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»Was geschah mit den anderen?« fragte es nach einer Weile, und ohne die Frau anzublicken. »Mit dem Blinden und der verrückten Frau?« .

»Hrabans Männer haben sie getötet«, antwortete die Fremde. »Sie waren natürlich keine Söldner, und sie kamen auch nicht zufällig vorbei. Aber das alles hat Talianna erst später erfahren.« Sie zögerte fast unmerklich, und als sie weitersprach, war in ihrer Stimme ein bitterer Klang. »Sehr viel später.«

»Was geschah mit ihr?« fragte das Mädchen.

»Mit Talianna?« Die Fremde lächelte traurig. »Es gibt sie nicht mehr, Kleines.«

»Hat Hraban sie auch getötet?« fragte das Mädchen erschrocken. Sie wußte nicht, warum, aber der Gedanke machte ihr Angst. Sie wollte es nicht.

»Getötet?« Die Fremde lächelte. »Nein. Aber er... machte eine andere aus ihr. Er nahm sie mit zu sich, zu seinen Leuten, weißt du? Und später hat er sie geheiratet.«

»Geheiratet?« wiederholte das Mädchen ungläubig. »Er?«

»Warum nicht? Talianna war ein hübsches Mädchen, und sehr klug. Und sie hatte ja niemanden mehr, zu dem sie gehörte.«

Es fiel dem Mädchen schwer, die Worte der Frau zu glauben, und sie sagte es.

Wieder lächelte die Fremde auf diese sonderbare, fast unheimliche Art. »Du verstehst nicht, warum sie es tat«, sagte sie. »Dabei ist die Antwort sehr einfach. Sie hatte etwas, das ihr Kraft gab. Ihren Haß.«

»Haß?« Das Mädchen verstand nun gar nichts mehr. Wie konnte jemand jemanden aus Haß heiraten?

»Haß«, bestätigte die Frau. »Den gleichen Haß, den auch du jetzt spürst, Kind. Haß auf die, die ihre Familie getötet hatten. Die ihre Heimat verbrannten, ihr Leben vernichteten. Vielleicht spürst du es jetzt noch nicht, aber er wird kommen. Du mußt dich dagegen wehren, hörst du? Er ist eine große Kraft, aber er ist nicht gut. Lasse nicht zu, daß er Gewalt über dich erlangt.«

»Aber Talianna -«

»Talianna existierte schon bald nicht mehr«, unterbrach sie die Frau. »Sie heiratete Hraban und wurde eine andere. Sie änderte sogar ihren Namen und nannte sich nur noch Tally.«

»Tally.« Das Mädchen wiederholte den Namen ein paarmal in Gedanken, ehe sie zu dem Schluß kam, daß er ihr nicht gefiel.

Nicht so gut wie Talianna. Sie sagte es.

»Ich weiß«, sagte die Fremde. »Er klingt... härter. Gnadenloser. Und so wurde sie auch. Der Haß zerfraß sie, ohne daß sie es selbst merkte, und wenn, wäre es ihr gleich gewesen, denn er gab ihr auch Kraft. Die Kraft, alles zu erreichen, was sie wollte.«

»Und was war das?« fragte das Mädchen.

»Rache«, antwortete die Frau. »Macht. Die Macht, die zu finden, die für den Tod ihrer Stadt verantwortlich waren, und zu bestrafen. Sie heiratete Hraban, und fünf Jahre später tötete sie ihn und wurde selbst zur Anführerin der Sippe.«

Die Augen des Mädchens wurden groß vor Staunen, als sie dies hörte, aber die Frau nickte, um ihre Worte zu bekräftigen.

»Sie nahm Hrabans Stelle eine, sagte sie. »Oh, es war nicht leicht, denn sie war eine Frau, und eine Fremde dazu. Aber der Haß gab ihr die Kraft, ihr Ziel zu erreichen.« Sie schwieg einen Moment, nahm die Hand vom Arm des Mädchens und blickte in den Himmel empor, als suche sie etwas.

»Und was hat sie getan?« fragte das Mädchen, als die fremde Frau nicht von selbst weitersprach, Seine Neugier war geweckt, und die Geschichte der Fremden half ihr, den entsetzlichen Schmerz in ihrem Inneren wenigstens für eine kurze Weile zu vergessen. Und sie hatte das Gefühl, daß das, was sie hörte, von großer Wichtigkeit war, wenn sie auch nicht wußte, warum.

