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»Aber natürlich. Er ist kein Tier, Kind, sondern ein denkendes Wesen - wie du und ich. Aber jetzt komm. Du wolltest die Hornbestien sehen.«

Im Grunde hatte Talianna gar keine Lust mehr, sich den Riesentieren noch weiter zu nähern. Ganz gleich, was Hraban behauptete, sie hatte Angst vor den tonnenschweren Kolossen, die wie lebende Felsen vor ihr aufragten. Aber sie wagte es nicht, Hraban zu widersprechen.

Vorsichtig ging sie näher an die Kolosse heran. Die beiden Hornbestien sahen ein bißchen aus wie zu groß geratene Igel, mit all ihren Stacheln und Panzerplatten, fand sie, und sie hatten geradezu lächerlich kleine Köpfe.

Sie schienen zu schlafen, und sie hatten sich dabei zusammengerollt wie große Katzen und die Schädel auf die beiden vorderen ihrer insgesamt sechs Beine gelegt.

Talianna sah, daß sie eine sonderbare Konstruktion aus Leder und Holz auf dem Rücken trugen. Sättel. Aber sie fragte sich vergeblich, wozu um alles in der Welt man derart riesige und sicher plumpe Reittiere brauchen konnte.

»Sie sind nicht plump«, beantwortete Hraban ihre entsprechende Frage. »Sie sehen vielleicht nicht so aus, aber sie laufen schneller als jedes Pferd, und sie rennen eine Woche, ohne anzuhalten, wenn es sein muß. Und wozu man sie braucht?« Hraban grinste. »Zum Beispiel, um ein Stadttor einzurennen. Oder eine feindliche Armee niederzutrampeln.«

Seine Antwort machte Talianna betroffen, denn für einen Moment hatte sie vergessen, was Hraban wirklich war - nämlich ein Mann, der sein Brot mit Kämpfen und Töten verdiente. Sie sah ihn an, und obgleich er immer noch lächelte, kam er ihr mit einem Male düster und finsterer vor als noch vor Augenblicken. Plötzlich hatte sie ein ganz kleines bißchen Angst vor ihm.

Talianna hatte mit einem Male keine Lust mehr, die beiden Riesentiere zu betrachten, und als Hraban sie fragte, ob sie hinaufsteigen und einmal im Sattel sitzen wolle, lehnte sie ab.

Eine sonderbare Ernüchterung ergriff von ihr Besitz, als sie die wenigen Schritte ins Lager zurückgingen.

Hraban bedeutete ihr mit einer knappen Geste, stehenzubleiben und auf ihn zu warten, dann trat er an den Fluß zu den Männern, die mit dem Bau eines einfachen Floßes beschäftigt waren, und redete eine Zeitlang mit ihnen; in einer Sprache, die Talianna nicht verstand. Eine Weile sah sie ihm dabei zu, dann sah sie sich abermals im Lager um, befolgte jedoch seinen Befehl, sich nicht von der Stelle zu rühren. Hrabans Worte, die er sicherlich ohne die Absicht gesprochen hatte, sie zu erschrecken, hallten dumpf hinter ihrer Stirn nach, und mit einem Male erschien ihr alles, was sie sah, anders. Die Zelte und Kleider - und vor allem die Gestalten! - waren noch immer bunt und exotisch, aber jetzt kam ihr ihre Fremdheit viel eher erschreckend als interessant vor.

Dann sah sie etwas, was sie wirklich erschreckte. Die Plane eines Zeltes, nicht sehr weit von Talianna entfernt, wurde mit einem Ruck beiseite geschlagen, und eine wahre Alptraumgestalt trat ins Freie. Im allerersten Moment glaubte Talianna, sich einem kleingewachsenen Mann in einer schwarzglänzenden Rüstung gegenüberzustehen, aber die Illusion hielt nur eine halbe Sekunde, und als sie die Wahrheit begriff, konnte sie einen erschrockenen Schrei nicht mehr unterdrücken.

Drei Schritte vor ihr stand der Urgroßvater aller Käfer.

Er war eine Handspanne größer als sie und ging aufrecht auf vier seiner sechs Beine, was ihm eine absurde, stark nach vorne geneigte Haltung verlieh. Das schwarze Chitin seines Außenskeletts glänzte wie sorgsam poliertes Eisen, und die Augen, groß wie Taliannas Fäuste, blickten mit der nur Insekten möglichen desinteressierten Grausamkeit auf das vor Angst zitternde Menschenkind herab. Die gewaltigen, vielfach geknickten Fühler auf seinem Kopf bewegten sich ununterbrochen, und als das bizarre Wesen einen Schritt auf sie zutrat, vernahm Talianna ein leises Schaben und Rascheln, wie von trockenem Holz, das aneinanderrieb. Es war ein sehr unangenehmes Geräusch.

