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Aber er durfte nicht die Wahrheit sagen. Wenn die Wilden erfuhren, daß er für die Stadtbewohner spionierte, würden sie kurzen Prozeß mit ihm machen. Trotzdem mußte er seine Anwesenheit so erklären, daß er später Fragen nach der Methode stellen konnte, mit deren Hilfe die Wilden unter diesen Verhältnissen überlebt hatten.

In diesem Augenblick fiel ihm die einzig richtige Antwort ein.

Er wandte sich wieder dem Kranken zu und versuchte mit normaler Stimme zu sprechen.

„Mein Name ist Jason dinAlt. Ich bin von Beruf Ökologe. Sie sehen also, daß ich allen Anlaß hatte, diesen Planeten…“

„Was ist ein Ökologe?“ unterbrach Rhes ihn. Aus seinem Tonfall war nicht zu erkennen, ob die Frage im Ernst oder als Falle gestellt worden war. Jason überlegte seine Worte sorgfältig.

„Eigentlich ein Biologe, der sich auf das Verhältnis und die Beziehungen eines Lebewesens zu seiner Umwelt spezialisiert. Er versucht zu erkennen, wie klimatische und andere Faktoren die Lebensformen beeinflussen, und wie diese Lebensformen sich wieder gegenseitig und ihre Umwelt beeinflussen.“ Jason wußte, daß diese Erklärung richtig war — aber damit waren seine Kenntnisse bereits erschöpft, deshalb wechselte er rasch das Thema.

„Ich habe von Pyrrus gehört und wollte die dortigen Verhältnisse aus eigener Anschauung kennenlernen. Einen Teil meiner Arbeit habe ich innerhalb der Stadt erledigt, aber das allein war noch zu wenig. Die Leute dort halten mich für verrückt, aber schließlich ließen sie mich doch hinaus.“

„Wie kommst du wieder zurück?“ wollte Naxa wissen.

„Irgendwie“, antwortete Jason. „Die Städter glaubten fest, daß ich schon nach kürzester Zeit den Tod finden würde, deshalb wollten sie mich gar nicht gehen lassen. Ich mußte sozusagen ausbrechen.“

Diese Antwort schien Rhes zu befriedigen, denn er verzog das Gesicht zu einem ironischen Lächeln. „Das sieht den Junkmen wieder einmal ähnlich. Dabei wagen sie sich selbst nur aus ihrer Stadt, wenn sie in einer riesigen Maschine sitzen. Was haben sie Ihnen von uns erzählt?“

Jason wußte, daß auch von dieser Antwort viel abhängen konnte.

„Hoffentlich bekomme ich nicht gleich eine Axt über den Kopf — aber ich möchte bei der Wahrheit bleiben. Sie müssen wissen, was in der Stadt erzählt wird. Ich habe gehört, daß hier draußen nur schmutzige, primitive Wilde hausen, die mit Glasperlen und ähnlichem Zeug zufrieden sind…“

Als Jason diese Beschreibung wiederholte, die er von Krannon gehört hatte, brachen die beiden Pyrraner in lautes Gelächter aus. Rhes schwieg bald wieder vor Schwäche, aber Naxa erlitt einen Lachkrampf, von dem er sich kaum erholen konnte.

„Das glaube ich sofort“, sagte Rhes. „Den Städtern ist solcher Blödsinn ohne weiteres zuzutrauen. Diese Leute haben keine Ahnung von der Welt, auf der sie leben. Ich kann nicht überprüfen, ob Sie von Anfang an die Wahrheit gesagt haben, aber trotzdem heiße ich Sie willkommen. Sie stammen von einem anderen Planeten, das weiß ich. Kein Junkman hätte auch nur einen Finger gerührt, um mir das Leben zu retten. Sie sind der erste Mensch von einem anderen Planeten, den wir je zu Gesicht bekommen haben, und deshalb doppelt willkommen. Wir werden Ihnen auf jede Weise behilflich sein. Mein Arm ist auch dein Arm.“

Die letzten Worte schienen eine rituelle Bedeutung zu haben. Naxa nickte anerkennend, als Jason sie ebenso ernst wiederholte. Jason wußte, daß es sich dabei nicht um ein leeres Versprechen handelte, denn die Menschen auf Pyrrus waren tatsächlich aufeinander angewiesen, wenn sie überleben wollten. Er hoffte, daß er von diesem Augenblick an in das Schutzbedürfnis aufgenommen worden war.

„Für heute abend ist es genug“, sagte Rhes. „Die Krankheit hat mich geschwächt, aber die Medizin hat mich völlig kraftlos gemacht. Du bleibst hier bei mir, Jason. Leider kann ich dir kein Bett, sondern nur eine Decke anbieten.“

Jason hatte sich bisher mühsam auf den Beinen gehalten, aber jetzt überwältigte die Müdigkeit ihn unvermittelt. Er lehnte die angebotene Mahlzeit dankend ab und rollte sich in der Decke auf dem Fußboden zusammen. Wenige Sekunden später schlief er bereits fest.

