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»Unmöglich«, sagte Angella. Ihre Stimme war sehr ruhig; matt. Die Anstrengungen der letzten Nächte klangen in jeder Silbe mit. Und ihre Worte waren frei von jeder Bitterkeit oder gar von Vorwurf. Es war einfach eine Feststellung. Aber es gab keinen Widerspruch dagegen. Und Tally wußte, daß sie recht hatte. Es war unmöglich. Niemand, der keine Flügel hatte konnte diesen Berg besteigen.

Tally fühlte... nichts.

Es war sonderbar - sie hätte enttäuscht sein müssen, verzweifelt, zornig... aber sie spürte nichts von alledem. Allenfalls ein nicht einmal sehr starkes Gefühl von Resignation, eine ganz sanfte, aber nicht sehr unerwartete Enttäuschung. Sie hatte einen Drachen getötet. Sie hatte der Macht die Stirn geboten, die über diese Welt herrschte, länger, als die Geschichte der Völker zurückreichte, sie hatte dem gräßlichsten Ungeheuer, das die Götter jemals ersonnen hatten, - dem Schlund - ein Schnippchen geschlagen. Aber dieser Berg besiegte sie.

Einfach dadurch, daß er da war.

Und doch spürte sie, daß es richtig war.

Vielleicht... ja, dachte sie matt, vielleicht war das der Grund, aus dem sie so unbeteiligt schien. Die Erkenntnis, daß Angella und sie an diesem Berg scheitern mußten, kam nicht überraschend. Sie hatten ihn gesehen, während der letzten fünf Nächte, ein ganz allmählich größer werdender Schatten vor dem Nachthimmel, und irgendwie war es - jetzt - als hätte etwas in ihr die ganze Zeit über gewußt, wie unmöglich es war, ihn zu ersteigen.

Es war wie ein Stein, der noch gefehlt hatte, das Mosaik vollends zusammenzufügen, und der nur so und nicht anders sein konnte, sollte er passen. Der Endpunkt einer Entwicklung, die irgendwann einmal ihren Anfang genommen hatte und ihren Händen längst entglitten war. Vielleicht hatte sie niemals wirklich Einfluß darauf gehabt. Zum erstenmal, seit sie vor so unendlich langer Zeit als Kind aus dem Wald getreten war und ihre Heimatstadt in Trümmern unter sich liegen gesehen hatte, fragte sie sich, ob sie vielleicht nicht in Wahrheit nur ein Werkzeug war, das Werkzeug einer höheren, durch und durch grausamen Macht, auf deren Entscheidungen sie keinen Einfluß hatte.

»Unmöglich!« sagte Angella noch einmal. »Das... das schaffen wir nicht! Niemand schafft das!«

Tally schwieg. Sie spürte, daß Angella auf eine Antwort wartete, darauf wartete, daß sie irgend etwas sagte, irgend etwas, aber es gab nichts, was sie sagen konnte. Sie waren am Ende ihres Weges angelangt. Vielleicht war dies eine jener Geschichten, dachte sie, die nicht gut endeten. Eine jener Geschichte, die niemand weitererzählen würde, weil die Helden am Ende nicht siegten, sondern den Tod fanden, nur ein paar Narren mehr, die sich eingebildet hatten, dem Schicksal eine lange Nase drehen zu können.

Sie blickte den Berg an, dann den Himmel, der sich ganz allmählich rot zu färben begann, und dann den Berggipfel. In wenigen Augenblicken würden die Drachen ausschwärmen. Es wäre leicht, dachte sie. Sie brauchten nichts anderes zu tu als einfach dazustehen und zu warten, bis sie sie sahen. Vielleicht würde der Tod im Feuer der Drachen entsetzlich sein, aber er würde nicht lange dauern. Ein kurzer Augenblick furchtbarer Hitze, vielleicht - und auch das nur vielleicht - ein kurzer Schmerz. Und nichts mehr.

Aber es wäre falsch. Irgend etwas fehlte noch. Dies alles war nicht sinnlos gewesen, das spürte sie, sondern Teil eines sorgsam ausgeklüngelten Planes. Und sein Ziel war nicht ihr Tod. Wenigstens noch nicht jetzt. Die Lösung, die endgültige Erklärung, war da, ganz dicht unter ihren Gedanken, aber ihrem Zugriff noch entzogen, wie ein noch ungeborenes Kind.

Und dann wußte sie, was zu tun war.

