„Wenn das alles ist“, meinte Jason, „sehe ich nicht ein, weshalb…“
„Das ist eben nicht alles, sondern kaum der Anfang. Die Meere liefern nicht nur den Wasserdampf, der das miserable Wetter in Gang hält, sondern gelegentlich auch Springfluten, die weit über das normale Flutniveau hinausgehen. Wenn die beiden Monde Samas und Bessos in der richtigen Stellung zueinander stehen, erzeugen sie dreißig Meter hohe Flutwellen. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn eine dieser Wellen über einen tätigen Vulkan hinwegflutet?
Radioaktive Elemente haben die Menschen nach Pyrrus gelockt — und diese gleichen Elemente lassen den Planeten nicht zur Ruhe kommen. Bisher wurden dreizehn Supernovä in der näheren stellaren Umgebung registriert. Natürlich gibt es auch auf anderen Planeten radioaktive Elemente, aber dort ist die Atmosphäre meistens nicht atembar. Eine Ausbeutung der Lager ist nur von einer ständigen Ansiedlung aus möglich — wie auf Pyrrus. Unglücklicherweise ist aber gerade auf diesem Planeten die vulkanische Tätigkeit außergewöhnlich lebhaft.“
Jason schwieg nachdenklich und versuchte sich vorzustellen, wie es auf einem Planeten aussehen mußte, der ständig mit sich selbst im Streit lag.
„Den besten Teil habe ich mir für zuletzt aufgehoben“, fuhr Kerk grimmig lächelnd fort. „Jetzt wissen Sie ungefähr, wie es auf Pyrrus aussieht — stellen Sie sich also die Lebewesen vor, die den Planeten bevölkern. Ich bezweifle, daß ein Lebewesen aus einer anderen Welt dort länger als eine Minute am Leben bleiben würde. Die Pflanzen und Tiere auf Pyrrus sind zäh. Sie kämpfen mit ihrer Umwelt und untereinander. In Jahrtausenden natürlicher Auslese sind Lebensformen entstanden, deren Anblick selbst einem Elektronenrechner Alpträume verschaffen würde. Sie sind gepanzert, giftig, mit scharfen Krallen und mächtigen Reißzähnen. Damit ist alles beschrieben, was geht, kriecht, fliegt oder nur an einer Stelle wächst. Haben Sie schon einmal eine Pflanze mit Zähnen gesehen — die wirklich zuschnappen? Seien Sie froh, daß Ihnen das erspart geblieben ist! Dazu müßten Sie nämlich auf Pyrrus sein, was bedeuten würde, daß Sie wenige Sekunden nach Verlassen des Schiffes ein toter Mann wären. Selbst ich muß einen Wiederholungskurs mitmachen, bevor ich die Raumhafengebäude verlassen darf. Die Lebensformen ändern sich ständig, der Tod ist einfach, aber seine Methoden sind zu zahlreich, um sich in wenigen Wochen mitteilen zu lassen.“
Kerk zuckte unglücklich mit den Schultern. „Eigentlich weiß kein Mensch, weshalb wir auf Pyrrus bleiben und diesen endlosen Krieg führen. Aber wir sind eben dort zu Hause…“ Er hob beschwörend die Hand und sah Jason durchdringend an.
„Seien Sie glücklich und zufrieden, daß Ihre Heimat auf einem anderen Planeten liegt, und daß Sie Pyrrus nie sehen werden.“
„In diesem Punkt irren Sie sich gewaltig“, antwortete Jason so ruhig wie möglich. „Ich werde Sie nämlich dorthin begleiten.“
4
„Reden Sie keinen Unsinn“, sagte Kerk und bestellte sich ein zweites Steak. „Schließlich können Sie auf einfachere Weise Selbstmord begehen. Ist Ihnen noch nicht klar, daß Sie jetzt Millionär sind? Sie können den Rest Ihres Lebens auf den schönsten Planeten verbringen, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Pyrrus ist eine Todeswelt, keine Attraktion für reiche Touristen. Sie können unmöglich mit mir zurück.“
Berufsmäßige Spieler müssen sich beherrschen können, wenn sie Erfolg haben wollen. Jason war wütend, verzog aber keine Miene und sprach so ruhig wie zuvor.
