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»Und die sucht sie ausgerechnet hier, im Verbotenen Wald?«, fragte Sarn misstrauisch.

Arri zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich dachte, ich finde sie hier, aber ich habe ihre Spur verloren.« Sie ließ abermals eine winzige Zeitspanne verstreichen und fügte dann in leicht schuldbewusstem Ton hinzu: »Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht. Weiter als bis zur Lichtung sind wir eigentlich nie gegangen. Meiner Mutter ist dieser Wald auch nicht geheuer.«

Grahls Gesichtsausdruck nach zu schließen erging es ihm ganz genauso, und auch Sarn wirkte unruhig, auch wenn Arri nicht sicher war, ob es nicht zum allergrößten Teil Zorn war, den sie in seinen Augen las. Ihr fiel allerdings auch noch etwas auf: als sie das Wort Spur aussprach, wurde Grahls Blick eindeutig misstrauischer. Seine Augen tasteten sich an der tatsächlich schwer übersehbaren Fährte entlang, die Arri selbst hinterlassen hatte, und für einen winzigen Moment erschien ein sehr nachdenklicher Ausdruck darin. Dann aber wandte er zu ihrer Erleichterung den Blick ab, zuckte mit den Achseln und starrte sie an. Er gab sich Mühe, möglichst gelangweilt zu wirken, aber im Grunde, das spürte Arri, war ihm die Situation einfach nur unangenehm.

»Du lügst doch, du unverschämtes Balg«, behauptete Sarn. »Jetzt sag die Wahrheit! Was sucht deine Mutter, die Hexe, gerade hier?«

»Kräuter«, antwortete Arri mit einer Ruhe, die sie selbst überraschte. Aber obwohl sie wusste, dass es nicht besonders klug war, konnte sie nicht anders, als hinzuzufügen: »Sie braucht eine Menge Heilkräuter, um den Menschen im Dorf zu helfen. Es sind so viele Verletzte, und sie ist ganz allein.«

Sarn japste hörbar nach Luft und sah einen Moment lang so wütend aus, dass Arri allen Ernstes darauf wartete, dass er sich auf sie stürzte und sie schlug, während Grahl einen Atemzug lang einfach nur verblüfft wirkte und dann alle Mühe hatte, nicht breit zu grinsen. Vielleicht war es an der Zeit, die Wogen wieder ein wenig zu glätten.

»Du könntest mir helfen, nach meiner Mutter zu suchen«, wandte sie sich direkt an den Jäger. »Je schneller sie im Dorf ist, desto rascher kann sie ein neues Heilmittel herstellen, um die Verwundeten zu versorgen.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf Grahls Hände, auf denen eine ganze Anzahl hässlicher, frischer Brandblasen glänzten. »Du hast ja auch etwas abgekriegt, wie ich sehe.«

»Ja, und es ist nur Mardans Gnade zu verdanken, dass es nicht noch mehr und schlimmere Opfer gegeben hat«, lamentierte Sarn. »Wir alle hätten zu Tode kommen können, nur weil deine Mutter ihr Gift in die Köpfe zweier kranker Männer gepflanzt hat.«

Er fuchtelte aufgebracht mit seinem Stab herum, wie um seinen auf so abrupte Weise unterbrochenen Auftritt von vergangener Nacht fortzusetzen, und Arri wich unauffällig einen halben Schritt zurück, nur falls er etwa auf die Idee käme, erneut mit seinem Stock auf sie loszugehen.

»Wenn du wirklich nach deiner Mutter suchst, warum rufst du nicht einfach nach ihr?«, erkundigte sich Grahl. Er sah sie an, als wolle er ihr unauffällig etwas signalisieren, aber sie verstand nicht, was. Hatte er das etwa nur gesagt, um sie zu unterbrechen und sie auf diese Weise zu beschützen? Seltsam - sie war in den letzten Tagen der Meinung gewesen, dass Grahl vollkommen auf Sarns Seite stand.

Aber vielleicht bildete sie sich auch nur ein, etwas zu sehen, was sie unbedingt sehen wollte.

»Ich... ich weiß nicht«, sagte sie ausweichend. Das verlegene Lächeln, das sich dabei auf ihr Gesicht schlich, musste sie nicht schauspielern. »Ich meine... meine Mutter hat mir verboten, in diesen Teil des Waldes zu gehen und... und vielleicht gibt es hier ja tatsächlich Geister und... und andere Dinge. Dinge, die man besser nicht weckt.«

Sarn machte ein verächtliches Geräusch. »Vielleicht treibt sie hier aber auch nur Dinge, die niemand von uns sehen soll«, sagte er böse, womit er der Wahrheit ziemlich nahe kam, wenn auch in vollkommen anderem Sinne, als er annehmen mochte.

