Er klopfte mit der flachen Hand zweimal neben sich auf die Matratze, als hielte er sie für einen Hund, den er auf diese Weise heranbefehlen konnte, und Arri trat auch wirklich einen Schritt auf ihn zu, blieb aber dann wieder stehen und warf einen weiteren, diesmal stirnrunzelnden Blick zu Achk hin. Der Schmied schnarchte noch immer und gab in fast regelmäßigen Abständen helle, schmatzende Geräusche von sich. Er hatte ihnen den Rücken zugedreht, aber Arri spürte so deutlich, dass er wach war und lauschte, als hätte er aufrecht dagestanden und ihr mit beiden Armen zugewinkt. Rahn spürte es offensichtlich nicht, denn er folgte ihrem Blick und fragte dann, eine Spur lauter und in verächtlichem Ton: »Warum lasst ihr diesen alten Stinker in eurer Hütte schlafen?«
Achk schnarchte bestätigend, und Arri gab sich Mühe, so zu tun, als ob sie nur noch mit Mühe ein Grinsen unterdrücken könnte. »Warum nennst du ihn so?«
»Weil er es ist, ganz einfach.« Rahn klopfte noch einmal neben sich und unterstrich seine Aufforderung diesmal mit einer entsprechenden Kopfbewegung, und Arri tat ein paar Schritte auf ihn zu, setzte sich dann aber gerade weit genug neben ihm auf die Matratze, damit er sie nicht mit der Hand erreichen konnte, ohne sich zur Seite zu beugen oder aufzustehen.
»Meine Mutter wollte, dass er hier bleibt, bis seine Schmiede wieder aufgebaut ist«, fuhr sie fort. Sie fügte in leicht schnippischem Ton hinzu: »Wenn ich mich richtig erinnere, hätte das doch längst der Fall sein müssen, oder nicht?«
»Ich kann nicht zwei Dinge gleichzeitig tun«, behauptete Rahn. »Im Augenblick bin ich damit beschäftigt, dich zu beschützen.«
Und im Augenblick, dachte Arri, war der Einzige, vor dem sie vermutlich wirklich beschützt werden musste, er selbst. Sie ließ sich aber auch davon nichts anmerken, sondern sah ihn nur an und lächelte stumm. Rahn tat so, als ob er die Hand nach einem Brotkrumen ausstrecken würde, nutzte die Gelegenheit aber, ein Stück zur Seite und damit auf sie zuzurutschen, sodass sie sich nun eindeutig in seiner Reichweite befand. Arri spannte sich innerlich, riss sich aber dann zusammen und schenkte ihm im Gegenteil ein weiteres, ganz bestimmtes Lächeln. Gleichzeitig beugte auch sie sich zur Seite und streckte die Hand nach dem Teller aus, und diesmal sorgte sie dafür, dass sie sich weit genug vorbeugte, um Rahn einen langen Blick in den Halsausschnitt ihrer Bluse und somit auf ihre Brüste zu gewähren. Seine Augen wurden ein bisschen größer, aber fast zu ihrer Überraschung beherrschte er sich noch.
»Du solltest ihn nicht so nennen«, sagte sie mit einer neuerlichen Kopfbewegung auf den sich immer noch schlafend stellenden Schmied, hatte zugleich aber auch alle Mühe, Rahn nicht laut zuzustimmen. Er hatte Recht: Achk war ein verrückter alter Mann, und er stank.
Rahn wirkte ein wenig unwillig. »Vielleicht sollten wir lieber...«, begann er, und streckte zugleich den Arm nach Arri aus, aber sie wich mit einer raschen Bewegung, dennoch aber mit einem neuerlichen, noch aufreizenderen Lächeln zurück, legte den Zeigefinger über die Lippen und deutete mit der anderen Hand auf Achk.
Rahn wirkte jetzt erst recht enttäuscht, ließ den Arm aber wieder sinken und klaubte sich den letzten Rest Brot vom Teller. »Keine Angst, der Alte schläft wie ein Stein. Wenn er einmal eingeschlafen ist, dann weckt ihn so schnell nichts mehr. Ich wundere mich fast, dass er nicht im Schlaf verbrannt ist, ohne überhaupt zu merken, was passierte.«
»Vielleicht hat er es ja gemerkt«, antwortete Arri, »und will im Augenblick nur nicht darüber sprechen.«
Rahn wirkte jetzt völlig enttäuscht, auch er wollte im Moment nicht über dieses Thema reden. Arri vermutete, dass ihm überhaupt nicht nach Reden zumute war. Trotzdem antwortete er: »Warum sollte er?«
»Vielleicht, weil er Angst hat?«, vermutete Arri.
Rahn schluckte den letzten Bissen Brot herunter, griff nach dem leeren Teller und fegte ihn mit einer schwungvollen Bewegung zur Seite. Er schlitterte scheppernd über den Boden und prallte mit einem noch lauteren Geräusch gegen die Wand neben der Tür. Achk warf sich mit einem widerstrebenden Grunzen herum und schnarchte nach einem Augenblick unbeeindruckt weiter.
