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Immerhin fiel ihr auf, dass Sarn kein bisschen anders aussah als sonst - ein dürrer, alter Mann, der ein ausgemergeltes und von Falten zerfurchtes Gesicht mit einem sorgfältig gestutzten Bart und bis auf die Schultern fallendes, strähniges graues Haar hatte und stets wie unter einer unsichtbaren Last nach vorn gebeugt dastand. Sein Wickelgewand und der buntfarbene Umhang waren schmutzig und an zahllosen Stellen geflickt, doch weder an seinen Kleidern noch auf seinem Gesicht oder seinen Händen war Ruß, und sein Gesicht glänzte auch nicht vor Schweiß, noch war er außer Atem und so vollkommen erschöpft wie alle anderen hier. Seine Beteiligung an den Löscharbeiten hatte sich offensichtlich auf reines Zusehen beschränkt.

Arri hütete sich, eine entsprechende Bemerkung zu machen, doch allein der Blick, mit dem sie den Dorfältesten maß, schien verräterisch genug zu sein, denn sein Gesicht verdüsterte sich noch weiter, und in seinen vom Alter trüb gewordenen Augen blitzte es wütend auf. »Was starrst du mich so an, Hexenkind?«, zischte er.

Arri schwieg noch immer beharrlich, aber sie bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Rahn ein Stück von ihr zurückwich und hinter den Schamanen trat; als hätte er Angst, in etwas hineingezogen zu werden, mit dem er lieber nichts zu tun haben wollte. Für einen winzigen Moment wollte sich der verrückte Gedanke in Arris Kopf einnisten, dass er es auch tat, um den Alten im Zweifelsfall packen und von ihr wegzerren zu können, doch sie sagte sich zugleich selbst, wie närrisch diese Vorstellung war. Ganz egal, was ihre Mutter Rahn auch versprochen oder bereits gegeben hatte, der Fischer war viel zu feige, um in der Öffentlichkeit derart deutlich Stellung zu beziehen.

»Wirst du gefälligst antworten, wenn ich mit dir rede?«, fuhr Sarn fort. Arris beharrliches Schweigen schien ihn immer wütender zu machen. Herausfordernd trat er auf sie zu und schwenkte den knorrigen Stab, auf den er sich bisher gestützt hatte.

Arri machte eine erschrockene und ganz unbewusst abwehrende Bewegung mit beiden Händen, die Sarn jedoch als Angriff auszulegen schien; vielleicht hatte er auch nur auf einen Vorwand gewartet. Bevor Arri ihre Bewegung auch nur halb zu Ende gebracht hatte, schwang er seinen Stock und schlug nach ihr.

Der Hieb war lächerlich langsam und unbeholfen, und es bereitete ihr trotz aller Erschöpfung nicht die geringste Mühe, dem Schlag auszuweichen. Worauf sie nicht gefasst war, war Sarns zweiter Hieb, bei dem seine flache Hand so hart gegen ihre Schulter schlug, dass sie mit haltlos rudernden Armen rückwärts taumelte und dann ungeschickt auf das Hinterteil plumpste. Es tat so weh, dass ihr die Tränen in die Augen schossen, was Sarn aber anscheinend nicht zu genügen schien. Noch immer seinen Stock schwenkend und lautstark zeternd, setzte er ihr nach, während Rahn sich ebenso unauffällig wie konsequent ein gutes Stück zurückzog. So viel zu ihrer Hoffnung, dass er tatsächlich in ihrer Nähe blieb, um das zu tun, wofür ihre Mutter ihn bezahlte, nämlich auf sie aufzupassen...

»Du unverschämtes Balg!«, zeterte Sarn. »Du wagst es, die Hand gegen mich zu heben? Ich werde dir den Respekt beibringen, den deine Mutter dich offensichtlich nicht gelehrt hat!«

Er schwang den Stock noch höher und jetzt mit beiden Armen, und Arri wusste, dass er diesmal treffen würde.

Als Sarn zuschlug, blitzte es silberhell hinter ihm auf. Sein Stock fuhr nicht auf Arri herab, sondern flog in hohem Bogen davon und verschwand in der Dunkelheit, und Sarn selbst taumelte zwei Schritte zur Seite und wäre um ein Haar gestürzt, wäre Rahn nicht plötzlich wie aus dem Boden gewachsen hinter ihm aufgetaucht, um ihn aufzufangen.

