Выбрать главу

Von unten hatte er ein paar Sekunden lang zur Kante hinaufgeblickt und darauf gewartet, dass Marcus ihm folgte. Gerade als er schon glaubte, dass nichts mehr geschehen würde, schoss eine kleine Gestalt in hohem Bogen durch die Luft. Gaius konnte sich gerade noch zur Seite werfen, bevor Marcus atemlos nach Luft japsend ins Heu plumpste.

»Ich dachte schon, du hast zu viel Angst«, hatte Gaius zu dem neben ihm ausgestreckten Jungen gesagt, der ihn durch die Staubwolke anblinzelte.

»Hatte ich auch«, hatte Marcus leise geantwortet, »aber Angst lasse ich einfach nicht gelten. Ich lasse sie einfach nicht zu.«

Suetonius’ harsche Stimme unterbrach Gaius’ kreisende Gedanken: »Meine Herren, Fleisch muss zuerst ordentlich weich geklopft werden. Nehmt eure Positionen ein und beginnt mit der Prozedur, und zwar so.«

Mit diesen Worten holte er mit seinem Stock über Gaius’ Kopf aus und traf ihn dicht über dem Ohr. Die Welt um Gaius herum wurde zuerst weiß, dann schwarz. Als er die Augen schließlich wieder öffnete, drehte sich alles um ihn herum, weil das Seil im Kreis herum trudelte. Eine Zeit lang spürte er die Schläge noch, während Suetonius laut mitzählte. »Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei .«

Er bildete sich ein, Marcus weinen zu hören, dann schwanden ihm inmitten des höhnischen Gejohles und Gelächters die Sinne.

Noch bei Tageslicht kam er ein paarmal zu sich, wurde jedoch immer wieder ohnmächtig. Erst in der Abenddämmerung gelang es ihm endlich, bei Bewusstsein zu bleiben. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen, sein Gesicht geschwollen und verklebt. Noch immer hingen sie kopfüber an dem Ast und pendelten sanft im Abendwind, der von den Hügeln herunterstrich.

»Marcus, wach auf! Marcus!«

Sein Freund rührte sich nicht. Er sah furchtbar aus, wie eine Art Dämon. Die Kruste aus angetrocknetem Flussschlamm war abgeplatzt, nur grauer, von roten und purpurnen Streifen durchzogener Staub haftete noch an ihm. Sein Kiefer war geschwollen, und an der Schläfe stand eine Beule ab; seine linke Hand war dick und hatte im schwindenden Licht eine bläuliche Tönung. Gaius versuchte, die eigenen Hände zu bewegen, die noch immer mit dem Seil gefesselt waren. Obwohl sie ganz steif waren und schmerzten, konnte er beide bewegen und versuchte, sie frei zu bekommen. Sein junger Körper war geschmeidig, und die Sorge um seinen Freund ließ ihn die Schmerzwelle ignorieren, die von neuem über ihm zusammenschlug. Er musste sich um Marcus kümmern, ihm durfte nichts passiert sein. Doch dazu musste Gaius zuerst selbst wieder auf die Erde kommen.

Eine Hand kam frei. Er streckte sie nach unten und streifte mit den Fingerspitzen Staub und trockene Blätter. Nichts. Auch die andere Hand kam frei und er weitete seine Suche aus, indem er seinen Körper langsam im Kreis schaukeln ließ. Ja, da lag ein kleiner Stein mit einer scharfen Kante. Und jetzt zum schwierigen Teil.

»Marcus! Kannst du mich hören? Ich hole uns hier runter. Mach dir keine Sorgen! Und dann bringe ich Suetonius und seine fetten Freunde um.«

Marcus schaukelte sanft und lautlos hin und her; sein schlaffer Mund stand offen. Gaius holte tief Luft und wappnete sich gegen den Schmerz. Schon unter normalen Umständen wäre es äußerst schwierig gewesen, nach oben zu greifen und, nur mit einem scharfen Stein ausgerüstet, ein dickes Seil zu durchtrennen. Da sein ganzer Unterleib mit Blutergüssen übersät war, schien die Aufgabe nahezu unmöglich.

Also los!

Er hievte sich hoch, und der Schmerz, der seinen Bauch blitzartig durchzuckte, ließ ihn aufschreien, doch es gelang ihm, den Oberkörper trotzdem nach oben zu recken und mit beiden Händen zuzufassen. Seine Lunge pumpte vor Anstrengung wie rasend. Er fühlte, wie er wieder schwächer wurde und vor seinen Augen alles verschwamm. Zuerst glaubte er, sich übergeben und nach ein paar Sekunden wieder loslassen zu müssen. Aber dann gelang es ihm doch, die Hand, die den Stein hielt, Zentimeter für Zentimeter zu lösen und sich nach hinten zu lehnen. Damit hatte er genug Platz, nach der Leine zu fassen und daran zu sägen, wobei er versuchte, seine Haut nicht zu verletzen, wo die Fesseln zu tief eingeschnitten hatten.

