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Arri starrte ihn nur weiter an, und das offenbar so verständnislos, dass Rahn sich genötigt sah, einen Schritt auf sie zuzutreten und mit einer erklärenden Geste in die Richtung fortzufahren, in die Grahl und der Schamane verschwunden waren. »Ich war die ganze Zeit in deiner Nähe, keine Angst. Wenn Grahl auch nur versucht hätte, dir ein Haar zu krümmen...« Er überließ es ihrer Phantasie, sich auszumalen, was dann geschehen wäre, legte den Kopf schräg und fuhr fort: »Ich dachte nur, es wäre besser, wenn ich mich nicht zeige.«

»Du... du warst... die ganze Zeit über hier?«, vergewisserte sich Arri.

»Ich weiß, was du sagen willst«, sagte Rahn. »Eigentlich hätte er mich hören müssen, unser großer Jäger und Spurenleser. Vielleicht ist es mit seinen Fähigkeiten ja doch nicht so weit her, wie er immer behauptet.« Er lachte leise. »Wer weiß - vielleicht ist das ja auch der Grund, aus dem er sich plötzlich so bei Sarn Liebkind macht.«

Und was ist der Grund, aus dem du dich bei meiner Mutter Liebkind machst?, dachte Arri. Sie sprach es nicht aus - sie war ja schließlich nicht verrückt -, aber Rahn bemerkte immerhin ihr Schweigen, auch wenn er es falsch deutete.

»Du brauchst wirklich keine Angst zu haben.« Er klang ein wenig beleidigt. »Deine Mutter hat mir aufgetragen, auf dich Acht zu geben, und das tue ich.« Ein schmutziges Grinsen erschien auf seinem Gesicht, und Arri bemerkte erst jetzt, dass er einen fast armlangen Knüppel in der rechten Hand hielt, den er jetzt schwungvoll in die geöffnete Linke klatschen ließ.

Dennoch fiel es ihr schwer, sich auf Rahns Worte zu konzentrieren. »Und du warst wirklich die ganze Zeit über in meiner Nähe?«, vergewisserte sie sich.

»Ja«, behauptete Rahn unwillig, schlug sich noch einmal mit dem Stock in die geöffnete Linke und schränkte dann ein: »Beinahe, jedenfalls. Ich habe gesehen, wie du im Wald verschwunden bist, und dann sind Grahl und der Dorfälteste dir nach. Also habe ich sie verfolgt.«

Arri spürte, dass er die Wahrheit sagte. Aber wenn es so war, dachte sie verwirrt - dann erklärte es vielleicht, wessen Schatten ihr in der Nähe des Heiligtums einen Schrecken eingejagt hatte. Aber wer war dann der Mann, den sie gerade zusammen mit ihrer Mutter gesehen hatte?

14

Ihre Mutter kehrte erst nach Einbruch der Dunkelheit zurück, und sie war weder in einer Stimmung, in der es Arri angeraten schien, sie auf die Ereignisse vom Nachmittag anzusprechen, noch hätte sich die Gelegenheit dazu ergeben. Achk war zurück und hatte sie während der ganzen Zeit, die sie gemeinsam auf Leas Rückkehr gewartet hatten, aufs Übelste beschimpft, weil sie ihm nichts zu essen gegeben hätte - was nicht stimmte. Arri hatte aufgetragen, was sie im Haus hatten - einen erst gestern von Grahl erlegten und von ihrer Mutter bereits angebratenen Hasen, frische Möhren und Erbsen aus ihrem Garten und zwei dünne Scheiben Fladenbrot - und Achk hatte gut die Hälfte davon in sich hineingestopft, bevor er zuerst behauptet hatte, es sei ungenießbar, und nur wenige Augenblicke später, sie wolle ihn mit dem »bereits stinkenden Hasenfleisch« vergiften. Und kaum war ihre Mutter zurück, erdreistete er sich sogar zu der Lüge, sie hätte ihm gar nichts zu essen gegeben. Arri setzte zu einem geharnischten Protest an, aber ihre Mutter ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen, sondern brachte sie mit einem ebenso stummen wie vorwurfsvollen Blick zum Schweigen und ging wieder hinaus, um aus der verbliebenen Hasenkeule und dem, was Arris Garten hergab, eine Mahlzeit für den Blinden zuzubereiten.

Arri war empört. Dass Achk sich so benahm, wie er sich nun einmal benahm, überraschte sie nicht wirklich; der Alte war nun einmal verrückt und hatte allenfalls in der vergangenen Nacht so etwas wie einen lichten Moment gehabt. Aber dass ihre Mutter ihr nicht einmal die Gelegenheit gab, sich zu verteidigen, war einfach ungerecht. Hatte sie selbst ihr nicht immer und immer wieder erklärt, dass Gerechtigkeit vielleicht das Höchste aller Güter war, beinahe so wertvoll wie Freiheit, und vielleicht sogar wertvoller, denn wie konnte es Freiheit ohne Gerechtigkeit geben?