Rahn stutzte und sah ihn stirnrunzelnd an, wandte sich dann aber wieder zu ihr um. Achk war ein besserer Schauspieler, als Arri angenommen hatte; oder war Rahn ein schlechterer Beobachter? »Du meinst, weil er herausbekommen hat, dass Sarn die Schmiede angezündet hat?«, fragte er.
»Das wäre doch immerhin eine Erklärung, oder?« Arri deutete mit den Augen eine Bewegung auf den vermeintlich schlafenden Schmied an, legte abermals den Zeigefinger über die Lippen und ließ sich dann ein Stückchen zurücksinken, bis sie sich nur noch mit den Ellbogen aufstützte und sich die Bluse deutlich über ihren Brüsten spannte, die in dieser Haltung viel größer und voller erschienen, als sie waren. Rahn machte zwar ein Gesicht, das klar werden ließ, für wie überflüssig er ihre Vorsicht hielt, schien aber entweder Gefallen an dem Spiel zu finden oder gab sich einfach geschlagen, denn er rückte zwar ein gutes Stück näher, fuhr aber fast schon zu laut fort: »Vielleicht sucht er auch einfach nur nach einem Dach über dem Kopf, unter dem er es sich auf Dauer gemütlich machen kann. Hast du schon einmal daran gedacht?«
Arri schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr Haar flog. »Sobald die Schmiede wieder steht, wird er dorthin übersiedeln.«
»Und wenn es ihm nun hier besser gefällt, wo er Nahrung und Gesellschaft im Überfluss hat und er gar nicht daran denken muss, je wieder einen Schmiedehammer in die Hand zu nehmen?«, beharrte Rahn und ließ sich, ähnlich wie sie, auf die Seite und einen Ellbogen sinken. Den anderen Arm streckte er in ihre Richtung aus, zögerte dann aber im allerletzten Moment, sie zu berühren, und griff stattdessen nach ihrem Haar. Seine Finger begannen mit einer Strähne zu spielen und berührten dabei wie zufällig ihren Hals. Arri fuhr heftig zusammen, brachte es aber irgendwie fertig, ihm dennoch weiter zuzulächeln, und Rahn wurde mutiger und rutschte ein Stück näher. Seine Finger spielten weiter mit ihrem Haar, aber nur zwei davon; die anderen berührten ganz sacht ihren Hals, nun jedoch nicht mehr zufällig und auf eine ganz bestimmte Art.
»Lass das«, sagte Arri, aber sie lächelte unerschütterlich weiter, und ihr Blick sagte etwas ganz anderes.
»Wie hast du das gemeint: Er will vielleicht nie wieder einen Schmiedehammer in die Hand nehmen?«
»Davon hat dir deine Mutter nichts erzählt, wie?«, vermutete Rahn. Er nickte, um seine eigene Frage zu beantworten, und seine Finger ließen nun endgültig ihr Haar los und strichen sanft über ihre Wange, über ihr Kinn und weiter hinab über ihren Hals. Es kribbelte, als liefen Ameisen über ihre Haut, und es war nicht so unangenehm, wie es sein sollte. »Nach dem Feuer hat er ihr klipp und klar gesagt, dass er nicht mehr mitmachen will«, antwortete er. »Und dass er Kron nicht mehr helfen will.«
»Davon hat mir meine Mutter nichts erzählt«, antwortete Arri wahrheitsgemäß.
»Wie von einer Menge anderer Dinge auch.« Rahn lachte leise und warf einen verächtlichen Blick in Richtung des schlafenden Schmiedes. »Dabei war er schon vor dem Unfall alles andere als ein übervorsichtiger Schmied, sondern sogar dafür bekannt, nur allzu leichtfertig mit seinem Feuer umzugehen. Warum, meinst du wohl, lag seine Schmiede ganz am Rande des Dorfes? So weit weg von allen anderen?«
Es kostete Arri alle Überwindung, die sie aufbringen konnte, aber sie schaffte es irgendwie, sich seiner Berührung nicht zu entziehen, sondern ganz im Gegenteil den Kopf zur Seite zu drehen und ihre Wange an seiner rauen Hand zu reiben.
Erneut lief ihr ein rasches, unbekanntes Frösteln über den Rücken. Sie staunte über sich selbst. Sie sollte aufschreien, schon bei dem bloßen Gedanken, von diesen Fingern angefasst zu werden, die auf so obszöne Weise über den Körper ihrer Mutter geglitten waren, doch die Berührung löste etwas völlig anderes in ihr aus: ein Kribbeln und Vibrieren, das ihren ganzen Körper zu ergreifen begann; dann eine Woge brennender Wärme, die in ihrem Schoß ihren Ausgang nahm und wie siedendes Öl durch ihre Adern floss. An dem Gefühl selbst war rein gar nichts Schlechtes oder Verbotenes, das spürte sie, aber es sollte nicht Rahn sein, der es in ihr auslöste, nicht ausgerechnet Rahn, der schon ihre Mutter gehabt und niemals einen Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr er sie verachtete.