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Jason streckte die rechte Hand aus und krümmte den Zeigefinger. Etwas klatschte gegen die Handfläche und knallte gleichzeitig. Er hatte die Pistole in der Hand und sah verblüfft auf die leichte Rauchwolke nieder, die von der Mündung aufstieg.

„Die Pistole enthält natürlich nur Platzpatronen, bis Sie mit der Handhabung völlig vertraut sind. Aber die Waffen sind immer geladen, aber nie gesichert. Ist Ihnen aufgefallen, daß der Bügel um den Abzug fehlt? Auf diese Weise können Sie den Zeigefinger schon vorher krümmen, so daß der Schuß fällt, sowie Sie die Pistole in der Hand haben.“

Jason hatte noch nie eine tödlichere Waffe in der Hand gehabt, aber gleichzeitig noch nie eine, die mehr Übung erfordert hätte. Er konzentrierte sich ganz auf dieses Problem und vergaß darüber fast, wie todmüde er eigentlich war. Meistens verschwand allerdings die Pistole in genau dem Augenblick, in dem er den Abzug betätigen wollte. Noch schlimmer war es, daß sie oft in seiner Hand erschien, bevor er darauf gefaßt war. In diesem Fall krachte sie gegen seine Finger, die nicht rechtzeitig die richtige Stellung eingenommen hatten.

Jetzt begriff Jason allmählich, weshalb die Pyrraner sich unter keinen Umständen von ihrer Waffe trennten. Das mußte ihnen tatsächlich wie eine Art Amputation erscheinen. Im Grund genommen hatte man mit der Kombination aus Pistole und Halfter einen Blitzstrahl am Zeigefinger zur Verfügung. Man brauchte nur auf ein Ziel zu deuten, dann fiel auch schon der Schuß.

Brucco hatte Jason allein gelassen, damit er ungestört üben konnte. Als die Hand nach einiger Zeit zu sehr schmerzte, gab Jason seine Versuche auf und ging in sein Zimmer zurück. Als er um eine Ecke bog, sah er eine bekannte Gestalt vor sich den Korridor entlanggehen.

„Meta! Warte einen Augenblick! Ich muß mit dir sprechen.“

Sie wandte sich ungeduldig um, als er so rasch wie möglich auf sie zueilte. Sie hatte sich sehr verändert und glich kaum noch dem Mädchen, das er auf dem Schiff gekannt hatte. Schwere Stiefel reichten bis an ihre Knie, die schlanke Gestalt verschwand in einem weiten Schutzanzug aus Metallgewebe. Um die Taille herum trug sie einige Behälter am Gürtel. Ihr Gesichtsausdruck war kalt und abweisend.

„Was willst du?“ fragte sie unfreundlich.

„Ich habe dich vermißt“, antwortete Jason. „Ich wußte gar nicht, daß du hier warst.“ Er wollte nach ihrer Hand greifen, aber sie entzog sie ihm mit einer raschen Bewegung.

„Was willst du?“ wiederholte sie.

„Was ich will?“ gab er mit schlecht verhehltem Erstaunen zurück. „Ich bin Jason, erinnerst du dich noch? Wir sind Freunde. Gibt es hier eine Vorschrift, nach der Freunde sich nicht unterhalten dürfen, es sei denn, sie wollen etwas vom anderen?“

„Was auf dem Schiff geschehen ist, hat keinerlei Zusammenhang mit den Ereignissen auf Pyrrus.“ Meta wandte sich ab und wollte weitergehen. „Ich habe den Wiederholungskurs hinter mir und muß wieder arbeiten. Du bleibst weiterhin hier, deshalb können wir uns nicht mehr sehen.“

„Warum bleibst du nicht bei den Kindern, wo du hingehörst das wolltest du doch sagen, nicht wahr? Aber so schnell lasse ich dich nicht gehen…“

Jason machte einen entscheidenden Fehler, als er die Hand ausstreckte, um Meta zurückzuhalten. Er wußte nicht einmal wie ihm geschah, als er plötzlich gegen die Wand prallte und zu Boden ging. Seine Schulter tat ziemlich weh, und Meta war verschwunden.

Er hinkte in sein Zimmer zurück und fluchte dabei leise vor sich hin. Als er wieder auf seinem steinharten Bett lag, versuchte er sich daran zu erinnern, weshalb er überhaupt nach Pyrrus gekommen war. Dann überlegte er sich, was ihm in Zukunft noch bevorstehen mochte — die ständige Belastung durch die hohe Schwerkraft, die schrecklichen Angstträume und die Verachtung, die alle Pyrraner Fremden gegenüber empfanden. Er mußte sich beherrschen, um nicht etwa Mitleid mit sich selbst zu empfinden. Schließlich war er tatsächlich verweichlicht und hilflos, wenn er sich mit den Pyrranern verglich. Wenn er ihnen eine bessere Meinung von sich beibringen wollte, mußte er sich gewaltig ändern. Er versank augenblicklich in einen erschöpften Schlaf, der nur von entsetzlichen Angstvorstellungen unterbrochen wurde.

