Jason nahm seinen Medikasten in die Hand und stieg über die Kadaver hinweg. Eines der Tiere bewegte sich noch schwach, aber ein Schuß setzte seinem Leben ein Ende. Dann erreichte er das Mädchen und drückte die Sonde gegen ihr Gesicht. Meta fuhr zusammen, als die Nadel mit dem Gegengift ihre Haut durchdrang. Erst jetzt fiel ihr auf, daß Jason neben ihr stand.
„Danke, ich habe gar nichts davon gemerkt“, sagte sie. „Der Angriff war so überraschend.“
Poli hatte eine starke Taschenlampe mitgebracht, die Jason ihm stillschweigend aus der Hand nahm. Der Alte mochte zwar ein Krüppel sein, aber wenn es darauf ankam, schoß er doch noch schneller und sicherer als jeder Nicht-Pyrraner. Sie betraten vorsichtig den dunklen Raum.
„Puh, dieser Gestank!“ Jason verzog das Gesicht. „Wenn ich nicht die Filterpatronen in der Nase hätte, wäre ich vermutlich allein von dem Gestank ohnmächtig geworden.“
Irgend etwas stürzte sich von der Decke herab auf den Lichtstrahl der Lampe und wurde durch einen einzigen Schuß in der Luft erlegt.
Die beiden Männer und das Mädchen stiegen eine Metalltreppe in den eigentlichen Lagerraum hinab und sahen sich dort um. Richtig, hier waren einmal Bücher gelagert gewesen. Aber jetzt bestanden sie nur noch aus Fetzen, denn die Ratten hatten ganze Arbeit geleistet.
„Mir imponiert die Art, wie hierzulande alte Bücher aufbewahrt werden“, meinte Jason. „Ich bin froh, daß ich keine zu verleihen habe.“
„Sie können nicht sehr wichtig gewesen sein“, antwortete Meta ruhig, „sonst wären sie in der Bibliothek gespeichert worden.“
Jason wanderte langsam durch die Räume. Nirgendwo war ein unbeschädigt gebliebenes Buch zu sehen. Überall nur zernagte Einbände und dazwischen braune Papierfetzen, aber niemals so viele an einer Stelle, daß es sich gelohnt hätte, sie aufzuheben. Er wollte die Suche bereits aufgeben und stapfte wieder auf den Ausgang zu, als er plötzlich mit der Stiefelspitze gegen etwas Hartes stieß. Im Lichtstrahl der Lampe blitzte Metall auf.
„Hier, du mußt mir leuchten!“ Er drückte Meta die Lampe in die Hand und begann mit beiden Händen das Metall freizulegen. Er fand einen länglichen Kasten aus rostfreiem Edelstahl, der mit einem Kombinationsschloß versehen war.
„Das ist ja ein Logbuchkasten!“ rief Meta überrascht aus.
„Genau das habe ich auch vermutet“, antwortete Jason befriedigt. „Anscheinend hat unsere Suche sich doch gelohnt.“
11
Nachdem sie die Kellertür wieder fest verriegelt hatten, trugen sie den Kasten in Jasons neues Büro. Bevor sie ihn näher besichtigten, sprühten sie ihn allerdings von allen Seiten mit einem Desinfektionsmittel ab. Meta entzifferte die auf den Deckel eingravierten Buchstaben.
„S. T. Pollux Victory — das muß der Name des Raumschiffes sein, von dem dieses Logbuch stammt. Aber ich habe noch nie von einer Schiffsklasse gehört, die mit der Abkürzung S. T. bezeichnet wird.“
„Stellartransporter“, erklärte Jason, während er sich mit dem Zahlenschloß beschäftigte. „Ich habe zwar selbst noch nie einen gesehen, aber schon davon gehört. Sie wurden während der letzten Welle der galaktischen Expansion gebaut. Im Grunde genommen waren sie nur riesige Metallbehälter, die im Raum montiert wurden. Dann nahmen sie Menschen, Maschinen und Vorräte an Bord und wurden zu einem vorher ausgewählten Planetensystem geschleppt. Nach der Landung auf einem Planeten kehrten die Schleppraketen zurück und ließen den Stellartransporter an Ort und Stelle. Der Rumpf lieferte Metall für Schutzbauten, so daß die Kolonisten sofort mit der Errichtung ihrer neuen Welt beginnen konnten. Die Transporter waren riesig. Jeder faßte mindestens fünfzigtausend Menschen.“
Erst als Meta ihn böse anstarrte, fiel Jason ein, was er eben gesagt hatte. Auf Pyrrus lebten jetzt weniger Menschen als in den Tagen der ursprünglichen Besiedlung.