17

Jeder Quadratzentimeter seines Körpers schmerzte, wo die hohe Schwerkraft ihn gegen die unnachgiebigen Bodenbretter gedrückt hatte. Seine Augen ließen sich nur mit Mühe öffnen. Er richtete sich langsam auf und unterdrückte ein Stöhnen, als sämtliche Gelenke heftig schmerzten.

„Guten Morgen, Jason“, rief Rhes von seinem Bett aus. „Wenn ich nicht so sehr an die ärztliche Wissenschaft glauben würde, käme mir deine Maschine wie ein Wunder vor, das mich über Nacht geheilt hat.“

Tatsächlich war kein Zweifel daran möglich, daß der Mann sich auf dem Wege der Besserung befand. Die entzündeten Stellen waren abgeschwollen, und das verzehrende Brennen in seinen Augen war nicht mehr sichtbar. Er saß aufrecht in seinem Bett und sah auf die Felder hinaus, auf denen jetzt die Sonne den über Nacht gefallenen Schnee auftaute.

„Dort drüben in dem Schrank findest du etwas getrocknetes Fleisch“, sagte Rhes zu Jason. „Du kannst entweder Wasser oder Visk dazu trinken.“

Der Visk erwies sich als ein alkoholartiges Getränk. Jason versuchte einen Schluck davon und wurde sofort hellwach, war allerdings fast benommen.

Das getrocknete Fleisch schmeckte ausgezeichnet, so daß er zum erstenmal, seitdem er Darkhan verlassen hatte, wieder mit Appetit aß. Danach konnte er dem Leben und der unmittelbaren Zukunft wieder gelassener ins Auge sehen.

Seine Gedanken kehrten automatisch zu seiner vorläufig noch ungelösten Aufgabe zurück. Wie hatten diese Menschen bisher überleben können? In der Stadt hatte man ihm erzählt, sie seien Wilde. Aber hier stand ein Funkgerät an der Wand. Und neben der Tür lehnte eine Armbrust mit feinbearbeiteten Metallbolzen; Jason erkannte die Spuren eines Werkzeugs. Er brauchte mehr Informationen. Vielleicht begann er am besten damit, daß er einige seiner falschen Begriffe berichtigte.

„Rhes, du hast gelacht, als ich dir erzählt habe, was die Städter behauptet haben — daß ihr Glasperlen für Nahrungsmittel eintauscht. Womit handelt ihr wirklich?“

„Sie liefern uns eigentlich so ziemlich alles — mit bestimmten Ausnahmen“, erklärte Rhes ihm. „Zum Beispiel Ersatzteile für unsere Funkgeräte. Nichteisenlegierungen, die wir nicht selbst herstellen können, Werkzeugstähle, Elektrokonverter, die aus radioaktiven Elementen elektrische Energie erzeugen, und eine Reihe von Maschinen. Wir bekommen so ziemlich alles, was nicht auf der Embargoliste steht. Sie sind eben sehr auf die Nahrungsmittel angewiesen.“

„Und was auf der Embargoliste steht…“

„Natürlich Waffen aller Art und alles, was sich in eine Waffe verwandeln ließe. Sie wissen, daß wir Schießpulver herstellen, deshalb liefern sie uns keine nahtlosen Röhren, die als Gewehrlauf verwendet werden könnten. Wir sollen möglichst nicht zu viel lernen, deshalb bekommen wir nur primitive Wartungsvorschriften, in denen der theoretische Teil fehlt.

Die letzte nicht genehmigte Kategorie kennst du selbst — medizinische Informationen. Das verstehe ich einfach nicht. Ich denke immer an die vielen Menschen, die deswegen sterben mußten, und möchte ihren Tod irgendwie rächen.“

„Ich kenne ihre Gründe“, sagte Jason.

„Dann erkläre sie mir, denn ich kann mir keinen vorstellen.“

„Sie wollen überleben — nichts mehr und nichts weniger. Ich bezweifle, daß du schon einmal darüber nachgedacht hast, aber die Stadtbevölkerung nimmt von Jahr zu Jahr ab. Sie können sich ungefähr ausrechnen, wann ihre letzte Stunde schlagen wird. Im Gegensatz dazu nimmt die Bevölkerung hier draußen vermutlich stetig zu, denn sonst wäre das Leben in der Wildnis nicht möglich. Deshalb hassen und beneiden die Stadtbewohner euch. Wenn sie euch Arzneimittel liefern würden, hättet ihr alle Aussichten, eines Tages die Schlacht zu gewinnen, die in der Stadt langsam aber sicher verloren geht. Die Städter tolerieren euch als ein notwendiges Übel, weil ihr ihnen Nahrungsmittel liefert, aber im Grunde genommen wären sie froh, wenn ihr alle unter der Erde wäret.“