7

Am folgenden Morgen wachte Jason mit Kopfschmerzen auf und fühlte sich, als hätte er keine Sekunde lang geschlafen. Während er die Tabletten nahm, die Brucco für ihn bereitgelegt hatte, fragte er sich wieder einmal, auf welche Ursachen seine schrecklichen Alpträume zurückzuführen sein mochten.

„Essen Sie so schnell wie möglich“, befahl Brucco ihm, als sie beim Frühstück saßen. „Ich kann Ihnen jetzt keinen Privatunterricht mehr erteilen. Von jetzt ab nehmen Sie am regulären Unterricht teil. Kommen Sie nur noch zu mir, wenn Sie Schwierigkeiten haben, die Ihre Lehrer nicht lösen können.“

Wie Jason halbwegs erwartet hatte, bestand die Klasse aus ernsten Kindern. Ihr Körperbau und ihr gesetztes Benehmen ließen sofort erkennen, daß sie Pyrraner sein mußten. Aber sie waren trotzdem kindlich genug, um ihren Spaß daran zu haben, daß plötzlich ein Erwachsener an ihrem Unterricht teilnehmen sollte. Jason zwängte sich mit rotem Gesicht hinter eines der winzigen Pulte und fand die Angelegenheit keineswegs witzig.

Die Form des Klassenzimmers war allerdings alles, was an eine Schule erinnerte. Zumindest mußte es als ungewöhnlich erscheinen, daß selbst das kleinste Kind eine Pistole trug. Und der Unterrichtsstoff bestand nur aus Überlebensanweisungen. Jeder Schüler mußte den Stoff hundertprozentig beherrschen, bevor er eine Stufe vorrücken durfte. Die sonst üblichen Fächer wurden nicht unterrichtet, denn dafür blieb genügend Zeit, wenn die Kinder aus der Überlebensschule entlassen waren und für sich selbst sorgen konnten. Das war zwar eine kaltblütige Betrachtungsweise, aber auf Pyrrus vermutlich die einzig vernünftige.

Die ersten Unterrichtsstunden dienten der Erklärung des Medikastens, der Erste-Hilfe-Ausrüstung, die jeder Pyrraner am Gürtel trug. Der Kasten enthielt eine ziemlich komplizierte Sonde, die im Falle einer Verletzung auf Infektionen und Vergiftungen reagierte und automatisch ein Gegenmittel einspritzte. Da die Pyrraner ihre Ausrüstungsgegenstände selbst warteten — dann waren sie selbst daran schuld, wenn etwas nicht funktionierte —, mußten sie die Konstruktion und die Reparaturanweisung aller Geräte kennen. Jason schnitt dabei wesentlich besser als die Kinder ab, obwohl die Anstrengung ihn ziemlich erschöpfte.

Am Nachmittag lernte er erstmals eine der Trainingsmaschinen kennen. Sein Lehrer war ein Zwölfjähriger, der sich keine Mühe gab, seine Verachtung für den verweichlichten Fremden zu verbergen.

„Sämtliche Trainingsmaschinen stellen genaue Reproduktionen der tatsächlichen Verhältnisse auf der Planetenoberfläche dar und werden ständig verbessert. Dadurch wird sichergestellt, daß alle auftretenden Veränderungen berücksichtigt sind. Der einzige Unterschied besteht in ihrer verschiedenen Gefährlichkeit. Sie werden zunächst eine Maschine kennenlernen, die für Babys bestimmt ist…“

„Zu freundlich“, murmelte Jason. „Ich bin ganz überwältigt von Ihrer gewinnenden Art.“ Der Lehrer fuhr fort, ohne auf die Unterbrechung zu reagieren.

„… sobald sie krabbeln können. Die Maschine ist wirklichkeitsgetreu, aber völlig außer Betrieb, was den Gefährlichkeitsgrad betrifft.“

Trainingsmaschine war eigentlich nicht ganz das richtige Wort dafür, stellte Jason fest, als sie die riesige Kammer betraten. Er brauchte seine Einbildungskraft kaum zu Hilfe zu nehmen, um sich vorstellen zu können, endlich im Freien zu sein. Die Szenerie wirkte friedlich, obwohl schwere Wolken am Horizont einen heranziehenden Sturm anzukündigen schienen.