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»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte sie.

»Gesprochen?«, wiederholte Lea, und diesmal hatte Arri das sichere Gefühl, dass sie es jetzt war, die diese Frage nur stellte, um Zeit zu gewinnen.

»Als ich gekommen bin«, antwortete sie. »Und gerade jetzt wieder. Du hast mit jemandem geredet.«

»Oh, das.« Lea machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe die Pferde gerufen.«

Arri trat einen halben Schritt zur Seite und sah sich mit einer fast schon übertriebenen Geste in der Runde um. Die wellige Grasebene lag vollkommen leer vor ihr. Weder von Nachtwind noch von seiner Herde war irgendetwas zu sehen, und sie hätte es auch gewusst, wären die Pferde noch vor einigen Augenblicken hier gewesen. Als sie Nachtwind das letzte Mal zusammen mit ihrer Mutter besucht hatte, hatte es Tage gedauert, bis der nicht einmal unangenehme, aber durchdringende Geruch, der den Tieren anhaftete, völlig aus ihren Kleidern und ihrem Haar verschwunden war.

»Also, was ist passiert?«, fragte Lea noch einmal, jetzt ruhiger, aber auf eine bestimmende Art, die keine Ausflüchte mehr zulassen würde. »War das Rahn? Warum?«

»Ja«, antwortete Arri. Der Blick ihrer Mutter verfinsterte sich, und Arri hörte sich beinahe zu ihrer eigenen Überraschung und sehr hastig fortfahren: »Aber es war nicht seine Schuld.«

»Nicht seine Schuld?« Leas Augenbrauen zogen sich fragend zusammen. »Was soll das heißen? Hast du ihn vielleicht darum gebeten, dich grün und blau zu schlagen?«

Arri suchte vergebens nach einer Antwort. Sie war mindestens ebenso überrascht von dem, was sie gesagt hatte, wie es ihre Mutter sein musste, und wahrscheinlich noch viel mehr. Dass ausgerechnet sie Rahn in Schutz nahm, das wäre ihr selbst noch vor einem Atemzug wie ein Ding der Unmöglichkeit vorgekommen. Schließlich sagte sie: »Es war... ich habe ihn gereizt. Ich weiß, ich hätte das nicht tun sollen. Ich war dumm. Es war meine Schuld, wirklich. Schließlich kenne ich Rahn lange genug und hätte wissen müssen, wie weit ich gehen kann.«

Vielleicht waren auch diese Worte nicht besonders klug gewählt. Lea wirkte alles andere als überzeugt, und in Arri breitete sich ein sachtes Gefühl von Panik aus, während sie sich fragte, was sie wohl antworten sollte, wenn ihre Mutter sie nach Einzelheiten fragte. Sie würde sich zweifellos sofort in Widersprüche und Ungereimtheiten verstricken.

»Und dann bist du hierher gekommen, um nach mir zu suchen?«, vergewisserte sich ihre Mutter, noch immer in gleichermaßen ungläubigem wie zweifelndem Ton. »Wieso?«

»Rahn hat mir gesagt, dass du den Ochsenkarren nicht genommen hast«, antwortete Arri. »Deshalb bin ich deiner Spur durch den Wald gefolgt.« Sie deutete auf den sonderbaren, vierrädrigen Karren. »Woher kommt dieser Wagen?«

Lea tat, als hätte sie die Frage gar nicht gehört. »Rahn ist ein verdammter Dummkopf. Ich sollte zurückgehen und ihm die Kehle durchschneiden. Was hast du getan, um ihn so wütend zu machen?«

»Wenn ich das wüsste«, antwortete Arri ausweichend. »Ein Wort hat das andere gegeben, und ich war so wütend, und...« Sie hob hilflos die Schultern.

»Und dann bist du einfach davongerannt«, vermutete ihre Mutter. Ihre Miene wurde noch finsterer. »Ich sollte dir eine gehörige Tracht Prügel verabreichen, aber das hat Rahn ja anscheinend schon erledigt...« Sie stutzte. Aus dem Ärger auf ihrem Gesicht wurde ein eher nachdenklicher, dann misstrauischer Ausdruck, während ihr Blick an Arri hinabwanderte und an einem Punkt dicht über ihren Füßen hängen blieb. Arris Blick folgte dem ihren, und sie fuhr zusammen, als ihr klar wurde, dass ihre Mutter den Riss in ihrem Rock entdeckt hatte.

