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»Halt still, Junge. Ich habe ein Messer mit einer Sägeklinge für dich .«

Eine Hand wie rauer Stein presste sich über sein ganzes Gesicht, sie schien ihm plötzlich größer, als eine Hand eigentlich sein durfte.

Der Atem des alten Mannes streifte sein Ohr und roch süßlich nach faulen Zähnen.

Marcus erwachte würgend und schnappte verzweifelt nach Luft. Sein Magen war leer.

Inzwischen war der Mond aufgegangen. Gaius stand immer noch neben ihm, das Gesicht knapp über dem schwarzen, glasigen Wasser. Sein Kopf tauchte immer wieder mit einem Nicken in die Dunkelheit ein.

Es reichte. Wenn er die Wahl zwischen Aufgeben und Tod hatte, dann gab er eben auf und scherte sich nicht um die Folgen. Taktisch gesehen war das bestimmt die bessere Wahl. Manchmal war es besser, sich zurückzuziehen und seine Kräfte neu zu sammeln. Das war es, was der alte Mann ihnen hatte sagen wollen. Er wollte, dass sie aufgaben. Wahrscheinlich wartete er irgendwo ganz in der Nähe. Er wartete darauf, dass sie diese wichtigste aller Lektionen begriffen. Marcus konnte sich nicht mehr an den Traum erinnern, nur eine unbestimmte Angst, erstickt zu werden, war zurückgeblieben. Sein Körper schien seine gewohnte Form verloren zu haben und stand schwer und aufgedunsen unter der Wasseroberfläche. Er war zu einer Art dünnhäutigem, am Flussgrund lebendem Fisch geworden. Marcus konzentrierte sich, und sein Unterkiefer hing schlaff herunter; kaltes Wasser, Wasser, so kalt wie er selbst, rann davon herab. Er schwankte nach vorn und hob den Arm, um sich an einer Wurzel festzuhalten. Zum ersten Mal seit elf Stunden befand sich zumindest ein Teil seines Körpers endlich außerhalb des Wassers. Er fühlte eine Todeskälte in sich und empfand keinerlei Bedauern. Sicher, Gaius stand immer noch da, doch wahrscheinlich hatten sie einfach unterschiedliche Stärken. Marcus jedenfalls würde nicht sterben, nur um einem widerlichen alten Gladiator zu imponieren.

Zentimeter für Zentimeter kroch er aus dem Wasser. Mit Schlamm im Gesicht und auf der Brust zog er sich Stück für Stück ans Ufer. Sein aufgeblähter Bauch schien in die Höhe zu treiben, als würde er von innen aufgeblasen. Als endlich sein ganzes Körpergewicht auf der festen Erde wieder zum Tragen kam, überkam ihn eine ekstatische Erleichterung. Er lag einfach nur da und wurde von krampfartigen Würgeanfällen geschüttelt. Gelbe Gallenflüssigkeit tropfte ihm aus dem Mundwinkel und vermischte sich mit dem schwarzen Schlamm. Die Nacht war still, und es kam ihm vor, als sei er soeben aus seinem eigenen Grab gekrochen.

Im Morgengrauen lag er immer noch da. Ein Schatten verdeckte die bleiche Sonne über ihm. Renius stand vor ihm und runzelte die Stirn, nicht über Marcus, sondern über die kleine, blasse Gestalt des Jungen, der immer noch mit geschlossenen Augen und blauen Lippen im Wasser stand. Während Marcus ihn betrachtete, zuckte ein kurzer Anflug von Sorge über das eiserne Gesicht.

»Junge!«, bellte die Stimme, die sie bereits zu hassen gelernt hatten. »Gaius!«

Die Gestalt im Wasser schwankte leicht in der Strömung, doch es kam keine Antwort. Renius’ Kiefermuskeln traten hervor. Der alte Soldat watete bis zu den Oberschenkeln in das Flussbecken, fasste hinein und warf sich den Zehnjährigen wie einen Welpen über die Schulter. Gaius riss zwar kurz die Augen auf, doch er schien nicht zu begreifen, was mit ihm geschah. Marcus rappelte sich auf, als der alte Mann mit seiner Last davonging. Offensichtlich marschierte er zurück zum Haus. Mit protestierenden Muskeln trottete Marcus hinterher.

Hinter ihnen, im Schatten auf der anderen Uferseite, stand Tubruk, so wie er es schon die ganze Nacht getan hatte, durch das dichte Laub vor ihren Blicken geschützt. Seine Augen waren zu Schlitzen zusammengekniffen und so kalt wie der Fluss.

Renius schien von einer niemals versiegenden Wut angetrieben zu werden. In all den Monaten ihrer Ausbildung hatten die Jungen ihn nicht ein einziges Mal lächeln sehen, es sei denn aus Spott. An schlechten Tagen rieb er sich den Nacken, während er sie anbrüllte und erweckte den Eindruck, dass er jeden Augenblick die Geduld verlieren würde. Noch schlimmer war er in der Mittagssonne, wenn sein Gesicht schon beim kleinsten Fehler vor Wut fleckig wurde.

