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»Glaubst du, dass das klug war?«, fragte Arri, nachdem sie sich wieder auf den Weg zu Achks ehemaliger Hütte gemacht hatten und kaum, dass sie auch nur halbwegs aus der Hörweite des Schamanen heraus waren. Obwohl ihre Mutter ganz genau wissen musste, wovon sie sprach, zögerte sie kurz und sah sie mit einem Verständnislosigkeit vorspiegelnden Stirnrunzeln an. »Was?«

»Sarn so zu reizen«, antwortete Arri. »Die Götter zu beleidigen.«

»Wie kann ich seine Götter beleidigen, wenn ich nicht an sie glaube?«, gab Lea mit einem Kopfschütteln zurück. Sie beschleunigte ihre Schritte ein wenig, sodass Arri rascher ausgreifen und fast rennen musste, um nicht zurückzufallen. »Und was Sarn angeht - ich glaube nicht, dass er meine Antwort überhaupt gehört hat. Er hat sich diese Rede schon seit langem sorgsam zurechtgelegt und nur auf eine Gelegenheit gewartet, sie vor möglichst vielen Zuhörern loszuwerden.« Sie lachte ganz leise. »Glücklicherweise ist er nicht besonders gut in solchen Dingen. Niemand wird ihm glauben.«

Was das anging, war Arri nicht annähernd so sicher, wie ihre Mutter es zu sein schien. Niemand hatte Sarn laut zugestimmt, und sie war noch viel zu erschrocken und aufgeregt gewesen, um außer in Rahns auch nur in ein einziges anderes Gesicht zu blicken, aber ihrer Mutter konnte so wenig wie ihr entgangen sein, wie sehr sich die Stimmung im Dorf in den letzten Tagen gegen sie gewandt hatte. Ihre Mutter mochte durchaus Recht haben - Sarn war gewiss kein begnadeter Redner. Aber die Menschen im Dorf waren einfache Menschen, bei denen einfache Worte besser ankamen und nachhaltiger wirkten als eine geschliffene Rede, wie sie Lea zu führen vermochte. Ihre Mutter musste das ebenso gut wissen wie sie; genau, wie sie besser als sie wissen musste, welchen schlimmen Fehler sie mit ihrem Auftritt gerade begangen hatte. Warum tat sie so, als wäre alles in Ordnung?

Mittlerweile hatten sie sich dem Ort der Katastrophe genähert, und rings um sie herum waren zu viele neugierige Ohren, als dass Arri es wagte, weiter über dieses Thema zu sprechen. Sie nahm sich fest vor, es bei der ersten sich bietenden Gelegenheit nachzuholen, auch wenn sie das sichere Gefühl hatte, dass ihre Mutter das wusste und ihr ganz gewiss so schnell keine solche Gelegenheit geben würde.

Von der Hütte, in der Achk all die Jahre über gelebt und die Rahn vor wenigen Tagen erst wieder sorgsam aufgebaut hatte, war tatsächlich nichts mehr geblieben. Die Hitze und ein den Atem abschnürender Geruch nach verkohltem Holz und heißem Stein und Metall lagen noch immer in der Luft, und der beißende Qualm trieb Arri die Tränen in die Augen. Die Hand voll Bäume, die der Hütte am nächsten gestanden hatten, waren zu schwarzen Skeletten verbrannt und aller Blätter und dünneren Äste beraubt, und auch das Unterholz existierte nicht mehr. Was davon übrig war, lag als graue Ascheschicht auf dem Boden, die bei jedem unvorsichtigen Schritt aufwirbelte und sie zum Husten reizte. In weitem Umkreis waren die Bäume nahezu blattlos; was an den Ästen geblieben war, das hatte sich braun verfärbt und wirkte wie welk, als wäre auf diesem Flecken der Herbst zu früh und mit zu großer Macht gekommen. Und Achks Hütte selbst...

... war einfach nicht mehr da.

Obwohl Arri die ungeheure Kraft des Feuers am eigenen Leib gespürt hatte, blieb sie fassungslos stehen und starrte den schwarzen, zwanzig Schritte durchmessenden Kreis an, in dessen Zentrum die Hütte des Blinden gestanden hatte. Wände und Decke waren ebenso wie das Unterholz und die Blätter zu feiner, weißer Asche zerfallen, und selbst von Achks Werkzeug, das zu einem gut Teil aus Metall bestanden hatte, war kaum noch etwas geblieben. Ungefähr dort, wo sich sein Schmelzofen befunden haben musste, ragte ein unförmiger Klumpen aus der Asche, ein Stück daneben einige kleinere, ungewöhnlich geformte Gebilde, bei denen es sich vielleicht um Zinn- und Kupfererz gehandelt hatte, die Achk und Kron benötigt hatten, um Bronze daraus zu schmelzen, aber wenn, so mussten sie in der ungeheuren Hitze des Feuers nicht nur geschmolzen sein, sondern auch ihre Farbe verändert haben, denn Arri erkannte sie nicht.