Eine endlose Sekunde lang stand sie da und starrte das schwarze Ungeheuer an, dann fuhr sie herum, schlug die Hand vor den Mund und rannte los - direkt in Hrabans Arme hinein, der ihren Schrei gehört hatte und zurückgekommen war.

»Was ist los, Kind?« fragte er. »Du hast geschrieen.«

Talianna schlang die Arme so fest um Hrabans Hals, daß er keine Luft mehr bekam und ihren Griff mit sanfter Gewalt lösen mußte. Sie wollte antworten, aber der Schrecken schnürte ihr noch immer die Kehle zu.

»Was hast du?« fragte Hraban noch einmal, dann lächelte er plötzlich. »Oh, du hast dich erschrocken? Doch nicht vor Sixxa?« Er schüttelte den Kopf, stellte Talianna behutsam auf die Füße und drehte sie mit sanfter Gewalt herum, ließ die Hände jedoch auf ihren Schultern liegen.

Der Riesenkäfer war nicht näher gekommen, aber seine schrecklichen Augen starrten Talianna noch immer an, und sie begann noch stärker zu zittern. Ein kleiner, gurgelnder Schrei kam über ihre Lippen.

»Sixxa ist völlig harmlos«, sagte Hraban. »Hast du denn noch niemals einen Hornkopf gesehen?«

Talianna schüttelte heftig den Kopf, während sich das Rieseninsekt halb herumdrehte und ihr nun sein Profil zuwandte, fast, als wolle es ihr Gelegenheit geben, es in aller Ruhe zu studieren. Nicht, daß es von dieser Seite irgendwie schöner oder auch nur weniger unheimlich gewesen wäre. Alles an ihm war hart und schimmernd und wirkte irgendwie eckig; selbst die Augen, die faustgroße Halbkugeln waren, jede einzelne aus tausenden winziger sechseckiger Facetten zusammengesetzt. Seine Bewegungen waren ruckhaft und unglaublich schnell.

Sie erinnerten Talianna an die unheimlichen, abstoßenden Bewegungen von Spinnen.

»Schickt... schickt es fort!« sagte sie. »Bitte!«

Hraban seufzte. »Aber er ist völlig harmlos«, sagte er, scheinbar verständnisvoll, aber trotzdem mit einer hörbaren Spur von Verärgerung in der Stimme. Er schien kein sehr geduldiger Mann zu sein.

»Schickt es fort!« beharrte Talianna. »Es... es macht mir Angst.«

Hraban seufzte abermals, nahm aber dann die rechte Hand von Taliannas Schulter und gab dem Käferwesen einen Wink. Die Antennen auf Sixxas Kopf zuckten hektisch; ein rasselnder, unangenehmer Laut kam aus seinem dreieckigen Insektenmaul. Aber es wandte sich gehorsam um und verschwand wieder in dem Zelt, aus dem es gekommen war. Als sich die Plane hob, erhaschte Talianna einen kurzen Blick in sein Inneres, und für einen Moment glaubte sie ruckhafte schwarze Bewegung zu sehen. Etwas glitzerte. Talianna sah rasch weg.

Hraban löste auch die andere Hand von ihrer Schulter, drehte sie abermals herum und ließ sich wieder in die Hocke sinken. »Es tut mir leid, daß Sixxa dich so erschreckt hat«, sagte er. »Ich dachte, daß ihr die Hornköpfe kennt. Sie sind wirklich harmlos, trotz ihres furchteinflößenden Aussehens.« Er lachte. Es klang nicht ganz echt. »In unserem Lager sind viele von ihnen. Sie sind nützlich, und sehr treu. Manche von unseren Kindern reiten auf ihnen.«

Talianna hatte immer noch Mühe, nicht vor Furcht einfach loszuweinen. Sie hatte niemals zuvor im Leben etwas Entsetzlicheres gesehen als das schwarze Alptraumwesen, das Hraban so harmlos als Hornkopf bezeichnet hatte. Sie hatte auch niemals zuvor von aufrecht gehenden, intelligenten Insekten gehört.

»Sind... sind sie... nicht-Menschen?« fragte sie stockend.

Hraban runzelte die Stirn. »Eine gute Frage«, gestand er, »aber ich weiß es nicht. Manchmal kommt es mir fast so vor, aber...« Er stockte, blickte einen Moment lang an Talianna vorbei auf das Zelt, in dem der Käfer verschwunden war, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Sie sind nur Tiere, wenn auch sehr gelehrige Tiere. Ich glaube nicht, daß sie denken, so wie du oder ich.«

Der Gedanke beruhigte Talianna ein wenig. Das Schlimmste an Sixxa war vielleicht der Blick seiner Augen gewesen, schimmernder in allen Farben des Regenbogens, in denen eine böse, abschätzende Intelligenz gelauert zu haben schien. Die Vorstellung, daß dieses Monster intelligent sein könnte, erfüllte sie mit Grauen, obwohl sie selbst nicht zu sagen vermochte, warum.