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»Was ist mit dem anderen Knaben, Herr?«

»Marcus? Was soll mit ihm sein?«

»Bilden wir ihn auch aus?«

Julius zog die Brauen noch ein Stück weiter zusammen und starrte einen Augenblick ganz in der Vergangenheit versunken vor sich hin.

»Ja, das habe ich seinem Vater versprochen, als er starb. Seine Mutter war nie in der Lage, sich um das Kind zu kümmern. Als sie davonlief, hat das den alten Mann praktisch umgebracht. Sie war von Anfang an zu jung für ihn. Soweit ich gehört habe, ist aus ihr letztlich nicht mehr geworden als eine gehobene Dirne in einem der inneren Bezirke. Also bleibt der Junge in meinem Haus. Ich nehme an, er und Gaius sind immer noch Freunde?«

»Wie Zwillingsähren. Sie sind ständig in Schwierigkeiten.«

»Damit ist jetzt Schluss. Von jetzt an werden sie lernen, was Disziplin ist.«

»Ich sorge dafür, dass sie es begreifen.«

Gaius und Marcus lauschten draußen an der Tür. Vor Begeisterung über das, was er gehört hatte, leuchteten Gaius’ Augen hell. Grinsend drehte er sich zu Marcus um, doch beim Anblick des blassen Gesichts und der zusammengepressten Lippen seines Freundes verschwand sein Lächeln sofort wieder.

»Was ist denn los, Marcus?«

»Er hat gesagt, meine Mutter sei eine Hure«, stieß dieser hervor. Marcus’ Augen funkelten sehr gefährlich, und Gaius schluckte rasch eine vorschnelle, scherzhaft gemeinte Erwiderung hinunter. »Er hat nur gesagt, dass er das gehört hat. Das ist nur ein Gerücht. Bestimmt ist sie keine.«

»Man hat mir gesagt, sie sei tot. So wie mein Vater. Dabei ist sie weggelaufen und hat mich zurückgelassen.« Die Augen des Jungen füllten sich mit Tränen. »Ich hoffe, sie ist wirklich eine Hure. Ich hoffe, sie ist eine Sklavin und krepiert an Lungenfäule.« Dann drehte er sich um und rannte mit verzweifelt und unkontrolliert herumwirbelnden Armen und Beinen davon.

Gaius seufzte und verwarf die Idee, ihm nachzulaufen, sofort wieder. Marcus würde wahrscheinlich hinunter in die Stallungen flüchten und sich dort ein paar Stunden im Stroh und in der Dunkelheit verkriechen. Wenn man ihm in solchen Momenten zu nahe kam, gab es nur böse Worte, oder es flogen sogar Fäuste. Ließ man ihn dagegen in Ruhe, beruhigte er sich mit der Zeit von ganz allein. Seine Stimmung schlug dann immer sehr rasch um, weil sein unsteter Geist sich bald wieder mit anderen Dingen beschäftigte.

So war Marcus eben. Es hatte keinen Sinn, ihn ändern zu wollen. Gaius presste seinen Kopf wieder an den Spalt zwischen Tür und Rahmen, um zu hören, was die beiden Männer noch so alles über seine Zukunft sagten.

». zum ersten Mal ohne Ketten, so sagt man. Das wird ein großartiges Spektakel werden. Ganz Rom wird da sein. Nicht alle Gladiatoren haben sich als Sklaven auf Zeit verpflichtet. Manche haben sich freigekauft, sind aber so gut, dass man sie mit Goldstücken zurückgelockt hat. Angeblich will sogar Renius kommen.«

»Renius? Er muss doch inzwischen schon uralt sein! Der hat schon gekämpft, als ich selbst noch ein junger Mann war«, murmelte Julius ungläubig.

»Vielleicht braucht er das Geld. Einige der Männer leben aufwändiger, als es ihr Beutel erlaubt, wenn du mich verstehst. Ruhm erlaubt einem zwar, viele Schulden machen, aber am Ende muss man doch alles zurückzahlen.«

»Vielleicht kann man ihn anstellen, damit er Gaius unterrichtet. Ich erinnere mich, dass er zumindest früher Schüler angenommen hat. Aber das ist schon lange her. Ich kann gar nicht glauben, dass er wieder kämpft. Du besorgst also vier Karten. Ich bin jetzt richtig neugierig geworden, und den Jungen wird ein Ausflug in die Stadt mit Sicherheit Spaß machen.«

»Gut. Aber lass uns warten, bis die Löwen mit dem alten Renius fertig sind, bevor wir ihm eine Stellung anbieten. Er ist bestimmt billiger, wenn er ein wenig Blut gelassen hat«, sagte Tubruk trocken.

