»Mir ist das schon mehr als einmal geglückt. Hol die Haussklaven, sie sollen den Jungen ins Haus tragen. Und bring mir Verbandszeug und heißes Wasser.«
»Bist du ein Heilkundiger?«, fragte Marcus den alten Mann und suchte in seinen Augen nach einem Funken Hoffnung.
»Auf meinen Reisen habe ich das eine oder andere aufgeschnappt. Noch ist nicht alles verloren.« Ihre Blicke trafen sich.
Marcus schaute zur Seite und nickte gedankenverloren. Er vertraute dem Fremden, auch wenn er nicht hätte sagen können, warum.
Renius fiel auf den Rücken, seine Brust hob sich kaum noch. Jetzt sah er aus wie das, was er war: Ein morscher, alter, brauner Baumstamm von einem Mann, der in der römischen Sonne hart, aber auch spröde geworden war. Als Marcus’ Blick auf ihn fiel, versuchte er, vor Schwäche zitternd, noch einmal aufzustehen.
Eine Hand legte sich mit sanftem Druck auf Marcus’ Schulter und besänftigte die wieder in ihm aufsteigende Wut. Tubruk stand neben ihm, das Gesicht dunkel vor Zorn. Marcus spürte das leise Zittern in der Hand des ehemaligen Gladiators.
»Ruhig, mein Junge. Der Kampf ist vorbei. Ich habe nach Lucius und dem Arzt von Gaius’ Mutter geschickt.«
»Hast du alles mit angesehen?«, stammelte Marcus.
Tubruk verstärkte den Druck seiner Hand.
»Nur das Ende. Ich habe gehofft, dass du ihn tötest«, sagte er grimmig und sah dabei zu Renius hinüber, der blutend am Boden lag. Dann drehte sich Tubruk zu dem Neuankömmling um.
»Wer bist du, alter Mann? Ein Wilderer? Das hier ist ein privates Anwesen.«
Der alte Mann stand ruhig da und hielt Tubruks Blick stand. »Nur ein Reisender, ein Wanderer«, antwortete er.
»Wird er sterben?«, warf Marcus ängstlich ein.
»Das schon. Aber heute wohl noch nicht«, erwiderte der alte Mann. »Das wäre nicht recht, jetzt, wo ich da bin. Oder bin ich jetzt kein Gast des Hauses?«
Marcus blinzelte verwirrt und versuchte, den vernünftigen Klang dieser Worte gegen den Schmerz und die Wut abzuwägen, die immer noch in seinem Inneren tobten.
»Ich weiß noch nicht einmal, wie du heißt«, sagte er schließlich.
»Ich bin Cabera«, antwortete der alte Mann leise. »Und jetzt gib Frieden. Ich werde euch helfen.«
7
Aufgebrachte Stimmen holten Gaius wieder ins Bewusstsein zurück. In seinem Kopf hämmerte es, und er fühlte sich vollkommen kraftlos. Immer wieder breiteten sich Schmerzen wellenartig von seinem Unterleib aus, die von allen Pulsen seines Körpers mit wütendem Pochen beantwortet wurden. Sein Mund war trocken, er konnte weder sprechen noch die Augen offen halten. Die Dunkelheit war rot und weich, er wollte wieder in ihr versinken, weil er sich noch nicht für die Kämpfe des Bewusstseins bereit fühlte.
»Ich habe den durchstoßenen Blinddarm entfernt und die zerschnittenen Adern abgebunden. Er hat viel Blut verloren, und es wird eine Weile dauern, bis es wieder ersetzt ist, aber er ist jung und stark.« Die Stimme eines Fremden ... einer der Ärzte des Gutes? Gaius wusste es nicht, es war ihm auch egal. Wenn er nicht sterben musste, sollten sie ihn doch einfach in Ruhe lassen, damit er wieder gesund werden konnte.
»Der Arzt meiner Frau sagt, du bist ein Scharlatan.« Die unerbittliche Stimme seines Vaters.
»Er hätte eine solche Wunde nicht operiert. Also hast du nichts verloren, oder? Ich habe schon einmal einen Blinddarm entfernt; die Operation muss nicht tödlich verlaufen. Das Problem ist das Fieber, das noch kommen wird und gegen das er alleine ankämpfen muss.«
»Mir wurde gesagt, dieser Eingriff sei stets tödlich. Der Blinddarm schwillt an und platzt. Man kann ihn nicht einfach so entfernen, wie man einen Finger abschneiden würde.« Sein Vater klang müde, dachte Gaius.