„Sie können mir keine Vorschriften machen, Kerk Pyrrus. Sie sind groß und stark und ein guter Schütze, aber noch lange nicht mein Vormund. Sie können sich bestenfalls weigern, mich in Ihrem Schiff mitzunehmen. Aber ich kann mir jederzeit ein anderes leisten. Woher wollen Sie überhaupt wissen, daß ich nur aus Neugier nach Pyrrus will?“
Jason war sich allerdings selbst noch nicht völlig über seine Gründe im klaren, aber er wußte, daß er sein bisheriges Leben nicht weiterführen wollte. Er kannte unzählige Planeten, die einander glichen, und hatte sich überall durchgesetzt, ohne dabei die Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten zu erkennen. Bis zu diesem Zusammentreffen mit Kerk hätte er nie zugegeben, daß ein anderer ihm überlegen oder auch nur gleichwertig sein könne. Aber jetzt stand er der Tatsache gegenüber, daß es irgendwo einen Planeten gab, dessen gesamte Bevölkerung ihm vermutlich überlegen war. Er wußte, daß er nicht eher ruhen würde, bis er sich selbst davon überzeugt hatte — selbst wenn der Versuch ihn das Leben kostete.
Das alles durfte er Kerk nicht erzählen. Aber es gab andere Gründe, die er besser verstehen würde.
„Sie handeln unklug, wenn Sie mich nicht mit nach Pyrrus nehmen“, sagte er zu ihm. „Ich will gar nicht davon sprechen, daß Sie mir gegenüber moralisch verpflichtet sind, weil ich Ihnen das Geld verschafft habe. Aber wie steht es mit dem nächstenmal? Diesmal haben Sie Waffen gekauft, aber später brauchen Sie vielleicht wieder welche. Wäre es nicht besser, wenn ich zur Verfügung stünde, anstatt daß Sie sich einen neuen Plan ausdenken müßten, um zu Geld zu kommen?“
Kerk kaute nachdenklich an seinem zweiten Steak. „Hm, das klingt nicht unvernünftig. Ich muß zugeben, daß ich selbst schon daran gedacht habe. Wir Pyrraner haben einen Fehler — wir denken selten an die Zukunft, weil wir damit zufrieden sein müssen, von Tag zu Tag zu überleben. Schön, Sie können mitkommen. Ich hoffe, daß Sie noch am Leben sind, wenn wir Sie brauchen. Als pyrranischer Botschafter lade ich Sie offiziell ein. Die Kosten übernehmen wir. Allerdings unter der Bedingung, daß Sie sich allen Anordnungen fügen, die wir im Interesse Ihrer persönlichen Sicherheit für notwendig erachten.“
„Einverstanden“, sagte Jason sofort — und wunderte sich selbst darüber, daß er sein Todesurteil in so fröhlicher Stimmung unterzeichnet hatte.
Kerk verschlang eben sein drittes Steak, als seine Armbanduhr kurz summte. Er ließ sofort seine Gabel fallen und stand auf.
„Wir müssen gehen“, stellte er fest. „Von jetzt ab läuft alles nach Fahrplan.“ Während Jason sich erhob, bezahlte Kerk die Rechnung. Dann traten sie auf die Straße hinaus.
„Schneller“, knurrte Kerk nach einem hastigen Blick auf die Armbanduhr. Er setzte sich in Trab und rannte die nur schwach beleuchtete Straße entlang. Einige Minuten später hielten sie an einer Kreuzung an — Jason atmete schwer, aber Kerk schien sich nicht im geringsten angestrengt zu haben.
In dem Augenblick, in dem sie die Kreuzung erreicht hatten, näherte sich geräuschlos ein Wagen und hielt vor ihnen. Jason mußte sich beherrschen, um nicht unwillkürlich nach seiner Pistole zu greifen. Der Fahrer riß die Tür auf und sprang heraus, Kerk drückte ihm einen Zettel in die Hand und setzte sich ans Steuer. Jason konnte gerade noch einsteigen, bevor der Wagen anfuhr. Der gesamte Vorgang hatte kaum drei Sekunden in Anspruch genommen.
In dem schwachen Lichtschein der nächsten Straßenlaterne war der Fahrer kaum zu erkennen gewesen, aber Jason wußte, um wen es sich handelte. Selbstverständlich hatte er den Mann noch nie zuvor gesehen, aber seit seiner Bekanntschaft mit Kerk wußte er genau, wann er einen Pyrraner vor sich hatte.
„Sie haben ihm die Quittung gegeben, die Sie von Ellus bekommen haben“, stellte Jason fest.
„Natürlich. Damit ist für das Schiff und die Fracht gesorgt. Es kann sofort starten und ist längst in Sicherheit, bis Ellus den Kasinoscheck zur Einlösung vorlegt. Jetzt müssen wir uns um unsere eigene Haut kümmern. Ich werde Ihnen den gesamten Plan erklären, damit Sie wissen, was Sie zu tun haben. Falls Sie Fragen haben, warten Sie gefälligst damit, bis ich ausgeredet habe.“