»Wo sind Kron und Achk?«, flüsterte sie erschrocken. Gleichzeitig sah sie sich hastig um. Etliche Männer und Frauen - viele von ihnen verletzt, wie sie erschrocken feststellte, und alle ausnahmslos zu Tode erschöpft, wie es schien - hatten sich da, wo sie gerade standen, zu Boden sinken lassen, wobei sie einen respektvollen Abstand zu dem geschwärzten Kreis auf der Erde einhielten, fast als fürchteten sie, das Feuer noch einmal heraufzubeschwören, das sie gerade mit so viel Mühe und so knapp besiegt hatten. Kron und der Blinde waren nicht unter ihnen.

»Hat die Reihenfolge, in der du nach ihnen fragst, irgendetwas zu bedeuten?«, erkundigte sich ihre Mutter lächelnd, wurde aber sofort wieder ernst. »Mach dir keine Sorgen. Es geht ihnen gut. Abgesehen von ein paar Brandblasen und Schrammen ist ihnen nichts geschehen.« Sie machte eine Kopfbewegung zur anderen Seite des verkohlten Kreises hin, wo das Feuer nicht nur Achks Hütte und einen Teil des Waldes verschlungen, sondern auch den Trampelpfad ausgelöscht hatte, der hinunter zu ihrer eigenen Hütte führte. Zuvor hatte das Astwerk die freie Sicht auf den Steinkreis verborgen, auf dessen ferne, aber deutlich sichtbare Ecksteine Arri jetzt mit Unbehagen starrte. »Ich habe sie zu uns nach Hause geschickt«, drang die Stimme ihrer Mutter in Arris aufgewühlte Gedanken. »Du kannst nach ihnen sehen, wenn du willst - und bring Verbandszeug und Salbe auf dem Rückweg mit. Ich fürchte, ich werde heute Nacht eine ganze Menge davon brauchen.«

Arri nickte hastig, riss sich von dem Anblick der steinernen Riesen los, die den Eingang des Heiligtums mit sturer Gleichmut zu bewachen schienen, und lief los. Obwohl sie sich selbst gerade noch in Gedanken darüber lustig gemacht hatte, ertappte sie sich nun dabei, einen großen Bogen um den Kreis aus schwarz verbrannter Erde zu machen. Der Boden war noch immer so heiß, dass es wehtat, auf nackten Füßen darüber zu gehen. Arri beschleunigte ihre Schritte, und der scharfe Geruch wurde für einen Moment so durchdringend, dass sie den Atem anhielt und sich ihre Augen aufs Neue mit Tränen füllten und selbst dann noch brannten, als sie sie weggewischt hatte. Ein dürrer, schwarz verbrannter Ast, der vorher noch nicht hier gewesen war, hätte um ein Haar ihr Gesicht getroffen. Als Arri die Hand hob, um ihn beiseite zu drücken, zerfiel er unter ihrer Berührung zu Asche.

Als sie aus dem Wald gekommen waren, hatte ihre Hütte dunkel dagelegen. Doch als sie jetzt mit ihren hastig aufgeklaubten Sandalen in der Hand wieder auf sie zuhielt, drang der ruhig brennende Schein einer Öllampe durch die Ritzen der Läden, und noch bevor sie die Stiege hinauflief, konnte sie die Stimmen von Kron und dem blinden Schmied hören, die sich gedämpft, aber aufgeregt unterhielten.

Als sie die Hütte betrat, erlebte sie eine Überraschung, auch wenn sie nicht behaupten konnte, dass sie angenehm war. Nicht nur Achk und der einarmige Jäger erwarteten sie, sondern auch Rahn, der als Einziger stand und mit vor der Brust verschränkten Armen und einem so dümmlichen Grinsen auf dem Gesicht in ihre Richtung sah, dass Arri gar nicht nachfragen musste, um zu wissen, dass er sie erwartet und durch eines der Gucklöcher hindurch beobachtet hatte. Welches Spiel spielte der Fischer mit ihnen? Das letzte Mal hatte sie ihn bei Sarn gesehen, und das war noch nicht lange her. Ihre Mutter mochte ja vielleicht Kron und Achk hierher geschickt haben, aber hätte sie auch nur ein einziges Wort mit dem Fischer gewechselt, wäre das Arri nicht entgangen.

»Wer ist das?«, fragte Achk, als er ihre Schritte und das Klimpern des Muschelvorhangs hörte.