»Und du ein dummes Weib«, polterte Achk. »Es war nicht deine Schuld. Ich habe lange darüber nachgedacht. Was du mir über das Zaubermetall deines Volkes erzählt hast, muss stimmen.«
Lea wollte abermals widersprechen, doch Achk schien das irgendwie zu spüren. Vielleicht hatte er es auch erwartet, denn er machte eine rüde Handbewegung und fuhr mit lauter Stimme fort: »Ich bin Schmied, Weib. Der Sohn eines Schmiedes, der auch der Sohn eines Schmiedes war. Wenn es etwas gibt, worauf ich mich verstehe, dann ist es das Metall. Was du mir erzählt hast, war richtig. Vielleicht war ich zu ungeduldig. Vielleicht war die Mischung nicht richtig. Vielleicht war das Feuer zu heiß oder nicht heiß genug.«
»Vielleicht reicht es auch nicht, ein paar Tempeltänze und wohlklingende Lieder zu kennen, um die Welt zu verändern«, sagte Lea.
»Wenn du wohlklingende Lieder kennst, warum singst du sie dann nicht«, fragte Achk patzig, »statt mit einer Stimme wie eine heisere Krähe zu keifen?« Er wiederholte seine ärgerliche Geste, obwohl Lea diesmal gar nicht dazu angesetzt hatte, ihn zu unterbrechen. »Wir versuchen es noch einmal. Und noch einmal und noch einmal, wenn es sein muss. Und irgendwann werden wir nicht nur Bronze schmelzen, sondern auch das Zaubermetall, von dem du gesprochen hast.«
»So viel Zeit wird uns nicht bleiben, fürchte ich«, sagte Lea traurig. »Sarn wird nicht aufgeben. Und er wird gewiss nicht tatenlos zusehen, wie wir ihn vor aller Augen zum Narren machen.«
»Und wenn wir es ihm einfach sagen?«, fragte Arri aufgeregt.
Nicht nur Rahn und ihre Mutter sahen sie auf eine Art an, als zweifelten sie ernsthaft an ihrem Verstand. Auch Achk drehte das Gesicht in ihre Richtung und zog die verbrannten Narben zusammen, die die Stelle seiner Augenbrauen eingenommen hatten.
»Ich meine es ernst«, beharrte sie. »Sarn kann sein, wie er will, aber er ist kein Dummkopf.« Sie deutete heftig gestikulierend auf das Schwert an der Wand über ihrer Mutter. »Er muss doch verstehen, was das Geheimnis dieses Metalls für die Menschen hier im Dorf bedeutet. Warum sagt ihr ihm nicht einfach, was ihr plant? Vielleicht wird er uns sogar helfen, wenn er weiß, dass es um das Zaubermetall geht.«
»Manchmal wünschte ich mir, noch einmal so jung zu sein wie du«, sagte ihre Mutter sanft. »Das Leben ist um so vieles einfacher, wenn man geradeaus denkt.«
Rahn lachte, und Arri wurde wütend. »Geradeaus oder dumm?«, fragte sie zornig.
»Das war nicht böse gemeint«, sagte Lea. »Glaub mir, Arianrhod, ich wünschte wirklich, es wäre so einfach, wie du glaubst. Aber leider ist es das nicht.«
»Und was ist so falsch daran?«, fragte Arri. Sie war noch immer wütend, und trotz des ungewohnt versöhnlichen Tones, in dem ihre Mutter mit ihr sprach, wurde sie sogar immer noch wütender.
»Nichts«, antwortete Lea. »Das ist es ja gerade, was es so schlimm macht.« Sie atmete hörbar ein und ließ Hinterkopf und Schultern wieder gegen die Rückenlehne des Stuhles sinken. »Es ist spät geworden. Lasst uns alle ein wenig schlafen. Danach denken wir vielleicht klarer. Morgen werde ich mir den Schaden noch einmal genauer ansehen und entscheiden, was zu tun ist. Jetzt kann ich nicht mehr denken.«
Sie stand schwerfällig auf, und auch Arri wollte sich erheben, sank aber wieder zurück, als ihre Mutter eine abwehrende Geste machte. »Bleib einfach, wo du bist. Für heute schlafen Achk und du hier. Wenn ich wieder in der Lage bin, einen klaren Gedanken zu fassen, lasse ich mir eine bessere Lösung einfallen.«
Arri war von diesem Vorschlag wenig begeistert, aber sie konnte ihrer Mutter ansehen, dass sie viel zu müde und erschöpft war, um sich auf eine lange Auseinandersetzung einzulassen. Und wenn sie ehrlich war, erging es ihr selbst nicht viel anders. Die wenige Zeit, die sie halb sitzend gedöst hatte, hatte längst nicht ausgereicht, um ihr das zurückzugeben, was sie die Anstrengungen während der Löscharbeiten an Kraft gekostet hatten.