Ganz langsam zog sie den Laser aus dem Gürtel, schaltete die Waffe ein und richtete sie auf den Berg.

Angella erbleichte Schrecken. »Was tust du?« keuchte sie. »Du wirst alles verderben? Tally! NEIN!!!«

Tallys Finger verharrte ein winziges Stück über dem Auslöser. Eine Waffe vibrierte in ihrer Hand; sie spürte die Energie, die darauf wartete, entfesselt zu werden, das Drängen in ihrem Inneren, es zu tun, es endlich zu Ende zu bringen, die unhörbare, aber drängende Stimme, die ihr zuflüsterte, daß Angella und der Waga unwichtig waren. Ihr Leben zählte so wenig wie das Tallys, wie das irgendeines der zahllosen anderen lebenden Wesen, die sie ausgelöscht hatte, um hierher zu kommen. Sie war hier, und sie wußte jetzt, wie sie ihre Rache vollziehen konnte, eine Rache, die tausendmal schrecklicher war, als sich Jandhi und ihre Schwester auch nur vorstellen konnten.

Und trotzdem zögerte sie noch.

»Geh«, sagte sie leise.

Angella starrte sie an. »Was... was hast du gesagt?«

»Geh«, wiederholte Tally. »Und auch du, Hrhon - ihr könnt gehen. Was jetzt kommt, geht nur noch mich an.«

Angella starrte die Waffe in Tallys Hand an, dann sie selbst. »Du... du willst...«

»Ich will nicht«, unterbrach sie Tally, sehr leise, aber in einem Ton, der es Angella unmöglich machte, zu widersprechen. »Ich muß. Ich werde tun, was nötig ist. Ich mußt dort hinauf, und es gibt nur einen Weg, dies zu tun.«

»Als Jandhis Gefangene?« Angella lachte, aber es war wohl eher ein Schrei. »Das hättest du leichter haben können!«

Tally antwortete nicht. Wie sollte sie Angella erklären, daß es nur diesen und keinen anderen Weg gegeben hatte? Wie sollte sie etwas erklären, das sie selbst zwar wußte, aber nicht verstand? Wortlos schüttelte sie den Kopf.

Angella trat einen Schritt auf sie zu und blieb stehen, als Hrhon drohend die Hände hob. »Du... du bist wahnsinnig!« keuchte sie. »Ich bitte dich, Tally - überlege, was du tust! Sie werden dich umbringen!«

»Wahrscheinlich«, antwortete Tally. »Aber zuerst werden sie mich dort hinaufbringen. Alles andere zählt nicht.«

»Verdammt noch mal, bist du nur hierhergekommen, um zu sterben?« brüllte Angella. Plötzlich duckte sie sich unter Hrhons Arm hindurch, sprang auf Tally zu und versuchte ihre Hand herunterzuschlagen. Hrhon packte sie im Nacken, riß sie zurück und schleuderte sie zu Boden.

»Laß sie«, sagte Tally sanft. Sie lächelte, senkte den Laser noch einmal und deutete mit der anderen Hand nach Süden, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Geh, Angella«, sagte sie. »Es ist vorbei. Für dich, und auch für Hrhon.«

»Gehen?« Angella stand auf, hob die Hände und führte die Bewegung nicht zu Ende. Tally hatte selten zuvor einen Ausdruck größerer Hilflosigkeit im Gesicht eines Menschen gesehen. »Aber... aber wohin denn?«

»Euch wird nichts geschehen«, sagte Tally. »Geht zurück zur Klippe. Ihr werdet einen Weg hinauf finden, ich bin sicher. Jandhi wird euch nicht mehr behelligen. Sie will nur mich.«

»Und du willst sie«, stellte Angella fest. Plötzlich war ihr Zorn wie weggeblasen. Auf eine völlig andere, aber ebenso erschreckende Art wirkte sie so kalt und entschlossen wie Tally. »Und wenn ich bleibe?« Sie sah Tally herausfordernd an.

»Dann wirst du sterben«, antwortete Tally. »Willst du das?«

»Du willst es doch auch, oder?« Angella ballte die Faust. »Du bist nicht die einzige, die glaubt, ein Recht auf Jandhis Kopf zu haben, Tallyliebling. Ich weiß nicht, was sie dir getan haben, aber ich weiß, was sie mir getan haben, und ich gehe nicht hier fort, als wäre nichts geschehen, ohne daß irgend jemand dafür bezahlt hat. Du hast kein Monopol auf Haß, Liebling.«