»Ihre Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte die Frau. »Sie dachte es, damals, nach Hrabans Tod, aber das stimmte nicht. Sie haßte noch immer, mehr als zuvor, und als es Hraban nicht mehr gab, da suchte sie sich etwas Neues, was sie hassen und bekämpfen konnte...«

2. KAPITEL - DER TURM

~ 1 ~

Die Krell-Echse sprang so warnungslos aus ihrem Sandloch, daß selbst Hrhons übermenschlich schnelle Reaktion zu spät kam. Der Waga stieß den schrillen Warnschrei seines Volkes aus, fuhr im Sattel herum und riß seinen Dolch aus dem Gürtel. Die Waffe zischte dicht über den Hals von Tallys Reitpferd durch die Luft und grub sich mit einem dumpfen Geräusch in den Sand, mit einer Kraft und Schnelligkeit geschleudert, die der einer Kanonenkugel kaum nachstand.

Die Krell-Echse traf sie nicht.

Tally riß im letzten Moment die Arme vor das Gesicht, als sie den gefleckten Schatten auf sich zufliegen sah. Die Krell-Echse prallte gegen sie, klammerte sich mit allen acht Beinen an ihren Arm, ringelte den stahlbewehrten Schwanz um ihren Bizeps und versuchte ihr mit zwei Dutzend winziger, messerscharfer Krallen das Gesicht zu zerfetzen. Ein brennender Schmerz fuhr durch Tallys Hand, als sich die Kiefer des Miniatur-Monsters um ihren rechten Zeigefinger schlossen und nadelspitze Zähnchen in ihre Haut eindrangen.

Sie fluchte ungehemmt, drehte das Gesicht von den wirbelnden Klauen weg und packte die Echse mit beiden Händen. Das Tier stieß ein wütendes Zischen aus, veränderte seine Farbe von Schwarzbraun zu einem grellen, lodernden Rot und löste den Schwanz von ihrem Arm, um mit seinem stachelbewehrten Ende nach ihren Augen zu schlagen.

Tally hielt das Tier so weit von sich fort, wie sie nur konnte, betrachtete es einen Augenblick lang mit einer Mischung aus Wut und gelindem Interesse und brach ihm dann mit einer raschen Bewegung das Rückgrat. Die Krell-Echse zuckte noch einmal und erschlaffte plötzlich in ihren Händen.

Tally ließ den Kadaver achtlos in den Sand fallen und sah wütend zu Hrhon auf.

»Du blöder Flachkopf!« schrie sie. »Kannst du nicht besser aufpassen? Um ein Haar hättest du mit deinem verdammten Dolch mein Pferd getroffen! Wozu nehme ich euch überhaupt mit? Um mich aufzuschlitzen?«

Auf dem geschuppten Reptiliengesicht des Waga war keine Reaktion auf ihre Worte zu erkennen, - was nicht weiter verwunderlich war, dachte Tally mit einer Mischung aus Resignation und Zorn. Wenn man ein Gesicht wie ein fünfzehn Jahre alter Stiefel hatte, den noch dazu ein Mann mit zu großen Füßen getragen hatte, und das davon abgesehen nur aus Knochen und Panzerplatten bestand, war es schlechterdings unmöglich, darauf irgendeine Reaktion zu erkennen. Aber Hrhon zuckte sichtlich zusammen und senkte den Blick. Tallys Wutausbrüche waren selbst bei den Wagas bekannt und gefürchtet. Es wäre nicht das erste Mal, daß sie Hrhon oder Essk absteigen und stundenlang durch den glühenden Wüstensand zu Fuß hinter sich hergehen ließ. Auf der der Sonne zugewandten Seite der Horntiere, selbstverständlich.

Aber diesmal verzichtete sie auf die Bestrafung. Sie waren ihrem Ziel zu nahe, und sie waren zu lange unterwegs gewesen, um jetzt noch Zeit zu verschwenden. Außerdem entsprang ihre Erregung wohl mehr dem Schrecken als wirklicher Angst. Krell-Echsen waren harmlos: gierige kleine Ungeheuer, die einfach alles angriffen, was sich in ihrer Nähe bewegte, und dabei nur allzu leicht vergaß er, daß sie nur wenig größer als eine normale Männerhand waren. Ihre einwärts gebogenen Fangzähne enthielten in winzigen Hohlöhren ein geradezu mörderisches Gift, das im Bruchteil einer Sekunde zu Krämpfen und in weniger als einer Minute zum Tode führte, allerdings einen kleinen Schönheitsfehler hatte: es wirkte nur auf Krell-Echsen. Tally hatte mehr als eines dieser angriffslustigen kleinen Mistviecher gesehen, das sich aus lauter Blödheit selbst gebissen und vergiftet hatte.