Während der Pyrraner fluchend umherstapfte, lag Jason in dem dichten Unterholz und betastete seine blauen Flecken. Krannon schoß noch einige Male in seine Richtung, hütete sich aber davor, etwa selbst in das Pflanzengewirr zu seinen Füßen einzudringen. Schließlich gab er auf und bestieg den Lastwagen. Die Motoren heulten auf, und die Ketten klirrten, als das schwere Fahrzeug mit höchster Geschwindigkeit in Richtung auf die Stadt davonratterte. — Jason war allein.
Bis zu diesem Augenblick war ihm keineswegs klar gewesen, wie allein er sein würde. Überall drohte der Tod, denn der sichere Lastwagen war bereits verschwunden. Er mußte sich beherrschen, um ihm nicht nachzurennen. Was geschehen war, ließ sich nicht mehr ändern.
Vielleicht waren seine Überlebensaussichten nicht allzu gut, aber wie hätte er sonst mit einem Grubber in Verbindung treten können? Die Grubber mochten Wilde sein, aber trotzdem stammten sie von Menschen ab. Sie waren noch nicht so tief gesunken, daß sie den Tauschhandel mit den Pyrranern eingestellt hätten. Er mußte sich mit ihnen in Verbindung setzen, mußte sie als Freunde gewinnen. Er mußte herausbekommen, wie sie unter diesen Verhältnissen ohne technische Hilfsmittel überlebt hatten.
Wenn er einen anderen Ausweg gesehen hätte, wäre er nie auf diese verzweifelte Idee gekommen; die Rolle des Märtyrers lag ihm durchaus nicht. Aber Kerk und das festgesetzte Abflugdatum hatten ihn dazu gezwungen. Die Verbindung zu den Wilden mußte rasch hergestellt werden, so daß Jason keine andere Wahl geblieben war.
Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo die Grubber sich aufhielten, oder wann sie auftauchen würden. Falls die Wälder nicht allzu gefährlich waren, konnte er sich hier versteckt halten und ihre Ankunft abwarten, um sich im geeignet erscheinenden Augenblick zu nähern. Wenn er in der Nähe des Stapels wartete, bestand durchaus die Möglichkeit, daß die Wilden ihn als Feind ansahen und sich dementsprechend verhielten.
Jason sah sich nach einem geeigneten Versteck um und wählte schließlich einen riesigen Baum, hinter dessen breitem Stamm er sich verbergen konnte. Er schlich darauf zu, sah sich vorsichtig nach allen Seiten um und schlüpfte dahinter. Da er keine unmittelbare Bedrohung sah, entspannte er sich einen Augenblick und lehnte sich gegen den Baumstamm.
Etwas Weiches fiel über seinen Kopf, drückte ihm die Kehle zusammen; sein Oberkörper wurde in einer eisernen Umklammerung festgehalten. Er setzte sich heftig zur Wehr, aber je mehr er sich anstrengte, desto fester wurde der Griff, bis das Blut in seinen Ohren sang und seine Lungen nach Luft rangen.
Der Druck ließ erst nach, als seine Kräfte schwanden. Sein ursprünglicher Schrecken verringerte sich, weil er aus dieser Tatsache schloß, daß der unbekannte Angreifer kein Tier war. Er wußte nur wenig über die Grubber, aber schließlich waren sie ebenfalls Menschen, so daß er noch immer eine Chance hatte.
Seine Füße wurden zusammengebunden, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, und die Waffe aus dem Halfter gerissen. Die kräftigen Fäuste griffen wieder nach ihm, hoben ihn in die Höhe und ließen ihn auf den Rücken eines Tieres fallen. Jasons Angst kehrte zurück, denn alle Tiere auf Pyrrus waren tödlich.
Als das Tier sich in Bewegung setzte, verwandelte Jasons Furcht sich allmählich in eine gewisse Begeisterung. Die Grubber hatten also tatsächlich mit zumindest einer Lebensform dieses Planeten eine Art Waffenstillstand geschlossen! Er mußte herausbekommen, wie sie das geschafft hatten. Wenn er ihr Geheimnis erfuhr — und es mit sich in die Stadt zurücknahm —, war alle seine Mühe nicht vergebens gewesen. Selbst Welfs Tod wäre dadurch aufgewogen, wenn dieser endlose Krieg ein Ende fände.
Jasons straff verschnürte Glieder schmerzten zunächst heftig, aber die Schmerzen ließen bald nach, als die Blutzirkulation unterbrochen wurde. Der Ritt schien ewig zu dauern; Jason konnte nicht einmal schätzen, wie lange er schon unterwegs war. Regen durchnäßte ihn, dann kam die Sonne wieder hinter den Wolken hervor und verdampfte die Feuchtigkeit.