Und menschliche Bevölkerungen vermehrten sich im allgemeinen ziemlich rasch, wenn nicht eine straffe Geburtenkontrolle erzwungen wurde. Jason erinnerte sich daran, daß Meta ausgezeichnet schoß.
„Aber das heißt natürlich noch lange nicht, daß dieser eine Transporter ebenfalls fünfzigtausend Menschen an Bord hatte“, fügte er hastig hinzu. „Vielleicht enthält der Kasten gar nicht das Logbuch des Schiffes, auf dem die ersten Siedler nach Pyrrus gekommen sind. Hast du irgendwo ein Werkzeug gesehen, mit dem wir den Kasten aufbrechen könnten? Das Schloß ist völlig verrostet.“
Meta ließ ihre Wut an dem Kasten aus. Der Deckel öffnete sich einen Spaltbreit, als sie die Finger zwischen ihn und den unteren Teil schob. Noch ein kurzer Ruck, dann hielt sie ihn in der Hand. Aus dem Kasten fiel ein schweres Buch und polterte zu Boden.
Der Titel zerstörte alle Zweifel.
LOGBUCH S. T. POLLUX VICTORY. AUF AUSREISE SETANI NACH PYRRUS. 55 000 SIEDLER AN BORD.
Jetzt konnte Meta nicht mehr widersprechen. Sie stand mit geballten Fäusten hinter Jason und sah über seine Schulter, während er die vergilbten Blätter durchsah. Er ließ den ersten Teil des Logbuchs aus, der von den Vorbereitungen der Reise und dem Flug selbst berichtete. Erst als er die Stelle erreicht hatte, an der von der erfolgten Landung die Rede war, las er langsamer. Er begriff sofort, wie wertvoll dieser alte Bericht war.
„Hier steht alles!“ rief er. „Das ist der Beweis dafür, daß wir auf der richtigen Spur sind. Selbst du mußt zugeben, daß ich recht gehabt habe. Hier, lies doch selbst!“
… sind wir völlig auf uns allein gestellt, nachdem die Schlepper schon vorgestern den Rückflug angetreten haben. Die Siedler haben sich noch nicht an die hier herrschenden Verhältnisse gewöhnt, obwohl wir jeden Tag längere Orientierungsversammlungen abhalten. Unsere Psychologen arbeiten zwanzig Stunden pro Tag, damit die allgemeine Stimmung nicht noch schlechter wird.
Ich glaube allerdings, daß die Leute nicht allein die Schuld daran tragen. Schließlich sind sie in den Kavernen von Setani aufgewachsen und haben kaum jemals die Sonne gesehen. Das Wetter hier ist wirklich fürchterlich; ich habe noch nie etwas Ähnliches auf anderen Planeten erlebt.
War es vielleicht doch falsch, daß ich von Anfang an auf Siedlern bestanden habe, die nicht von einem Agrarplaneten stammen sollten? Hätte ich lieber Menschen aussuchen sollen, die an das Leben im Freien gewöhnt sind? Diese zivilisierten Stanier fürchten sich geradezu vor jedem Regenschauer. Andererseits vertragen sie die Schwerkraft hier sehr gut, weil sie nur ein Viertel höher als auf ihrem Heimatplaneten ist. Das war auch der Faktor, der den Ausschlag gegeben hat.
Jedenfalls läßt sich nichts mehr rückgängig machen. Auch an dem ewigen Kreislauf aus Regen, Schnee, Hagel, Hurrikanen und ähnlichen Annehmlichkeiten ist nichts zu ändern. Wir können nur hoffen, daß die Bergwerke bald genügend Metall liefern, damit wir von dem Erlös vollständig abgeschlossene Städte bauen können.
Auf diesem gottverlassenen Planeten scheint uns nur die Tierwelt nicht feindlich gesinnt zu sein. Zuerst tauchten einige Raubtiere auf, aber die Wachtposten erlegten sie ohne Mühe. Alle anderen Lebewesen belästigen uns nicht. Glücklicherweise! Die Tiere liegen ständig miteinander im Kampf und haben sich den Verhältnissen angepaßt. Selbst die Nager, die nicht größer als eine Hand sind, schleppen einen gewaltigen Panzer mit sich herum…
„Ich glaube kein Wort davon“, meinte Meta schließlich. „Das kann unmöglich eine Beschreibung der Verhältnisse auf Pyrrus sein…“ Sie schwieg betroffen, als Jason wortlos auf den Titel wies.
Er überflog die Seiten und blätterte rasch um. Ein Satz fiel ihm besonders auf. Er warf Meta einen bedeutungsvollen Blick zu und las laut vor.