Wieder war es zu ihrem Erstaunen Grahl, der ihr zu Hilfe kam. »Vielleicht hat das Mädchen Recht.« Sarn schenkte ihm einen bösen Blick, doch der Jäger fuhr mit einem verkrampften Lächeln fort. »Es stimmt, was man sich über diesen Wald erzählt. Hier geschehen seltsame Dinge. Ich selbst habe des Nachts unheimliche Lichter gesehen, die zwischen den Bäumen brannten. Und man sagt, dass gefährliche Kreaturen ihr Unwesen treiben, die einen in den Sumpf locken, bis man im Morast versinkt und erbärmlich verreckt. Wir sollten... vielleicht nicht weitergehen.«

»Hast du Angst?«, fragte Sarn verächtlich.

»Jeder Jäger weiß, dass es Momente gibt, in denen man mit Vorsicht weiterkommt statt mit falschem Mut.« Grahl machte eine unschlüssige Geste an Arri vorbei. »Es ist schwer, bei diesem Licht einer Spur zu folgen.«

Sarns Gesicht wurde noch missmutiger, und Arri fragte sich, ob der Jäger den Bogen nicht überspannte. Die Spur, die sie selbst in den Wald getrampelt hatte, war so breit, dass selbst Sarn sie sehen musste. Dennoch nickte er schließlich widerwillig.

»Also gut«, sagte er. »Aber damit ist die Sache nicht erledigt. Sag deiner Mutter, dass ich mit ihr zu sprechen habe. Noch heute.«

Arri schluckte die patzige Antwort herunter, die ihr auf der Zunge lag, und beließ es bei einem bloßen trotzigen Blick; schon, weil Sarn dies vermutlich von ihr erwartete und allerhöchstem misstrauisch werden würde, wenn sie plötzlich zu gefügig wurde.

Sarn drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort, und auch Grahl schloss sich ihm an, allerdings nicht, ohne Arri noch einen weiteren dieser sonderbaren Blicke zugeworfen zu haben. Arri sah ihm sehr nachdenklich hinterher. Sie wurde nicht schlau aus dem Jäger. Er gehörte zu den Wenigen im Dorf, zu denen ihre Mutter bisher ein einigermaßen gutes Verhältnis gehabt hatte. Selbst nach Krons Unglück hatte er sich mehr oder weniger offen auf ihre Seite gestellt, und nun schien er erst Sarns treuester Verbündeter zu sein, um dann in gleichem Maße doch wieder von ihm abzurücken.

Wenigstens hatte sie das bis vor ein paar Augenblicken noch gedacht.

Es war verwirrend. Der Machtkampf, der zwischen ihrer Mutter und dem Schamanen seit dem Tag ihrer Ankunft im Dorf tobte, war nun ganz offen ausgebrochen, aber er wurde anscheinend nach sehr viel undurchsichtigeren Regeln ausgetragen, als Arri verstand.

Vielleicht wollte sie sie auch gar nicht verstehen.

Sie wartete, bis sie ganz sicher war, dass die beiden auch wirklich gegangen waren und sich nicht etwa nur ein paar Schritte weit entfernt hatten, um sie zu beobachten; dann drehte sie sich um, machte einen einzelnen Schritt und blieb dann wieder stehen. Ein ärgerlicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht, als sie das Knacken eines Zweiges hinter sich vernahm, aber dieser Ärger galt ausschließlich ihr selbst. Sie war sicher gewesen, dass Sarn und der Jäger tatsächlich gegangen waren, aber ganz offensichtlich hatte sie sich getäuscht. Sie war zu vertrauensselig - auch sich selbst gegenüber - und was sie über ihre Mutter gedacht hatte, das schien für sie selbst erst recht zu gelten: Sie begann Fehler zu machen. Und das war nicht gut. Ärgerlich fuhr sie auf dem Absatz herum...

... und riss erstaunt die Augen auf.

Nur wenige Schritte hinter ihr war tatsächlich eine Gestalt hinter einem Baum hervorgetreten, aber es war weder Sarn noch der Jäger, sondern...

»Rahn?«, murmelte sie überrascht. »Was... ich meine wie...« Sie brach ab, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und unterdrückte im letzten Moment den Impuls, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen. »Was tust du denn hier?«, fragte sie schließlich.

Die Frage schien Rahn zu überraschen. »Das, was deine Mutter mir aufgetragen hat«, antwortete er. »Ich passe auf, dass dir nichts passiert.«