»Was ist hier los?«, fragte Lea scharf. Sie hatte das Schwert wieder gesenkt, machte aber keine Anstalten, es vollends einzustecken, sondern funkelte Sarn und Rahn abwechselnd und auf eine Art an, als wäre nun sie es, die nur auf einen Vorwand wartete, um zuzuschlagen. »Musst du dich jetzt schon mit Kindern schlagen, Sarn?«, fragte sie aufgebracht. »Wenn du kämpfen willst, dann heb deinen Stock auf und greif mich an. Oder hast du Angst, von einer Frau besiegt zu werden?«

Sie warf Arri einen raschen, aber aufmerksamen Blick zu - Alles in Ordnung? -, wandte sich dann wieder an den Schamanen und schob das Schwert in die breite Lederschlaufe an ihrem Gürtel. Die Härte in ihrem Blick nahm noch zu, als sie die Arme ausbreitete und in unverändertem Ton, aber hörbar lauter fortfuhr: »Nur zu, Sarn. Falls es mein Schwert ist, das du fürchtest - ich verspreche dir, dass ich es nicht ziehen werde. Nimm ruhig deinen Stock, wenn du Angst hast, gegen eine Frau zu kämpfen.«

Arri stemmte sich umständlich in die Höhe. Ihre Knie zitterten noch immer, und ihr Herz jagte, als wolle es in ihrer Brust zerspringen. Sie war erleichtert, dass ihre Mutter ihr im letzten Moment zu Hilfe gekommen war - von Sarns Stock getroffen zu werden war nicht lustig. Der knorrige, halb mannslange Stab war schwer wie Stein und vermutlich ebenso hart. Ein Schlag damit hätte ihr glatt den Schädel zertrümmert - aber sie verstand nicht wirklich, was Lea jetzt tat. Niemand im Dorf mochte den Schamanen, aber er war ein alter Mann, der schon länger lebte als irgendein anderer aus ihrer Mitte, und sie selbst war die stärkste Frau, der Arri jemals begegnet war; vielleicht sogar der stärkste Mensch. Selbst Rahn fürchtete sie, auch wenn er das niemals zugeben würde. Lea gewann nichts, wenn sie diesen alten Mann einschüchterte. Ganz im Gegenteil. Wenn Sarn etwas vollkommen beherrschte, dann die Macht auszuspielen, die die Schwachen über die Starken hatten. Ihre Mutter musste das ebenso gut wissen wie sie.

»Du wagst es, mich zu bedrohen?«, giftete der Schamane. »Aber was habe ich erwartet, von einer wie dir? Was du angerichtet hast, reicht dir ja anscheinend noch nicht.« Er riss seinen Arm los und bückte sich tatsächlich nach seinem Stock, allerdings nur, um sich schwer darauf zu stützen, und nicht, um damit auf Lea loszugehen. Er sprach auch nicht sofort weiter, sondern sah sich rasch nach allen Seiten um - vermutlich um sicherzugehen, dass er auch genügend Zuhörer hatte.

»Seht ihr denn nicht, dass mit dieser Hexe das Unglück über uns alle gekommen ist?«, rief er mit nicht einmal viel lauterer, aber mit einem Male durchdringender und weithin hörbarer Stimme. »Sie behauptet, es gut mit uns zu meinen! Sie sagt, dass sie Geschenke bringt, aber ihre Geschenke bringen den Tod: Das neue Metall, das sie uns versprochen hat, hat Achk das Augenlicht gekostet! Sie hat uns gelehrt, bessere Ernten zu erzielen, aber seither sind die Winter kälter geworden, und das Frühjahr kommt immer später! Sie hat uns gelehrt, mehr Wild zu jagen, doch seither sind die Wälder voller Ungeheuer und böser Geister, und sie hat gesagt, sie werde uns helfen, in Frieden mit unseren Nachbarn zu leben und besseren Handel zu treiben, und jetzt schleichen Fremde durch die Wälder, die unsere Jäger töten und vielleicht unser aller Untergang planen!«

Er fuchtelte mit seinem Stock in die Richtung, in der die Glut der brennenden Schmiede allmählich zu verblassen begann. »Wir haben es nur der Gnade der Götter zu verdanken, dass das Feuer nicht auf das ganze Dorf übergegriffen hat! Wir alle hätten zugrunde gehen können!«

Wenn diese Worte ihre Mutter irgendwie beeindruckten, so ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Lea strich mit den Fingerknöcheln über den Schwertgriff. »Ich frage mich, der Gnade welcher Götter wir es wohl zu verdanken haben, dass das Feuer überhaupt ausgebrochen ist«, sagte sie in fast heiterem Tonfall. Sie lächelte sogar, aber ihre Augen blieben dabei so kalt und hart wie Eis.

Sarn ächzte. »Du wagst es, die Götter auch noch zu verhöhnen, Weib?«

»Ich wage es, eine Frage zu stellen«, erwiderte Lea ruhig, schnitt dem Dorfältesten aber zugleich mit der linken Hand das Wort ab, noch bevor er überhaupt noch etwas sagen konnte. Ihre andere Hand ruhte weiter auf dem Schwergriff. »Und wenn du fertig damit bist, den Zorn der Götter auf mein Haupt herabzubeschwören, alter Mann, dann könntest du mir ja dabei helfen, die Verwundeten zu versorgen.« Sie drehte sich mit einem Ruck herum. »Arianrhod, komm mit! Wir haben eine Menge Arbeit.«