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»Wieso?«, fragte Arri.

»Ich gestehe, dass ich anfangs ein wenig verärgert war, dass sie mich mit ein paar eiligen Worten wie einen Bettler fortgejagt hat, nur weil du plötzlich aufgetaucht bist.« Dragosz trat einen halben Schritt zurück und maß Arri mit einem langen Blick von der Art, wie sie auch Rahn angesehen hatte, und der ihr beinahe ebenso unangenehm war. Aber dann lächelte er, und obwohl auch dieses Lächeln fast ebenso anzüglich war wie das des Fischers, fehlte ihm doch etwas, das Rahns Blick ganz besonders schwer zu ertragen gemacht hatte. »Aber jetzt, wo ich dich genauer sehe, kann ich sie beinahe verstehen. Wenn ich eine Tochter hätte, die so hübsch wäre wie du, dann würde ich sie auch vor jedem Mann verstecken.«

Arri spürte, dass sie rot wurde. Sie versuchte sich einzureden, es geschähe aus Zorn, aber das stimmte nicht. »Ist es denn nötig?«

»Was? Dich vor jedem fremden Mann zu verstecken?«

»Mich vor dir zu verstecken«, antwortete Arri.

Dragosz lachte. »Wenn es nur meine Blicke sind, die sie fürchtet, ja. Aber darüber hinaus? Nein.«

»Meine Mutter scheint da anderer Meinung zu sein«, antwortete Arri spitz. »Irgendeinen Grund wird sie schon haben, warum sie nicht will, dass du mich siehst.«

»Deine Mutter ist deine Mutter«, erwiderte Dragosz, »und ich glaube fast, das ist Grund genug. Jedenfalls wäre es für jede Mutter meines Volkes Grund genug, hätten sie eine Tochter wie dich.«

»Deines Volkes?«, wiederholte Arri. »Welches Volk ist es denn?«

Dragosz wirkte überrascht, aber nicht sehr. »Deine Mutter scheint dir nicht sehr viel über mich erzählt zu haben«, sagte er, statt ihre Frage zu beantworten. Er deutete ein Schulterzucken an. »Wahrscheinlich wird sie ihre Gründe dafür haben. Und wahrscheinlich ist es doch besser, wenn ich diese Gründe achte, auch wenn ich sie nicht kenne.«

»Du meinst, du willst meine Frage nicht beantworten«, sagte Arri verärgert. Es war ihr selbst nicht bewusst in diesem Moment, aber ihre Angst war längst verflogen, so wie auch ihre Hände und Knie schon lange aufgehört hatten zu zittern; und auch das spürte sie nicht einmal. »Warum bist du dann hergekommen, außer um meine Fragen nicht zu beantworten und mich zu verspotten?«

Sie hätte erwartet, dass Dragosz jetzt ärgerlich reagieren oder sie zumindest zurechtweisen würde, aber er wirkte nur leicht überrascht und lachte plötzlich wieder. »Tatsächlich - deine Mutter hat die Unwahrheit gesagt. Du bist ihr noch ähnlicher, als ich sowieso geglaubt habe. Zumindest hast du ihre Zurückhaltung und Scheu geerbt.«

Das verstand sogar Arri. Sie lauschte zwar vergebens auf einen Unterton von Tadel oder gar Drohung in diesen Worten, rief sich in Gedanken aber dennoch scharf zur Ordnung. Dragosz würde ihr nichts tun, davon war sie mittlerweile überzeugt, aber sie würde auch nichts von ihm erfahren, wenn sie ihn unnötig reizte. »Was willst du von mir?«, fragte sie nur noch einmal und jetzt in gezwungen ruhigem Ton.

»Im Grunde wollte ich einfach nur ein paar Worte mit dir wechseln«, antwortete der schwarzhaarige Fremde. »Ich war neugierig auf dich, das ist alles.«

»Wieso?«, erkundigte sich Arri misstrauisch. »Hat meine Mutter so viel über mich erzählt?«

Dragosz schüttelte heftig den Kopf. Die aus Reißzähnen und Klauen gefertigte Kette an seinem Hals klimperte leise. »Im Gegenteil. Sie hat eigentlich gar nichts über dich erzählt, und genau das hat mich neugierig gemacht.«

»Und?«, fragte sie. »Bist du zufrieden mit dem, was du siehst?«

»Zumindest verstehe ich sie jetzt ein wenig besser«, antwortete Dragosz. Arri verspürte einen leisen Anflug von Ärger. Auch wenn Dragosz das bestimmt nicht wusste, so waren er und ihre Mutter sich doch zumindest in diesem einen Punkt ähnlich: Sie verstanden es meisterhaft, auf Fragen, die ihnen nicht gefielen, einfach nicht zu antworten. Doch was für ihre Mutter galt, das musste sie diesem Fremden nicht unbedingt auch durchgehen lassen.