»Und noch billiger, wenn er tot ist. Ich würde ihn ungern fallen sehen. In meiner Jugend konnte ihm niemand das Wasser reichen. Ich habe gesehen, wie er bei Schaukämpfen gegen vier oder fünf Männer gleichzeitig angetreten ist. Einmal haben sie ihm sogar die Augen verbunden, bei einem Kampf gegen zwei Männer! Er hat sie mit zwei Hieben niedergestreckt.«

»Ich habe gesehen, wie er sich auf diese Kämpfe vorbereitet hat. Das Tuch, das er benutzt hat, hat genug Licht durchgelassen, sodass er die Umrisse seiner Gegner erkennen konnte. Das genügte ihm. Aber immerhin glaubten seine Gegner, er sei blind.«

»Nimm eine prall gefüllte Börse mit, um Ausbilder anzuwerben. Der Zirkus ist zwar der richtige Ort, um solchen Leuten zu begegnen, aber ich brauche dein erfahrenes Auge, um ihre Verfassung und ihre Ehrenhaftigkeit einzuschätzen.«

»Selbstverständlich, Herr. Noch heute Abend schicke ich einen Boten los, der die Karten auf Kosten des Gutsvermögens abholt. Gibt es sonst noch etwas?«

»Nur meinen Dank. Ich weiß, wie umsichtig du dieses Anwesen führst. Während meine Senatskollegen sich Sorgen machen müssen, weil ihr Wohlstand langsam dahinschwindet, kann ich ganz beruhigt sein und über ihre missliche Lage nur lächeln.« Julius stand auf, und die beiden schüttelten sich die Hände mit jenem Griff um das Handgelenk des anderen, den alle Legionäre lernten.

Voller Freude spürte Tubruk die Kraft, die noch immer in dieser Hand lag. Der alte Stier hatte noch ein paar gute Jahre vor sich.

Gaius entfernte sich eilig von der Tür und rannte in die Stallungen zu Marcus. Auf halbem Wege blieb er stehen und lehnte sich gegen eine kühle, weiße Wand. Und wenn Marcus immer noch wütend war? Nein, bestimmt würde ihn die Aussicht auf einen Zirkusbesuch - noch dazu mit Löwen ohne Ketten! - aus seinem Kummer reißen. Mit frischem Elan und die Sonne im Rücken rannte er den Abhang zu den aus dunklem Holz und Kalkputz erbauten Wirtschaftsgebäuden hinunter, in denen die Zugpferde und Ochsen des Gutes untergebracht waren. Von irgendwoher hörte er seine Mutter seinen Namen rufen, doch das kümmerte ihn ebenso wenig wie ein schriller Vogelschrei. Es war ein Laut, der über ihn hinwegschwemmte, ihn jedoch nicht berührte.

Die beiden Jungen fanden den Kadaver des Raben nahe der Stelle, wo sie ihn zuerst gesehen hatten, am Waldrand des Anwesens. Steif und dunkel lag er im feuchten Laub. Marcus sah ihn zuerst. Der Fund ließ ihn seinen Zorn und seine Niedergeschlagenheit schlagartig vergessen. »Zeus«, flüsterte er. »Tubruk hat ja gesagt, dass er krank ist.« Er ging neben dem Weg in die Hocke und streckte die Hand aus, um die immer noch glänzenden Federn zu streicheln. Gaius kniete sich neben ihn. Die Kühle des Waldes schien sie beide zu gleicher Zeit zu durchdringen, und Gaius fröstelte leicht.

»Erinnerst du dich? Raben sind ein schlechtes Omen«, murmelte er.

»Zeus nicht. Er hat nur nach einem Platz zum Sterben gesucht.«

Aus einer plötzlichen Eingebung heraus hob Marcus den toten Vogel auf und hielt ihn so, wie er ihn damals beim Fang gehalten hatte. Der Unterschied stimmte die beiden Jungen traurig. Aller Kampfgeist war verschwunden, und der Kopf hing schlaff herunter, als würde er nur noch von der Haut gehalten. Der Schnabel stand offen und die Augen waren nur noch ausgetrocknete, leere Vertiefungen. Marcus strich mit dem Daumen über die Federn.

»Wir sollten ihn verbrennen. Ihm ein ehrenhaftes Begräbnis geben«, schlug Gaius vor. »Soll ich in die Küche zurückrennen und eine Öllampe holen? Dann können wir ihm einen Scheiterhaufen bauen und etwas Öl darüber gießen. Das wäre doch ein guter Abschied für ihn.«

Marcus nickte zustimmend und legte Zeus vorsichtig auf den Boden.

»Er war ein Kämpfer. Er hat mehr verdient, als einfach so zu verfaulen. Hier gibt es jede Menge trockenes Holz. Ich bleibe hier und baue den Scheiterhaufen.«