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Sie sah Tally scharf an. »Wohin gehen wir überhaupt?«

»Nach Norden«, antwortete Tally ausweichend. »Wenigstens hoffe ich es.«

»Und was ist im Norden?«

Tally zögerte. Irgend etwas - eine Art innere Stimme vielleicht - riet ihr davon ab, Angella mehr zu erzählen, als sie ohnehin schon wußte. Auf der anderen Seite sehnte sie sich einfach danach, mit einem Menschen zu reden.

»Die Drachen«, sagte sie schließlich. »Die Heimat der Drachen, Angella.«

»Hier - im Schlund?«

Angellas Zweifel war unüberhörbar.

»Auf einer Felseninsel, die so hoch wie der Schelf aus dem Schlund aufragt, hundertfünfzig Meilen von hier«, bestätigte Tally.

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es eben«, fauchte Tally. »Verdammt, du hättest dich nicht einmischen sollen, Angella. Ich wollte nicht, daß du mitkommst. Jetzt ist es zu spät. Du -«

Sie verstummte, als Angella warnend die Hand hob.

Auch sie hatte das Geräusch gehört - nicht sehr laut, aber deutlich. Und es war... falsch. Es paßte nicht in die Geräuschkulisse des Waldes.

Eine Sekunde später hörte sie es erneut. Sie stand auf.

Ihre Hand glitt zum Schwert, löste sich nach sekundenlangem Zögern wieder von seinem Griff und schmiegte sich um den Griff des Lasers.

»Geh hinein und hole Hrhon und Karan«, sagte sie. »Schnell.«

Angella widersprach nicht. Schnell und lautlos wie ein Schatten verschwand sie im Inneren des Baumes. Tally selbst huschte ein Stückweit zur Seite, bis sie in Deckung eines mannsdicken verbrannten Astes stand. Sie lauschte. Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber irgend etwas hatte sich verändert.

Dann wußte sie, was es war. Seit sie in diesem Wald erwacht war, war seine Geräuschkulisse gleich geblieben - ein unablässiges, aber fast gleichmäßiges Lärmen und Toben, aus Tausenden von einzeln nicht wahrnehmbaren Lauten zusammengefügt, das den Kreis von Stille belagerte, der sie umgab. Jetzt war etwas da, das diesen Herzschlag des Schlundes störte: ein Quell hektischer Unruhe, nicht sehr weit entfernt, als...

... ja, als wäre etwas in den Wald eingedrungen, das nicht hineingehörte.

Angella kam zurück, dicht gefolgt von Hrhon und Karan.

»Jhemahnd khohmmt«, zischelte Hrhon, nachdem er kaum eine Sekunde lang mit schräggehaltenem Kopf gelauscht hatte.

»Das ist unmöglich!« widersprach Karan. Seine Stimme klang fast erschrocken. »Sie würden es nicht wagen, uns -«

Tally brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Verstummen. »Geh und sieh nach, Hrhon«, befahl sie. »Aber sei vorsichtig. Ganz gleich, wer es ist, geh kein Risiko ein, hörst du?«

Hrhon versuchte ein Nicken nachzuahmen, schob sich an ihr vorbei und balancierte auf den Waldrand zu. Tally blickte ihm schweigend nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckt hatte. Das Lärmen und Toben in der Nacht hielt weiter an. Es kam nicht näher.

»Deine Freundin aus der Stadt?« erkundigte sich Angella beiläufig.

Tally sah sie ärgerlich an. »Woher soll ich das wissen?« schnappte sie. Angella setzte zu einer scharfen Antwort an, beließ es aber dann bei einem Seufzen und starrte an Tally vorbei in die Richtung, in der Hrhon verschwunden war.

Es dauerte fast zehn Minuten, bis der Waga zurückkam, und in dieser Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort. Endlich tauchte Hrhons buckeliger Schatten wieder aus der Nacht auf. Aber er kam nicht ganz heran, sondern blieb auf dem vibrierenden Wurzelnetz stehen und hob winkend den rechten Arm.

»Khohmmt rhasss!!« rief er.

»Geht nicht!« rief Karan erschrocken aus. »Es ist gefährlich! Ihr werdet sterben, wenn ihr allein in den Wald geht!«

»So?« Angella lächelte böse. »Weißt du was, Karan - ich glaube dir sogar.«

»Ich auch«, fügte Tally hinzu. »Und das ist auch der Grund, aus dem Karan uns begleiten wird, nicht wahr, Angella?«

»Genau«, sagte Angella.