»Trotzdem habe ich es getan. Ich habe auch den alten Mann verbunden. Auch er wird sich wieder erholen, auch wenn er wohl nie wieder kämpfen wird, so wie seine linke Schulter zugerichtet ist. Alle werden es überleben. Und du solltest jetzt schlafen.«
Gaius hörte Schritte näher kommen, spürte die warme, trockene Handfläche seines Vaters auf seiner feuchten Stirn.
»Er ist mein einziges Kind, Cabera; wie soll ich da schlafen? Würdest du schlafen, wenn es dein Kind wäre?«
»Ich würde schlafen wie ein Neugeborenes. Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht.
Ich werde weiter bei ihm wachen, aber du solltest dich ausruhen.« Die andere Stimme schien freundlich, hatte aber nicht den weichen Tonfall der Ärzte, die sich um seine Mutter kümmerten. Man konnte einen fremden Akzent heraushören, einen wohlklingenden Rhythmus.
Gaius sank wieder in tiefen Schlaf, als läge ein dunkles Gewicht auf seiner Brust. Während er in Fieberträume hinüberglitt und sekundenweise wieder daraus hervordämmerte, konnte er die Stimmen immer gerade noch wahrnehmen.
»Warum hast du die Wunde nicht mit Stichen geschlossen? Ich habe schon viele Wunden von Kämpfen gesehen, aber wir vernähen und verbinden sie .«
»Deshalb gefallen dem Griechen meine Methoden auch nicht. Der Eiter, der sich in der Wunde bildet, wenn das Fieber stärker wird, muss abfließen können. Wenn ich sie fest verschließe, kann der Eiter nirgendwohin und vergiftet sein Fleisch. Dann stirbt er mit Sicherheit, so wie die meisten anderen auch. Meine Methode könnte seine Rettung sein.«
»Wenn er stirbt, schneide ich dir deinen Blinddarm höchstpersönlich heraus.«
Ein meckerndes Lachen ertönte, dann ein paar Worte in einer fremden Sprache, die durch Gaius’ Träume hallten.
»Es würde dir schwer fallen, ihn zu finden. Hier ist die Narbe, die ich habe, seit mein Vater meinen vor vielen Jahren entfernt hat ... mit einem Ablauf für den Eiter.«
»Ich werde deinem Urteil vertrauen«, erwiderte Gaius’ Vater entschlossen. »Wenn er überlebt, gebührt dir mein Dank und noch mehr.«
Gaius erwachte, als eine kühle Hand seine Stirn berührte. Er sah in blaue Augen, die hell in einem walnussfarbenen Gesicht leuchteten.
»Ich heiße Cabera, Gaius. Es freut mich, dich endlich kennen zu lernen, und das in einem solchen Augenblick deines Lebens. Ich bin Tausende von Meilen gereist. Dass ich genau in dem Moment angekommen bin, als ich gebraucht wurde, gibt einem den Glauben an die Götter zurück, nicht wahr?«
Gaius konnte nicht antworten. Seine Zunge lag dick und reglos in seinem Mund. Als hätte er seine Gedanken gelesen, beugte sich der alte Mann vor und führte eine flache Schale mit Wasser an seine Lippen.
»Trink ein bisschen. Das Fieber brennt dir die Feuchtigkeit aus dem Leib.«
Die wenigen Tropfen rannen in seinen Mund und lösten den klebrigen Speichel, der sich dort gesammelt hatte. Gaius hustete und schloss die Augen wieder. Cabera sah auf den Jungen hinab und seufzte kurz. Er vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war und legte seine knochigen, alten Hände auf die Wunde, rings um das dünne Holzröhrchen, aus dem immer noch eine zähe Flüssigkeit tropfte.
Diesen Händen entströmte eine Wärme, die Gaius bis in seine Träume fühlte. Er spürte, wie sich die Hitze bis in seine Brust ausbreitete und sich auf seine Lunge legte, wo sie die Flüssigkeit auflöste.
Die Wärme wurde stärker, bis sie fast wehtat. Dann nahm Cabera die Hände weg und blieb regungslos sitzen, nur sein Atem klang plötzlich heiser und stockend.
Wieder schlug Gaius die Augen auf. Er fühlte sich immer noch zu schwach, um sich zu bewegen, aber das Gefühl, dass Flüssigkeit in ihm herumschwappte, war verschwunden. Er konnte wieder atmen.
»Was hast du getan?«, murmelte er.
»Es hat ein wenig geholfen, ja? Du hast etwas Hilfe gebraucht, trotz all meiner Fähigkeiten als Chirurg.« Das alte Gesicht war von der Anstrengung gezeichnet, aber die Augen leuchteten immer noch lebhaft in den dunklen Falten. Die Hand legte sich wieder auf Gaius’ Stirn.