»Was suchst du hier?«, fragte sie erneut und in noch schärferem und fast schon unverschämtem Ton. »Bist du nur gekommen, um dich über mich und meine Mutter lustig zu machen?«

»Nein«, antwortete Dragosz rasch. Sein Lächeln erlosch endgültig, und an seiner Stelle machte sich ein Ausdruck von tiefer, ehrlich empfundener Sorge in seinen Augen breit. »Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich da bin. Früher oder später hättest du es ohnehin gemerkt. Ich nehme doch an, deine Mutter hat dir das Spurenlesen beigebracht?«

»Ja«, antwortete Arri. »Aber ich bin nicht so gut wie sie.«

»Dann wäre sie auch keine gute Lehrerin«, antwortete Dragosz, was Arri im allerersten Moment nicht verstand, bevor er hinzufügte: »Die Frage ist wohl eher, ob du so gut bist wie sie in deinem Alter.« Er legte eine hörbare Pause ein, und Arri hatte das Gefühl, als wäre er nicht gänzlich sicher, ob er tatsächlich weitersprechen sollte. Als er es dann tat, war seine Rede möglicherweise nicht nur deshalb noch ein wenig schleppender, weil er sich die Worte mühsam zurechtzulegen musste. »Ich möchte dich um etwas bitten«, sagte er.

»Mich?«, entfuhr es Arri überrascht.

Dragosz nickte. Er griff unter seinen schwarzen Fellumhang, und Arri konnte sehen, wie er die Hand um etwas schloss, das er darunter trug, dann aber zog er den Arm wieder zurück. Seine Hand war leer. »Ihr habt noch einen langen und nicht ungefährlichen Weg vor euch«, fuhr er fort. »Ich möchte, dass du ein wenig auf deine Mutter Acht gibst.«

Diesmal musste Arri ihre Überraschung nicht mehr vorspiegeln. »Ich?«, vergewisserte sie sich. »Aber wieso denn ich?«

»Weil deine Mutter zwar eine ebenso tapfere wie kluge Frau ist«, antwortete Dragosz, »aber auch eine sehr stolze. Vielleicht ein bisschen zu stolz. Sie würde meine Hilfe niemals annehmen. Sie weiß, wie gefährlich diese Reise ist, aber sie würde mir nicht erlauben, euch zu begleiten, um euch zu beschützen und darauf Acht zu geben, dass euch nichts passiert.«

Arri war noch immer so überrascht, dass sie gar nicht antworten konnte. Sie starrte den schwarzhaarigen Fremden nur an. Dragosz seinerseits schien auf eine ganz bestimmte Reaktion ihrerseits zu warten und machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, als sie nicht kam. »Und... was genau... erwartest du von mir?«, fragte sie schließlich lahm.

»Nicht viel«, antwortete Dragosz. Arri war ziemlich sicher, dass er eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen. »Vielleicht nur, dass du die Augen aufhältst - und ein wenig auf deine Mutter achtest. Sie ist eine sehr kluge Frau, aber im Augenblick neigt sie zu unbedachten Reaktionen, fürchte ich. Und es wäre gut, wenn du ihr nichts von unserem Gespräch erzählst. Es würde sie nur zusätzlich belasten, wenn sie wüsste, dass wir uns begegnet sind.«

Es dauerte noch einen Moment, aber dann begriff Arri - endlich -, wovon Dragosz überhaupt sprach. Ihre Augenbrauen rutschten ein Stück nach oben, und sie konnte selbst hören, wie sich ein schriller Unterton in ihre Stimme schlich, als sie antwortete: »Du meinst, ich soll sie für dich bespitzeln?«

»Unsinn«, erwiderte Dragosz - im unduldsamen Ton des ertappten Sünders. »Wie kommst du darauf?«

»Weil du es gerade gesagt hast?«, schlug Arri vor.

Dragosz’ Augen blitzten noch zorniger. »Für wie dumm hältst du mich?«, fauchte er. »Sie ist deine Mutter, oder? Und ich bin ein vollkommen Fremder für dich, habe ich Recht? Wie kommst du auf die Idee, ich könnte ernsthaft von dir erwarten, deine eigene Mutter für einen Mann zu belügen, über dessen Ziele und Absichten du rein gar nichts weißt?«

Arri kam in diesem Moment vor allem der Gedanke, dass dies ein äußerst komplizierter Satz für einen Mann war, der ihrer Sprache anscheinend nur mit Mühe mächtig zu sein schien; zumal er ihn fließend und ohne das geringste Stocken hervorgebracht hatte. Sie sagte nichts dazu.