassungslos an. »Du weißt ja nicht, was du redest, du dummes Kind. In ein paar Tagen? Nicht einmal in einem Jahr könnte ich dich auch nur einen Bruchteil von dem lehren, was du wissen musst, um erfolgreich auf die Jagd zu gehen.«

»Und wieso glaubst du dann, du müsstest in wenigen Tagen alles verstehen, was Achk dir beibringen kann?«, fragte Lea sanft.

Kron starrte sie an, dann Arri und schließlich wieder sie. Dann schüttelte er erneut den Kopf. »Weibergewäsch. Sarn hat Recht. Ihr redet und redet, bis einem schon vom Zuhören der Kopf schwirrt und man euch am Ende alles verspricht, nur damit ihr Ruhe gebt!«

»Oh, so funktioniert das«, sagte Lea belustigt. »Warum hast du mir das nicht schon längst verraten?«

Kron blieb ernst. »Sarn hat Recht«, sagte er noch einmal. »Man kann euch nicht trauen. Ihr treibt ein grausames Spiel mit mir.«

Und damit wandte er sich um und ging mit hängenden Schultern davon.

»Wo geht er hin?«, krächzte Achk. Seine blinden Augen bewegten sich unruhig hin und her. »Was tut er? Wohin geht er?«

»Fort«, antwortete Lea. »Aber mach dir keine Sorgen. Er kommt zurück. Spätestens in zwei Tagen.«

11

Es dauerte nicht zwei, sondern fünf Tage, in denen es nach den letzten heißen Sommertagen fast ununterbrochen regnete, aber am Schluss kam Kron zurück, und Achk nahm seine unterbrochene Ausbildung wieder auf, und damit wurde alles nur noch schlimmer. Arri selbst bekam kaum etwas davon mit, denn ihre Mutter verbot ihr nicht nur strengstens, das Dorf zu betreten und mit irgendeinem anderen außer ihr zu reden, sondern sogar die Hütte - außer in ihrer Begleitung - zu verlassen, und obwohl Arri über die Ungerechtigkeit und Willkür dieses Verbots aufs Äußerste empört war, hielt sie sich daran. Dennoch hätte sie schon blind sein müssen, um nicht zu spüren, wie die Stimmung im Dorf allmählich umschlug. Es war nicht so, dass jemand etwas gesagt oder sie oder ihre Mutter gar angegriffen hätte, doch Lea wurde immer wortkarger und abweisender, wenn sie Abends tropfnass wie eine streunende Wildkatze zurückkam und Arri sie fragte, was sie erlebt hatte, und bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie ihr gestattete, sie ins Dorf zu begleiten, konnte sie die Feindseligkeit, die ihnen entgegenschlug, mehr als deutlich spüren.

Zweifellos steckte Sarn dahinter. Lea weigerte sich beharrlich, auf jede entsprechende Frage zu reagieren, aber die Blicke, die ihnen die Menschen aus dem Dorf zuwarfen - oder eben auch gerade nicht -, sprachen ihre eigene, sehr deutliche Sprache. Was Arri spürte, war zwar noch weit von blankem Hass entfernt, aber es ging deutlich über die unterschwellige Ablehnung und das niemals ganz erloschene Misstrauen allen Fremden gegenüber hinaus, die Arri bereits zur Genüge kennen gelernt hatte. Etwas änderte sich, und es war keine Veränderung zum Guten.

Das Einzige, was sich nicht änderte, waren ihre heimlichen Ausflüge in den Wald, bei denen sie trotz der zunehmenden nächtlichen Kälte statt sorgfältig geschnürter Fußlappen nur leichte Sandalen trug, und die auch nur mit Widerwillen, da ihr Barfußlaufen immer noch am liebsten war. Nachdem ihre Mutter ihr verboten hatte, die Hütte zu verlassen, verbrachte sie ihre Tage außer mit den alltäglichen Verrichtungen wie der Pflege ihres Gartens und dem notdürftigen Flicken ihrer zerrissenen Sommerbluse mit nichts anderem, als eine neue Grasmatratze als Ersatz für die von Rahn entweihte und zuvor von Krons Blut besudelte zu fertigen. Ohne viel zu zögern, schob sie mit Beendigung ihrer Arbeit die alte Matratze im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Mutter unter - zu ihrer Enttäuschung, ohne dass diese es überhaupt bemerkte.

Ihr Groll darüber währte allerdings nicht lange. Wie ihre Mutter es durchhielt, sich nahezu den ganzen Tag um Kron und den blinden Schmied zu kümmern, die Kranken und Verletzten des Dorfes zu versorgen, sich Rahns Nachstellungen zu erwehren (wenn auch nicht immer; das schien ein Teil ihrer Abmachung zu sein, auch wenn Arri sich hütete, sie danach zu fragen), nebenbei auch noch all ihren anderen Pflichten und unterschiedlichen Aufgaben nachzukommen und noch jede Nacht mit ihr hinaus in den Wald zu gehen, um ihre Ausbildung fortzusetzen, war ihr ein Rätsel. Aber sie tat es, und was Arri schon vorher und nicht unbedingt angenehm aufgefallen war, wurde noch deutlicher: Sobald sie - meist kurz nach dem Nachtzenit - die Hütte verließen und sich auf den Weg zur Quelle auf der Lichtung machten, schien aus ihrer Mutter eine vollkommen andere Person zu werden. Ihre Fahrigkeit und ihr übellauniges, abweisendes Wesen waren dahin, und sie wurde zu einer geduldigen, wenn auch strengen Lehrerin.