»Haltet den Stein gerade vor euch!«, bellte er, während Marcus und Gaius in der Sonne schwitzten. Ihre Aufgabe an diesem Nachmittag bestand darin, mit einem faustgroßen Stein in der ausgestreckten Hand ruhig dazustehen. Am Anfang war es leicht gewesen. Jetzt hingegen schmerzten Gaius’ Schultern, seine Arme fühlten sich an, als gehörten sie nicht mehr zu seinem Körper. Er versuchte, die Muskeln anzuspannen, doch sie gehorchten seinem Willen nicht mehr. Schweißüberströmt sah er, wie sich der Stein eine Handbreit senkte. Er spürte eine Welle aus Schmerz über seinen Bauch wandern, als Renius mit einer kurzen Peitsche zuschlug. Seine Arme zitterten, und die Muskeln bebten vor Schmerz. Er konzentrierte sich wieder auf den Stein und biss sich auf die Lippen.

»Ihr lasst ihn nicht fallen. Ihr nehmt den Schmerz an. Ihr lasst ihn nicht fallen.«

Renius’ Stimme verfiel in einen rauen Singsang, während er um die Jungen herumschritt.

Sie hatten die Steine jetzt zum vierten Mal angehoben, und jedes Mal wurde es schwerer. Renius ließ ihnen kaum eine Minute Zeit, um die schmerzenden Arme auszuruhen, bevor er schon wieder den Befehl gab, die Steine anzuheben.

»Ablegen«, befahl Renius und beobachtete mit bereit gehaltener Peitsche, ob sie die Steine auch langsam und kontrolliert absenkten. Marcus atmete heftig, und Renius verzog verächtlich den Mund.

»Es wird eine Zeit kommen, wo ihr glaubt, ihr könnt den Schmerz nicht mehr länger ertragen. Aber dann hängt das Leben anderer Männer von euch ab. Vielleicht haltet ihr ein Seil, an dem andere hochklettern, oder ihr marschiert vierzig Meilen in voller Ausrüstung, um Kameraden zu Hilfe zu kommen. Hört ihr mir zu?«

Die Jungen nickten und versuchten, nicht vor Erschöpfung laut zu keuchen. Sie waren nur froh, dass er weiterredete, anstatt sofort wieder den Befehl zu geben, die Steine aufzuheben.

»Ich habe Männer gesehen, die sich zu Tode gelaufen haben. Sie sind vor Erschöpfung auf der Straße zusammengebrochen, aber ihre Beine haben immer noch gezuckt, weil sie versucht haben, weiterzulaufen. Sie wurden mit allen Ehren bestattet.

Männer meiner Legion, die ihre eigenen Gedärme mit der Hand im Leib gehalten haben, sind trotz allem auf ihrer Position geblieben und in der Formation mitgelaufen. Auch sie wurden ehrenvoll bestattet.« Nachdenklich hielt er inne und rieb sich den Nacken, als sei er gestochen worden.

»Es wird Zeiten geben, wo ihr euch einfach nur noch hinsetzen wollt, wo ihr aufgeben wollt.

Euer Körper sagt euch, es geht nicht mehr, und euer Geist ist schwach.

Das ist falsch. Nur Barbaren und wilde Tiere geben auf, wir aber halten durch.

Glaubt ihr etwa, ihr seid schon fertig? Tun euch die Arme weh? Ich sage euch, ihr werdet in dieser Stunde eure Steine noch ein weiteres Dutzend Mal anheben, und ihr werdet sie oben halten. Wenn der Stein auch nur ein einziges Mal mehr als eine Handbreit sinkt, kommt ein weiteres Dutzend Male dazu.«

Ein Sklavenmädchen wusch den Staub von einer Wand an der anderen Hofseite. Sie sah die Jungen nie an, obwohl sie bei den gebellten Befehlen des alten Gladiators gelegentlich zusammenzuckte. Gaius bemerkte, dass auch sie erschöpft wirkte, doch mit ihren langen, dunklen Haaren und in dem losen Sklavenkittel sah sie sehr hübsch aus. Sie hatte ein fein gezeichnetes Gesicht mit großen, dunklen Augen, und weil sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrierte, war ihr voller Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er meinte sich zu erinnern, dass ihr Name Alexandria war.

Während Renius redete, bückte sie sich tief hinunter, um den Lappen im Eimer auszuwaschen. Als sie das Tuch ins Wasser tunkte, hing ihr loses Kleid weit herab und Gaius konnte die zarte Haut am Hals sehen, bis hinunter zu den sanften Rundungen ihrer Brüste. Er glaubte sogar die Haut am Bauch zu erblicken und stellte sich vor, wie ihre Brustwarzen sanft das raue Tuch streiften, wenn sie sich bewegte.