Schließlich war der Ritt doch zu Ende. Jason wurde von dem Rücken des Tieres heruntergezerrt und landete unsanft auf dem Boden. Seine Arme sanken schlaff herab, als jemand seine Fesseln durchschnitt. Als er endlich die Hände wieder bewegen konnte, zog er sich das Fell vom Kopf, das ihm bisher jede Sicht genommen hatte. Er blinzelte unsicher und atmete in langen Zügen die lang entbehrte frische Luft ein.
Dann kniff er die Augen zusammen, um überhaupt sehen zu können, und drehte den Kopf zur Seite. Er lag auf dem ungehobelten Holzfußboden eines kleinen Steingebäudes, vor dem sich ein gepflügtes Feld bis an den Rand des Urwaldes erstreckte. Im Innern der Hütte war es so dunkel, daß er kaum etwas zu erkennen vermochte.
Eine große Gestalt erschien in der offenen Tür. Jason dachte zunächst an einen Affen, aber dann sah er doch, daß es sich um einen Mann mit langen Haaren und dichtem Bart handelte. Er war völlig in Felle gekleidet; selbst seine Beine waren mit Fellen umwickelt. Seine Augen waren auf den Gefangenen gerichtet, während er mit einer Hand die Axt umfaßt hielt, die an seinem Gürtel hing.
„Wer bist du? Was willst du hier?“ fragte der Mann mit dem Bart plötzlich.
Jason wählte seine Worte sorgfältig und fragte sich dabei, ob dieser Wilde ein ähnlich hitziges Temperament wie die Stadtbewohner hatte.
„Ich heiße Jason. Ich komme in friedlicher Absicht. Ich will euer Freund sein…“
„Alles Lügen!“ grunzte der Bärtige und zog die Axt aus dem Gürtel. „Der Trick sieht einem Junkman ähnlich. Ich habe gesehen, wie du dich versteckt hast. Du wolltest mich umbringen. Jetzt bringe ich dich um.“ Er fuhr prüfend mit dem Handballen über die rasiermesserscharfe Schneide seiner Waffe und hob sie dann hoch über den Kopf.
„Warte!“ rief Jason verzweifelt aus. „Du hast mich nicht richtig verstanden.“
Die Axt sauste nieder.
„Ich komme von einem anderen Planeten und…“
Der Fußboden neben Jasons Kopf dröhnte, als die Schneide der Axt in das Holz eindrang. Der Wilde hatte sie im letzten Augenblick zur Seite gelenkt. Jetzt faßte er Jason hart an und zog ihn mit einem Ruck zu sich hoch.
„Ist das wirklich wahr?“ rief er. „Du kommst von einem anderen Planeten?“ er ließ los, so daß Jason wieder zu Boden plumpste, bevor er antworten konnte. Der Bärtige sprang über ihn hinweg und rannte auf die Rückwand der Hütte zu.
„Rhes muß sofort davon erfahren“, sagte er, während er eine bestimmte Stelle an der Mauer berührte. Eine Lampe leuchtete auf.
Jason starrte ihm sprachlos nach. Dieser behaarte, in Felle gekleidete Wilde bediente ein Funkgerät! Die schmutzigen Finger stellten eine Frequenz ein, dann drückten sie auf den Anrufknopf.
16
Das war völlig unverständlich. Jason versuchte die moderne Maschine mit dem Barbaren in Einklang zu bringen und mußte den Versuch wieder aufgeben. Wen rief er? Die Existenz eines Funkgeräts bedeutete, daß zumindest noch ein zweites vorhanden sein mußte. War Rhes eine Person oder ein Ding?
Jason beherrschte sich mit einiger Mühe und verfolgte diese unsinnigen Gedanken nicht weiter. Jedenfalls stand fest, daß hier neue Faktoren auftauchten, die er nicht berücksichtigt hatte. Er tröstete sich selbst mit der Versicherung, daß man alles erklären konnte, wenn man die Tatsachen kannte.
Er schloß die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht und dachte über die bewußten Tatsachen nach. Sie ließen sich in zwei Gruppen aufteilen: Die einen hatte er selbst beobachtet, während die anderen von den Stadtbewohnern stammten. Auf die zweite Gruppe wollte er sich vorläufig nicht verlassen, bis er sie überprüft hatte. Er war sich jetzt schon sicher, daß die meisten, wenn nicht sogar alle, sich als falsch erweisen würden.