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Arri taten ihre eigenen Worte bereits wieder Leid, und wäre ihre Mutter auch nur eine Winzigkeit langsamer gewesen, wäre sie ihr nachgelaufen oder hätte ihr zumindest etwas zugerufen. Doch so war sie schon wieder im Wald verschwunden, noch ehe Arri die Bewegung auch nur wirklich bemerkte, und zum zweiten Mal blieb sie allein und niedergeschlagen zurück. Das kurze Gefühl von Triumph, mit dem es sie erfüllt hatte, ihrer Mutter die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern, war vergangen, und zurück blieben Leere und Niedergeschlagenheit, die ihr fast die Tränen in die Augen steigen ließen.

Für einen Moment hasste sie sich beinahe selbst. Sie kam sich vor, als läge mit einem Mal ein Fluch auf ihr, der alles, was sie anfing, in einer Katastrophe enden ließ.

Vielleicht aus keinem anderen Grund als reinem Trotz drehte sie sich wieder dem Wagen zu, kletterte nach kurzem Zögern auf die Ladefläche hinauf und tat etwas, das eben noch geradezu unvorstellbar für sie gewesen wäre: Sie begann die Sachen zu durchwühlen, die ihre Mutter darauf abgeladen hatte. Bei den allermeisten handelte es sich, genau wie sie angenommen hatte, um Lebensmittel, genug für zwei Personen und mindestens acht oder zehn Tage, aber es gab auch Felle und Decken, einen Umhang, der nicht ihrer Mutter gehörte, und allerlei Dinge des täglichen Bedarfs, die sie ebenfalls noch nie in Leas Besitz gesehen hatte. Auf den ersten Blick schien nichts Außergewöhnliches daran, doch auf den zweiten war es dasselbe wie mit dem Wagen - alles war zugleich vertraut und bekannt, wie auch auf schwer in Worte zu fassende Weise fremd; als wäre der grundsätzliche Gedanke, der dahinter stand, vielleicht derselbe, die Handwerkskunst, die all diese Dinge hervorgebracht hatte, aber eine vollständig andere.

Zwei der großen Felle, die sie fand, waren seltsam - bei dem einen vermutete sie, dass es sich um das Fell eines Wolfes handelte, war aber nicht ganz sicher, das andere war ihr gänzlich unbekannt und stammte offensichtlich von einem Tier, das sie noch nie gesehen hatte. Statt wassergefüllter Schweinsblasen fand sie einen aus Leder gefertigten, prall gefüllten Wasserschlauch, dessen Nähte so fein und kunstfertig waren, dass nicht einmal ein einziger Tropfen daraus entwich, und einen wuchtigen Dolch, dessen Klinge aus Stein gefertigt war und nicht aus Bronze; sie war dennoch so scharf, dass sich Arri daran schnitt, als sie behutsam mit dem Finger darüber strich. Darüber hinaus entdeckte sie eine Kette, an der eine große Anzahl bedrohlich aussehender Raubtierzähne aufgefädelt war, und einen kleinen Lederbeutel, dem ein sonderbarer Geruch entströmte, von dem sie nicht sagen konnte, ob er nun besonders angenehm oder besonders abstoßend war. Als sie ihn öffnete und einen neugierigen Blick hinein warf, gewahrte sie jedoch nichts anderes als einige kleine Knochen und ein feines grünes Pulver, das sie lieber nicht anrühren wollte. Sorgsam knotete sie den Beutel wieder zu, legte ihn und alles andere zurück an seinen Platz und verschnürte das Bündel gerade noch rechtzeitig, bevor sie die Schritte ihrer näher kommenden Mutter hörte.

Ihre Zeit reichte nicht mehr aus, vom Wagen zu steigen, bevor Lea aus dem Wald heraustrat und sie sah, doch wenn ihre Mutter daran Anstoß nahm, so verlor sie zumindest kein Wort darüber. Schweigend wartete sie, bis Arri - sehr viel umständlicher, als sie hinaufgekommen war - wieder von dem Wagen herunterstieg und ihr entgegentrat.

»Du wirst mich begleiten«, sagte sie. »Aber glaub nicht, dass die Sache damit erledigt ist. Du kannst es mir jetzt sagen, oder ich werde nach unserer Rückkehr ins Dorf herausfinden, was wirklich vorgefallen ist.« Trotz der nun wirklich nicht mehr zu überhörenden Drohung in ihrer Stimme schnitt sie Arri mit einer zornigen Bewegung das Wort ab, als diese etwas erwidern wollte, und nahm den Umhang von den Schultern. Mit einer schwungvollen Bewegung warf sie das Kleidungsstück auf den Wagen, verfuhr auf die gleiche Weise mit ihrem Schwert und machte dann eine befehlende Geste hin zum Kutschbock. »Warte hier«, sagte sie, während sie sich bereits wieder umdrehte. »Ich bin bald zurück. Rühr dich nicht von der Stelle.«