»Und du?«
»Ich finde schon einen Platz zum Schlafen«, sagte Lea.
Rahn grinste anzüglich.
13
Arri erwachte erst am späten Nachmittag desselben Tages - oder des darauffolgenden, das kam ganz auf den Standpunkt an. Für Arri war morgen immer dann, wenn sie geschlafen hatte; ein reiner Verteidigungsmechanismus, den sie entwickelt hatte, nachdem ihre Mutter damit begonnen hatte, nahezu jede Nacht für sie zum Tage zu machen. Die Hütte war leer. Achks penetranter Altmännergeruch hing noch in der Luft, und die fast noch taufrische Matratze, auf der er gelegen hatte, war zerwühlt und an mehreren Stellen aufgerissen. Arri musterte sie kritisch - ein halber Tag Arbeit, der auf sie wartete - und reckte sich dann ausgiebig, bevor sie aufstand und die Hütte fast fluchtartig verließ, um mit wenigen Schritte die mit Kalk gefüllte Grube anzusteuern, die ihre Mutter für die Verrichtung ihrer Notdurft angelegt hatte. Bevor sie in den Schatten der umstehenden Bäume eintauchte, warf sie einen raschen Blick zum Dorf hinauf.
Sie war ein wenig enttäuscht. Die Stelle, an der noch gestern Achks Hütte gestanden hatte, klaffte jetzt wie eine schwarze Wunde, die tief in den Wald hineingerammt war - das hatte sie erwartet - und in der sich nichts rührte. Das hatte sie nicht erwartet. Ganz im Gegenteiclass="underline" Nach dem, was ihre Mutter in der vergangenen Nacht gesagt hatte, hätte sie zumindest geglaubt, Rahn emsig hantieren und sägen und hämmern zu sehen, um die verbrannte Schmiede wieder aufzubauen.
Stattdessen sah sie gar nichts, und plötzlich fiel ihr auch die Stille auf. Ihre Hütte lag weit genug vom Dorf entfernt, dass es hier immer recht ruhig war, aber nun hörte sie gar nichts. Es schien, als wäre das Dorf, das sich bisher auf der Anhöhe gegenüber erhoben hatte, einfach nicht mehr da.
Arri setzte den Weg fort, folgte dem Ruf ihres Körpers und kehrte erst eine ganze Weile später und deutlich entspannter aus dem Schutz der Bäume zurück. Sie sah in den Himmel hinauf. Die Sonne hatte den Zenit schon lange überschritten und befand sich wieder auf dem absteigenden Teil ihrer Wanderung, und das gefiel Arri nicht. Wo war ihre Mutter? Und wo waren Rahn und der Schmied?
Plötzlich fühlte sie sich furchtbar allein, und vor allem: allein gelassen. Wieso sagte ihr niemand, was sie tun sollte?
Vielleicht wäre es eine gute Idee, sich erst einmal zu waschen. Arri ging gemächlichen Schrittes zur Hütte und steuerte den in mühsamer Schnitzarbeit ausgehöhlten Eichentrog an, in dem ihre Mutter Regenwasser sammelte. Auf halbem Wege ergriff ein spöttisches Lächeln von ihren Lippen Besitz. Wie lange war es her, dass sie sich furchtbar über die Macke ihrer Mutter aufgeregt hatte, sich ständig zu waschen, auch wenn sie gar nicht schmutzig war? Jetzt dachte sie ganz genau wie Lea. War es das, was ihre Mutter gemeint hatte, wenn sie behauptete, sie wäre jetzt erwachsen?
Sie beugte sich so tief über den Eichentrog, dass ihre Haare beinahe im kühlen Wasser eintauchten, und schaufelte sich ein paar Hand voll des eiskalten Wassers ins Gesicht. Sie prustete und japste nach Luft und bedachte sich selbst in Gedanken mit einer ganzen Reihe wenig schmeichelhafter Bezeichnungen, weil sie nicht auf sich selbst gehört und die morgendliche Wäsche einfach übersprungen hatte - zumal es nicht Morgen, sondern Nachmittag war. Dann zwang sie sich mit einer gewaltsamen Anstrengung, den unterbrochenen Gedanken fortzuführen: Wo waren alle?
Ihr Magen meldete sich mit einem hörbaren Knurren zu Wort und erinnerte sie daran, wie lang der gestrige Tag gewesen war und wie wenig sie gegessen hatte. Sie dachte an den Rest Fladenbrot, den sie in der Hütte gesehen hatte, aber die bloße Vorstellung, dass Achk vor ihr seine fauligen Zahnstümpfe hineingeschlagen haben könnte, löste ein so heftiges Gefühl von Übelkeit in ihr aus, dass sie sich plötzlich gar nicht mehr so hungrig fühlte.