Der Stein war entmutigend stumpf, und Gaius konnte sich nicht lange oben halten. Um den Fall besser kontrollieren zu können, versuchte er loszulassen, bevor seine Hände abrutschten, doch das war unmöglich.

»Du hast immer noch den Stein«, murmelte er vor sich hin. »Du musst weitermachen, bevor Suetonius zurückkommt.«

Ein anderer Gedanke durchzuckte ihn. Vielleicht war sein Vater aus Rom heimgekehrt, denn er wurde jeden Tag zurückerwartet. Jetzt, mit Anbruch der Dunkelheit, würde er sich Sorgen machen. Vielleicht suchte er bereits nach den beiden Jungen, kam dieser Lichtung immer näher und rief ihre Namen. So durfte er sie auf keinen Fall finden. Die Schande wäre zu groß.

»Marcus? Wir sagen einfach, wir sind hingefallen. Ich will nicht, dass mein Vater davon erfährt.« Marcus schaukelte besinnungslos an dem knarrenden Seil im Kreis.

Noch fünfmal musste sich Gaius nach oben schwingen und an dem dicken Strick sägen, ehe dieser endlich nachgab. Dann landete er fast flach auf dem Boden und schluchzte, als seine geschundenen Muskeln zuckten und zitterten.

Er versuchte, Marcus langsam herabzulassen, doch er war zu schwer für ihn, und das plötzliche Gewicht in seinen Armen ließ ihn fast zusammenbrechen.

Immerhin erwachte Marcus durch den neuerlichen Schmerz des Aufpralls und öffnete die Augen. »Meine Hand«, flüsterte er mit brüchiger Stimme.

»Ich würde sagen, die ist gebrochen. Halte sie ruhig. Wir müssen hier weg, falls Suetonius zurückkommt oder mein Vater uns sucht. Es ist schon fast dunkel. Kannst du aufstehen?«

»Ich denke schon ... obwohl meine Beine sich ziemlich schwach anfühlen. Dieser Tonius ist ein Dreckskerl«, murmelte Marcus. Er versuchte, den Unterkiefer nicht zu bewegen und sprach stattdessen zwischen den geschwollenen, aufgeplatzten Lippen hindurch.

Gaius nickte grimmig. »Wohl wahr! Ich denke, mit dem haben wir noch eine Rechnung zu begleichen.«

Marcus grinste und zuckte sofort schmerzvoll zusammen, weil dabei die Risse in seinen Lippen wieder aufplatzten. »Aber erst müssen wir uns ein wenig erholen, meinst du nicht? Im Augenblick bin ich nicht besonders scharf darauf, es mit ihm aufzunehmen.«

Sich gegenseitig stützend wankten die beiden Jungen in der Dunkelheit nach Hause. Sie gingen etwa eine Meile über die Kornfelder, an den Sklavenquartieren der Feldarbeiter vorbei und auf die Hauptgebäude zu. Wie zu erwarten gewesen war, brannten die Öllampen an den Mauern des Haupthauses noch.

»Tubruk wartet bestimmt noch auf uns, der schläft nie«, murmelte Gaius, als sie zwischen den Pfeilern des äußeren Tores hindurchhumpelten.

Die Stimme aus dem Schatten erschreckte sie beide.

»Das ist auch gut so. Diesen Anblick hätte ich mir nur ungern entgehen lassen. Du kannst froh sein, dass dein Vater nicht hier ist. Wenn der euch dabei erwischt, wie ihr in einem solchen Aufzug nach Hause kommt, zieht er euch die Haut vom Rücken. Was war es denn dieses Mal?« Tubruk trat in das gelbe Licht der Öllampen und beugte sich vor. Er war kräftig gebaut, ein ehemaliger Gladiator, der sich die Position des Aufsehers auf dem kleinen Gut vor den Toren Roms gekauft und nie mehr zurückgeschaut hatte. Gaius’ Vater sagte immer, Tubruk sei ein Organisationstalent, wie man nur eines im Tausend findet. Die Sklaven arbeiteten gut unter ihm, manche aus Angst, andere, weil sie ihn mochten. Er roch an den beiden Jungen.

»Seid wohl in den Fluss gefallen, was? Jedenfalls riecht es so.«

Froh darüber, dass eine Erklärung bei der Hand war, nickten die beiden.

»Aber diese Striemen von Stockhieben habt ihr euch nicht im Flussbett geholt, oder? Das war Suetonius, stimmt’s? Ich hätte ihm schon vor Jahren mal in den Hintern treten sollen, als er noch jung und für gute Erziehung empfänglich war. Also?«