»Sie haben einhundert von diesen Tieren, und es gibt zwei Darbietungen pro Tag, fünf Tage lang. Also werden wir zehn Löwen gegen eine Auswahl an Kämpfern antreten sehen. Ich freue mich schon darauf, die schwarzen Speerwerfer in Aktion zu sehen. Bin sehr gespannt, ob sie den unseren an Zielsicherheit das Wasser reichen können.«
Sie gingen unter dem Eingangstor hindurch und blieben vor einer Reihe mit Wasser gefüllter Holzbottiche stehen. Für ein paar Münzen ließen sie sich Schmutz und Gestank von Füßen und Sandalen schrubben. Es tat gut, wieder sauber zu sein. Mit der Hilfe eines Platzanweisers fanden sie ihre Plätze, die von einem Sklaven vom Gut für sie freigehalten worden waren. Dieser war bereits am Abend zuvor angereist, um ihre Ankunft abzuwarten. Sobald sie sich hingesetzt hatten, stand der Sklave auf, um den Rückweg zum Gut anzutreten. Tubruk drückte ihm eine Münze in die Hand, damit er sich für den Heimweg etwas zu essen kaufen konnte. Der Mann lächelte erfreut, froh, wenigstens einmal der anstrengenden Feldarbeit entronnen zu sein.
Rings umher hatten die Mitglieder der Patrizierfamilien mit ihren Sklaven ihre Plätze bereits eingenommen. Obwohl es nur dreihundert Repräsentanten im Senat gab, mussten noch an die tausend weitere Menschen hier sitzen. Roms Gesetzesgeber hatten sich für die ersten Kämpfe des fünftägigen Spektakels den Tag freigenommen. In der riesigen Grube war der Sand säuberlich glatt geharkt, und dreißigtausend Menschen aus allen Schichten bevölkerten die hölzernen Ränge rundherum. Die morgendliche Hitze, die sich langsam aber stetig zu einer unangenehmen Wand aufbaute, wurde weitgehend ignoriert.
»Wo sind denn die Kämpfer, Vater?«, fragte Gaius, der sich suchend nach den Löwen oder wenigstens ihren Käfigen umsah.
»Sie sind da drüben, in dem Gebäude, das aussieht wie eine Scheune. Siehst du die Tore? Dahinter warten sie.«
Er warf einen Blick auf das Programm, das er bei einem Sklaven am Eingang gekauft hatte. »Zunächst wird uns der Organisator der Spiele begrüßen und vermutlich Cornelius Sulla danken. Dann dürfen wir alle Sullas rührigen Geist bejubeln, der ein solches Spektakel erst ermöglicht hat. Danach gibt es vier Gladiatorenkämpfe, die nur bis zur ersten Verwundung gehen. Diesen folgt ein Kampf auf Leben und Tod. Dann führt Renius irgendetwas vor, und dann streifen die Löwen >durch die Landschaft ihres heimatlichen Afrikac, was auch immer das heißen soll. Alles in allem dürfte es eine sehr beeindruckende Darbietung werden.«
»Hast du schon mal einen Löwen gesehen?«
»Nur einmal, im Tiergehege, aber ich habe nie gegen einen gekämpft. Tubruk sagt, sie sind furchtbare Gegner.«
Als sich unten das Tor öffnete und ein Mann heraustrat, wurde es im Amphitheater schlagartig still. Seine Toga war so strahlend weiß, dass sie zu leuchten schien.
»Er sieht aus wie ein Gott«, flüsterte Marcus.
Tubruk beugte sich zu dem Jungen hinunter. »Vergiss nicht, dass das Tuch mit menschlichem Urin gebleicht wird. Darin liegt irgendwo eine Lektion verborgen.«
Marcus sah Tubruk einen Moment überrascht an und fragte sich, ob das so etwas wie ein Witz gewesen war. Dann vergaß er den Gedanken sofort wieder, weil er dem Mann zu lauschen versuchte, der jetzt in die Mitte des Sandplatzes getreten war. Er besaß eine geübte Stimme, und das Rund des Amphitheaters reflektierte sie perfekt, trotzdem ging ein Teil seiner Ankündigung verloren. Die Leute scharrten unruhig mit den Füßen oder flüsterten mit ihren Freunden und raunten sich gegenseitig zu, endlich still zu sein.
»... ein wohlverdientes Willkommen ... wilde Tiere aus Afrika ... Cornelius Sulla!«
Die letzten Worte wurden in einem Crescendo vorgebracht, woraufhin das Publikum pflichtbewusst jubelte, enthusiastischer als Julius und Tubruk es erwartet hatten. Gaius hörte die Worte des alten Gladiators, der sich zu seinem Vater hinüberlehnte.
»Ein Mann, den man auf jeden Fall beachten sollte.«
»Oder einer, vor dem man sich in Acht nehmen sollte«, erwiderte sein Vater mit vielsagender Miene.