~ 5 ~

»Da!« Hrhons hornige Klaue bog einen dornengespickten Zweig beiseite und deutete gleichzeitig mit zwei ausgestreckten Fingern nach vorne. Tally kniff angestrengt die Lider zusammen. Es fiel ihr immer noch schwer, in der fast vollkommenen Dunkelheit unter dem Wipfeldach zu sehen, obwohl ihre Augen Zeit genug gehabt hatten, sich an das schwache Licht zu gewöhnen.

Und doch hatte sie selbst jetzt noch Mühe, die drei in fließendes Schwarz gekleideten Gestalten als das er erkennen, was sie waren.

»Das ist doch nicht möglich!« flüsterte Angella, die neben sie getreten war. Sie schüttelte den Kopf, sah erst Tally, dann Hrhon und dann die drei schwarzglänzenden Gestalten an und schüttelte abermals den Kopf. »Das ist vollkommen ausgeschlossen.«

Tally schwieg. Angella sprach nur aus, was sie alle - ausgenommen vielleicht Karan - dachten: es war vollkommen ausgeschlossen, daß Jandhis Häscher ihre Spur in diesem Wald aufgenommen haben sollten.

Selbst, wenn die Reiter auf den drei Drachen, die sie am Mittag gesehen hatte, sie entdeckt haben sollten - es war einfach unmöglich, jemanden in diesem Gewirr aus Blättern und Gestrüpp aufzuspüren.

Und doch war es geschehen.

Zwei der drei Gestalten dort vor ihr waren Hornköpfe; große, selbst hinter dem Schleier der Nacht noch abrundtief häßliche Kreaturen. Die dritte war eine Frau, nicht sehr viel älter als Angella und in das lederne Schwarz der Töchter des Drachen gehüllt.

Und ebenso tot wie die Hornköpfe.

Tally stand vorsichtig auf, bedeutete Angella und Karan mit Gesten, zurückzubleiben, und näherte sich den drei schwarzgekleideten Gestalten. Verwesungsgeruch schlug ihr entgegen, der Gestank von Blut und Tod.

Ihr Herz begann vor Erregung fast schmerzhaft zu hämmern.

Die drei Toten standen aufrecht da, mitten in der Bewegung erstarrt wie bizarre lebensgroße Statuen, gehalten von einem jener dünnen silbergrauen Netze, die Karan am Tage zuvor mit solchem Entsetzen erfüllt hatten. Tally warf nur einen raschen Blick dorthin, wo das Gesicht der Drachentochter sein sollte, und sah hastig wieder weg.

Aber auch die beiden Hornköpfe boten keinen wesentlich erfreulicheren Anblick: der Chitinpanzer des einen war geborsten, aber darunter war nichts mehr. Irgend etwas hatte ihn regelrecht leergefressen, so säuberlich, daß nicht einmal ein Tropfen Blut zu sehen war. Der Brustschild des dritten Kampfinsektes war von Millionen nadelfeiner Einstiche übersät. Darunter schien sich etwas zu bewegen.

»Das ging schnell«, murmelte Angella neben ihr. Natürlich war sie nicht zurückgeblieben, ebensowenig wie Karan. »Da hat jemand gründliche Arbeit geleistet.« Sie sah sich mit routiniertem Blick um. »Kein Kampf«, stellte sie fest. »Sie müssen in Sekunden tot gewesen sein.«

»Ich frage mich, was sie hier gesucht haben«, murmelte Tally. Sie fühlte sich unwohl, nicht nur durch den bloßen Anblick der drei Toten. Angella hatte recht - es gab nicht die geringsten Spuren eines Kampfes. Die drei Eindringlinge mußten binnen Sekunden gestorben sein.

»Das ist eine ziemlich dumme Frage«, sagte Angella. »Dich. Genauer gesagt - uns.« Sie seufzte. »Aber woher wissen sie, wo wir sind?«

Aber darauf wußte Tally ebensowenig eine Antwort wie sie selbst.

Schaudernd sah sie sich um. Die Nacht war sehr dunkel, aber durch eine Lücke im Blätterdach fiel ein wenig blasser Sternenschein herein, so daß sie erkennen konnten, auf welchem Wege die junge Frau und ihre beiden Begleiter hergekommen waren: die Hand des toten Mädchens umklammerte noch immer den Griff des Lasers, mit dem sie die Bresche in das Geäst des Wipfelwaldes geschnitten hatte. Sie war nicht einmal mehr dazu gekommen, die Waffe abzuschalten. Das rote Licht in ihrem Griff funkelte wie ein blutiges Auge.

»Diese drei sind bestimmt nicht allein gekommen«, vermutete Angella. Sie entdeckte die Waffe in der Hand der Toten, runzelte überrascht die Stirn und trat auf sie zu.