Für eine - nicht allzu lange - Zeit saß sie einfach nur da und starrte wütend abwechselnd den blinden Schmied und die Tür an, durch die ihre Mutter verschwunden war, dann aber sprang sie auf und folgte ihr. Achk rief ihr irgendeine Beleidigung hinterher, auf die sie gar nicht mehr achtete. Ihre Füße berührten nur zwei der fünf Stufen, bevor sie den Boden erreichte und sich mit weit ausgreifenden, fast schon rennenden Schritten dorthin wandte, wo sie ihre Mutter hantieren hörte.

Sie fand Lea in dem kleinen Verschlag hinter dem Haus, in dem sie seit vergangener Nacht ihr Lager aufgeschlagen hatte, um in der Hütte Platz für ihren (zumindest so weit es Arri betraf) unwillkommenen Gast zu schaffen. Sie stand mit dem Rücken zur Tür und schien etwas zu suchen. Ihre Bewegungen waren hektisch und fahrig.

»Wenn du das übrig gebliebene Essen von gestern suchst, dann spar dir die Mühe«, sagte Arri zornig. »Es ist nicht mehr da.«

Lea drehte mit einem so wutentbrannten Ruck den Kopf, dass Arri einen erschrockenen Schritt zurückwich, bevor ihr wieder einfiel, warum sie eigentlich gekommen war. »Dein neuer Freund hat es gegessen«, sagte sie. »Kurz bevor du gekommen bist.«

Ihre Mutter schwieg dazu. Arri versuchte vergebens in ihrem Gesicht zu lesen. Es war zu dunkel dazu. Aber sie konnte den Aufruhr, der hinter ihrer Stirn tobte, regelrecht spüren, und das war seltsam. Nach dem, was sie vorhin mit angesehen hatte, hätte sie erwartet, sie glücklich zu sehen, oder zumindest zufrieden, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Ihre Mutter war so aufgewühlt, dass es sie große Kraft zu kosten schien, sie nicht anzuschreien. Irgendetwas war geschehen, nachdem Arri sie draußen im Wald aus den Augen verloren hatte. Wusste sie vielleicht, dass Arri sie und den Unbekannten hinter den Büschen gesehen hatte?

»Er sagt, er sei hungrig.« Leas Stimme klang schleppend, als fiele es ihr schwer, sich auf die Antwort zu konzentrieren.

»Er hat gelogen«, sagte Arri. »Er ist ein böser alter Mann. Wie lange muss er noch bei uns bleiben? Er beschimpft mich unentwegt, und er lügt.«

»Er ist ein verbitterter alter Mann, dem wehgetan wurde«, antwortete Lea unerwartet sanft. »Und deshalb tut er anderen weh.«

»Er ist ein Lügner«, beharrte Arri. Sie war nicht bereit, irgendwelche Einwände zu Achks Gunsten zu akzeptieren. Noch einmaclass="underline" »Wie lange bleibt er bei uns?«

»So lange es nötig ist«, antwortete Lea. Ihre Augen funkelten aus dem Halbschatten heraus, in dem ihr Gesicht verborgen lag. Sie versuchte Schärfe in ihre Stimme zu legen, aber es gelang ihr nicht. »Er braucht Hilfe. Wir können sie ihm geben, also geben wir sie ihm.«

»Warum?«, fragte Arri feindselig. »Weil du glaubst, ihm etwas schuldig zu sein!«

»Weil ich ihm etwas schuldig bin«, antwortete Lea betont, schüttelte aber zugleich den Kopf. »Aber das spielt keine Rolle. Ich würde ihm auch helfen, wenn ich ihm nichts schuldig wäre. Weil es das ist, was uns von diesen Menschen hier unterscheidet, weißt du?«

Noch gestern hätten Arri diese Worte vermutlich beeindruckt oder doch zumindest nachdenklich gestimmt, aber jetzt machten sie sie nur noch zorniger. »Nein, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er schlecht riecht, verrücktes Zeug brabbelt und überall seinen Dreck hinterlässt, wenn er mich nicht gerade belügt oder mir Beschimpfungen hinterher ruft.«

»Naja, zumindest sind es keine anzüglichen Blicke«, sagte Lea kühl. »Du willst mir nicht erzählen, dass dich die Worte eines harmlosen alten Mannes wirklich treffen.« Sie zog die Augenbrauen zusammen und wartete vergebens auf eine Antwort. »Er wird nicht mehr lange bleiben«, fuhr sie fort. »Nur noch wenige Tage... bis Rahn die Schmiede wieder aufgebaut hat...«