Gaius reckte den Hals, um den Mann zu sehen, der von seinem Platz aufstand und sich verbeugte. Auch er war mit einer einfachen Toga mit goldbesticktem Saum bekleidet und saß nahe genug, dass Gaius ihn genau sehen konnte. Dieser Mann sah wirklich wie ein Gott aus. Er hatte ein ausdrucksstarkes, wohlgeformtes Gesicht und goldbraune Haut. Er winkte und setzte sich wieder. Der Jubel der Menge zauberte ein Lächeln auf seine Lippen.
Jeder setzte sich nun für die Hauptattraktion zurecht. Überall wurde wieder laut geredet. Man unterhielt sich über Politik und Finanzen, und die Patrizier diskutierten über einige umstrittene Fälle, die gerade die Rechtsprechung beschäftigten. Noch immer waren sie in Rom die Mächtigen und hatten das Sagen. Zwar hatten die Volkstribunen mit ihrem Recht, ihr Veto gegen Beschlüsse einzulegen, ihre Autorität eingeschränkt, doch die Patrizier verfügten immer noch über Leben und Tod der meisten Bürger Roms.
Die ersten beiden Kämpfer, in blaue und rote Tuniken gekleidet, betraten die Arena. Keiner der beiden war schwer bewaffnet, denn hier ging es weniger um Blut und Grausamkeit als viel mehr um die Demonstration von Schnelligkeit und Geschick. Manchmal kam zwar auch einer der Männer dabei ums Leben, doch das kam eher selten vor. Nachdem sie den Organisator und Geldgeber der Spiele gegrüßt hatten, begannen sie den Kampf. Sie hielten die kurzen Schwerter ruhig ausgestreckt, und ihre Schilde bewegten sich langsam in einem hypnotisierenden Rhythmus.
»Wer gewinnt, Tubruk?«, fragte Gaius’ Vater plötzlich.
»Der Kleinere mit der blauen Tunika. Seine Beinarbeit ist hervorragend.«
Julius winkte einen der Läufer für die Zirkuswetten heran. Er gab ihm einen Aureus und bekam dafür ein kleines blaues Täfelchen. Kaum eine Minute später wich der kleinere Mann einem zu weiten Ausfall seines Gegners zur Seite aus und streifte ihn in der Drehung mit der Klinge leicht am Bauch. Blut quoll hervor wie über den Rand einer übervollen Tasse und das Publikum brach in Jubel und laute Flüche aus. Julius hatte für das eine Goldstück, das er gesetzt hatte, zwei Aurei gewonnen und steckte den Gewinn gut gelaunt in die Tasche. Bei jedem Kampf, der nun folgte, fragte er Tubruk, wer gewinnen würde, sobald die Männer ihre ersten Bewegungen und Finten ausführten. Die Gewinnspanne sank natürlich nach Beginn des Kampfes, aber Tubruks Auge war an diesem Tag unfehlbar. Nach dem vierten Kampf reckten alle umsitzenden Zuschauer die Hälse, um mitzubekommen, was Tubruk sagte. Dann schrieen sie sofort nach den Wettsklaven, um ihre Wette zu platzieren.
Tubruk war in seinem Element.
»Der nächste Kampf geht auf Leben und Tod. Alexandros, der Kämpfer aus Korinth, ist der Favorit. Er ist noch nie besiegt worden. Aber sein Gegner aus dem südlichen Italien ist ebenfalls Furcht einflößend und bei Kämpfen bis zur ersten Verwundung noch nie geschlagen worden. Im Moment kann ich mir noch kein endgültiges Urteil bilden, wer gewinnt.«
»Sag’s mir, sobald du es kannst. Ich bin bereit, zehn Aurei zu wetten. Das ist unser ganzer Gewinn plus mein ursprünglicher Einsatz. Dein Auge ist heute unfehlbar.«
Julius winkte den Wettsklaven herbei und befahl ihm, neben ihm stehen zu bleiben. Niemand der Umsitzenden wollte jetzt schon wetten, denn sie spürten alle die Gunst dieses Augenblicks und begnügten sich damit, auf Tubruks Zeichen zu warten. Sie beobachteten ihn, manche mit angehaltenem Atem, und lauerten auf erste Anzeichen.
Gaius und Marcus betrachteten die Menge.
»Diese Römer sind schon ein geldgieriger Haufen«, flüsterte Gaius Marcus zu und sie grinsten einander an.
Wieder ging das Tor auf, und Alexandros und Enzo betraten die Arena. Enzo, der Römer, trug den üblichen Kettenschutz, der seinen rechten Arm von der Hand bis zum Hals bedeckte. Über den dunkleren Eisenschuppen trug er einen Helm aus Messing, und in der Linken hielt er einen roten Schild. Bekleidet war er nur mit einem Lendenschurz; Füße und Knöchel waren mit Leinenstreifen umwickelt. Sein Körper war muskelbepackt, und abgesehen von einer gekräuselten Linie, die sich vom Handgelenk bis zum Ellenbogen zog, waren nur wenige Narben zu sehen. Er verbeugte sich vor Cornelius Sulla und grüßte die Menge als Erster, noch vor dem Fremden.