»Das ist auf dem Weg hierher passiert«, sagte sie hastig und hätte sich im nächsten Moment am liebsten selbst geohrfeigt, das überhaupt gesagt zu haben. Sie hatte eine Frage beantwortet, die ihre Mutter gar nicht gestellt hatte, und damit aus einem möglicherweise einfach nur neugierigen Blick einen Verdacht gemacht, den sie ja gerade hatte zerstreuen wollen. Das Misstrauen in den Augen ihrer Mutter loderte auch prompt höher auf, und sie war sichtlich dicht davor, eine Frage zu stellen, die Arri nun vermutlich endgültig in Bedrängnis gebracht hätte. Aus ihrer unterschwelligen Panik war längst wirkliche geworden, und sie verstand sich selbst immer weniger. Wieso verteidigte sie Rahn?

Zu ihrer Erleichterung gab sich ihre Mutter jedoch mit dieser wenig überzeugenden Erklärung zufrieden, auch wenn ihre Laune eher noch tiefer zu sinken schien. »Was hast du dir nur dabei gedacht, hierher zu kommen?«, sagte sie vorwurfsvoll.

»Ich bin einfach deiner Spur gefolgt, und...«

»Das meine ich nicht, und das weißt du auch ganz genau, mein liebes Kind.« Lea machte eine ärgerliche Handbewegung. »Weißt du eigentlich, dass mich deine Gedankenlosigkeit einen ganzen Tag kostet? Wie gesagt - hätte Rahn es nicht schon getan...«

»Was meinst du damit: Es kostet dich einen ganzen Tag?«, fragte Arri.

»Der Weg zurück ins Dorf«, antwortete Lea. »Bis ich wieder hier bin, ist es viel zu spät, um noch aufzubrechen.« Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Ich hätte dich für klüger gehalten. Jetzt muss ich zurückgehen und noch mehr Zeit damit vergeuden, diesen Dummkopf wieder zu beruhigen.«

»Nein!«, entfuhr es Arri erschrocken.

»Was - nein?« Lea legte den Kopf schräg und sah sie aus schmaler werdenden Augen an, und Arri verspürte schon wieder das heftige Bedürfnis, sich selbst zu ohrfeigen. Es war nicht das Wort, welches das Misstrauen ihrer Mutter schürte, sondern ihr Ton.

»Ich... ich gehe nicht zurück«, antwortete sie stockend. »Das will ich nicht.«

»So, das willst du nicht«, wiederholte Lea mit sonderbarer Betonung. »Und du meinst, das wäre Grund genug für mich, meine Pläne zu ändern?«

»Ich meine: Ich... ich kann nicht zurück«, antwortete Arri hastig. »Rahn war... er war wirklich sehr wütend, und... und ich weiß nicht... ich glaube nicht, dass er sich wieder beruhigt.«

Ihre Mutter sagte einige Augenblicke lang gar nichts, aber ihr Blick tastete noch einmal und auf nun andere Weise über ihr Gesicht und ihre Arme, so als überlege sie misstrauisch, woher diese Verletzungen wohl wirklich stammen mochten.

»Ich kann nicht zurück«, sagte Arri noch einmal. »Bitte. Ich... ich will...«

»Was?«, fragte Lea.

»Ich will mit dir gehen«, stieß Arri hervor. »Ich will nicht bei Rahn und den anderen bleiben - und schon gar nicht bei Achk. Er ist ein widerlicher alter Mann, der mir Angst macht.«

»Er ist vor allem ein blinder alter Mann, der Hilfe braucht«, antwortete Lea. Es klang nicht wirklich überzeugt, sondern eher wie etwas, das sie sich zurechtgelegt hatte. »Du kannst ihn nicht einfach allein lassen.«

»Er ist auch bis jetzt ganz gut allein zurecht gekommen. Die anderen werden sich schon um ihn kümmern. Und ich... ich will nicht zurück. Lass mich mit dir gehen.«

»Das ist unmöglich«, antwortete Lea. »Es wäre viel zu gefährlich. Du...«

»Ich gehe nicht zurück«, unterbrach Arri sie. Sie schrie fast, und wäre ihre Mutter nicht ohnehin schon misstrauisch gewesen, so hätte allerspätestens der Ton, in dem sie diese Worte hervorstieß, sie es werden lassen.