Zum dritten Mal binnen kurzer Zeit verschwand ihre Mutter im Unterholz und kehrte diesmal schon nach wenigen Augenblicken zurück, war jedoch nicht mehr allein. Arri wandte sich erwartungsvoll zum Waldrand um, als sie das Geräusch schwerer Schritte und das Brechen von Zweigen hörte, doch sie erlebte eine Überraschung: Als ihre Mutter aus den Schatten des Waldes heraustrat, tat sie es nicht in Begleitung des schwarzhaarigen Fremden, wie Arri erwartet hatte. Stattdessen hielt sie in jeder Hand einen Strick, den sie um Hals und Kopf zweier Pferde gebunden hatte. Arri riss erstaunt die Augen auf, als sie sah, wie friedlich und gehorsam diese riesigen, starken Tiere hinter ihrer Mutter hertrotteten; und ein einziger Blick genügte, um ihr klarzumachen, dass die beiden Pferde durchaus gewohnt waren, am Zügel geführt zu werden. Anscheinend gab es da doch noch das eine oder andere, was ihre Mutter ihr nicht erzählt hatte. Von dem Mann, auf den Arri wartete, war keine Spur zu sehen, und als sie zur Seite trat, um ihrer Mutter Platz zu machen und lauschte, hörte sie auch keine Schritte.

»Hilf mir«, befahl Lea unwirsch.

Arri beeilte sich, an ihre Seite zu treten, und ihre Mutter drückte ihr wortlos den Strick eines der beiden Pferde in die Hand. Arri griff gehorsam zu, tat dann aber einen erschrockenen Satz zurück, als das Pferd den Kopf in den Nacken warf und ein unwilliges Schnauben ausstieß.

»Halt den Zügel ruhig«, sagte Lea scharf. »Es tut ihm nichts, solange du es nicht erschreckst.«

Arri hatte rein gar nichts anderes getan, als einfach nur den Strick festzuhalten, aber sie schluckte die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, vorsichtshalber herunter. Das Tier scheute noch einmal und sogar noch heftiger, beruhigte sich dann aber binnen eines einzigen Augenblicks und begann an dem saftigen Gras zu seinen Füßen zu zupfen, als wäre nichts geschehen. Arri hielt den Strick gehorsam fest, wich aber trotzdem so weit an sein Ende zurück, wie es nur ging, und beäugte das Tier weiter misstrauisch aus den Augenwinkeln. Sie war verwirrt, auch wenn sie schon mehrmals zusammen mit ihrer Mutter hier gewesen war, um Nachtwind und seine Herde zu besuchen oder auch mit den Tieren zu spielen, was ihr allerdings nur mit sehr wenigen wirklich gelungen war. Die allermeisten zeigten zwar keine wirkliche Angst, wohl aber so etwas wie eine natürliche Scheu vor Menschen und erlaubten es nicht, ihnen wirklich nahe zu kommen oder sie gar anzufassen.

Dieses Tier hier war anders; ebenso wie das zweite, das ihre Mutter nun am Zügel zum vorderen Ende des Wagens führte, schien es die Nähe von Menschen durchaus gewohnt zu sein und sie auch zu akzeptieren. Arri war plötzlich sicher, diese beiden Pferde noch nie bei Nachtwinds Herde gesehen zu haben. Jetzt fiel ihr auch auf, dass auf den Rücken der beiden Tiere große Felle lagen, deren Zweck ihr nicht klar war. Neugierig und mit wachsendem Staunen sah sie zu, wie ihre Mutter das Pferd mit einem zwar aus groben Stricken, dennoch aber kunstvoll geflochtenen Geschirr an den Wagen anspannte. Arri hätte erwartet, dass es sich sträubte, doch es schien überhaupt nichts dagegen zu haben und fing ganz im Gegenteil friedlich und scheinbar vollkommen gleichmütig an zu grasen, während ihre Mutter noch damit beschäftigt war, die Leinen und Stricke festzuknoten.

Als sie fertig war, gebot sie Arri mit einer wortlosen Geste, das andere Tier herbeizubringen. Arri gehorchte und sah weiter zu, wie ihre Mutter die Prozedur wiederholte und ihr Werk anschließend kritisch begutachtete, so als wüsste sie zwar, was sie tat, hätte aber nicht allzu viel Übung darin, sodass sie es vorzog, ihre eigene Arbeit noch einmal zu kontrollieren. Auch eine Konstruktion wie diese hatte Arri noch nie zuvor gesehen. Im Grunde ähnelte sie der Deichsel, mit der auch die Ochsen vor den Karren gespannt wurden, hatte aber kein Joch, sondern nur eine große Schlaufe, die über Hals und Brust der Pferde gelegt wurde und zusätzlich mit weichen Blättern umwickelt war, vermutlich, damit sich die Tiere nicht wund scheuerten.