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»Du sagst ihm aber nichts davon ... dass ich vom Baum gefallen bin? Ich habe beim Sturz viele Äste gestreift.« Gaius schmeckte das Blut, das ihm von der gebrochenen Nase im Hals hinunterlief.

»Hast du den Baum wenigstens auch getroffen? Nur ein einziges Mal?«, fragte Tubruk, musterte das aufgewühlte Laub und las darin die Antwort.

»Ich schätze, der Baum hat genauso eine Nase wie ich.« Gaius versuchte zu lächeln, übergab sich jedoch stattdessen ins Unterholz.

»Hmmm. Glaubst du, die Geschichte ist damit beendet? Ich kann dich nicht so weitermachen lassen und zusehen, wie man dich verkrüppelt oder gar tötet. Wenn dein Vater in der Stadt ist, erwartet er, dass du allmählich deine Pflichten als sein Erbe und als Patrizier erlernst. Ganz bestimmt ist ihm nicht daran gelegen, einen nutzlosen Bengel großzuziehen, der ständig in sinnlose Keilereien verwickelt ist.« Tubruk bückte sich, um den zerbrochenen Bogen aus dem Unterholz zu ziehen. Die Sehne war gerissen, und er schüttelte missbilligend den Kopf.

»Dafür, dass du auch noch den Bogen geklaut hast, sollte ich dir den Hintern versohlen.«

Gaius nickte unglücklich.

»Keine Schlägereien mehr, verstanden?« Tubruk stellte ihn auf die Füße und klopfte ihm ein wenig nasse Erde ab.

»Keine Schlägereien mehr. Versprochen! Danke, dass du gekommen bist, um mich zu holen«, erwiderte Gaius.

Der Junge taumelte und fiel beinahe um, während er sprach. Der alte Gladiator seufzte. Mit einem raschen Griff hievte er sich den Knaben auf die Schultern, trug ihn zurück zur Villa und rief bei jedem tief herabhängenden Ast laut: »Duck dich!«

In der folgenden Woche war Marcus, bis auf seine geschiente Hand, schon wieder ganz der Alte. Er war etwa fünf Zentimeter kleiner als Gaius, hatte braunes Haar und kräftige Gliedmaßen.

Seine Arme waren im Vergleich zum Rest seines Körpers etwas zu lang, doch er behauptete immer, dass ihn das wegen der zusätzlichen Reichweite später zu einem großen Schwertkämpfer machen würde. Er konnte mit vier Äpfeln jonglieren und hätte es auch mit Messern versucht, wenn die Küchensklaven nicht Gaius’ Mutter Aurelia davon erzählt hätten. Sie hatte ihn angeschrieen, bis er versprochen hatte, es nie wieder zu probieren. Die Erinnerung daran ließ ihn jedes Mal kurz stocken, wenn er ein Messer zum Essen in die Hand nahm.

Als Tubruk den fast bewusstlosen Gaius zur Villa zurückbrachte, war Marcus bereits aufgestanden und hatte sich in den riesigen Küchenkomplex hinuntergeschlichen. Gerade als er seine Finger in die fettverschmierten Eisenpfannen stippen wollte, hörte er Stimmen. Marcus trottete an den gewaltigen Ziegelöfen vorbei zu Lucius’ Behandlungsraum.

Immer wenn sie sich verletzt hatten, versorgte Lucius, der Physikos unter den Sklaven, ihre Wunden. Er behandelte die Familie und alle Sklaven des Gutes, verband Schwellungen, versorgte Entzündungen mit Schröpfumschlägen, zog mit seiner Zange Zähne und vernähte Schnittwunden. Lucius war ein ruhiger, geduldiger Mann, der immer, wenn er sich konzentrierte, geräuschvoll durch die Nase atmete. Dieses sanfte Schnauben aus der Lunge des alten Arztes war für die Jungen zu einem Zeichen für Frieden und Geborgenheit geworden. Gaius wusste, dass, wenn sein Vater einmal starb, Lucius als Belohnung für seine treu sorgende Pflege Aurelias ein freier Mann sein würde.

Marcus saß da und kaute auf einem Stück Brot mit schwarzem Fett herum, während Lucius Gaius’ gebrochene Nase wieder richtete.

»Dann hat dich Suetonius also wieder verprügelt?«, fragte er.

Gaius konnte nichts sagen und nickte nur. Seine Augen tränten so stark, dass er auch nichts sehen konnte.

»Du hättest auf mich warten sollen. Dann hätten wir ihn gemeinsam fertig gemacht.«

Gaius konnte nicht einmal nicken. Lucius tastete gerade nach einem Stück Nasenknorpel, fand es und zog kräftig an der Nase, um das lose Stück wieder an die richtige Stelle zu schieben. Neues Blut rann über die noch frischen Blutkrusten des heutigen Kampfes.

»Bei allen verdammten Tempeln, Lucius, pass doch auf! Du reißt mir ja die Nase ab!«

Lucius lächelte und begann, Leinen in Streifen zu schneiden, um Gaius den Kopf zu verbinden.

In der Zwischenzeit drehte dieser sich zu seinem Freund um. »Du hast eine gebrochene und geschiente Hand, außerdem geprellte oder gebrochene Rippen. Du kannst nicht kämpfen.« Marcus sah ihn nachdenklich an. »Schon möglich. Willst du es noch mal versuchen? Wenn du das tust, bringt er dich nämlich um, das weißt du.«

Über seine Bandagen blickte ihn Gaius ruhig an, während Lucius seine Utensilien einpackte und aufstand, um zu gehen.

»Danke, Lucius. Er wird mich nicht umbringen, weil ich ihn nämlich besiegen werde. Ich muss nur meine Strategie anpassen, das ist alles.«

»Er bringt dich um«, wiederholte Marcus und biss in einen getrockneten Apfel, den er aus den Wintervorräten stibitzt hatte.

Auf den Tag genau eine Woche später stand Marcus im Morgengrauen auf und begann mit den

Übungen, die seiner Meinung nach die Reflexe stimulierten, die man als hervorragender Schwertkämpfer brauchte. In seinem Zimmer, einer einfachen, weißen Steinzelle, stand nur sein Bett und eine Truhe mit seinem persönlichen Hab und Gut. Gaius bewohnte den angrenzenden Raum, und auf dem Weg zum Abtritt trat Marcus gegen dessen Tür, um ihn zu wecken. Dann betrat er die kleine Kammer und wählte eines der mit Stein eingefassten Löcher, das in einen Abwasserkanal mit ständig fließendem Wasser mündete. Dieses Wunder der Ingenieurskunst sorgte dafür, dass so gut wie kein Gestank entstand, weil der Unrat der Nacht sofort in den Fluss hinausgespült wurde, der durch das Tal floss. Er nahm den Deckelstein weg und zog sein Nachtgewand hoch.

Als er zurückkam, war von Gaius immer noch nichts zu sehen. Also öffnete er dessen Tür, um ihn für seine Faulheit zusammenzustauchen. Das Zimmer war leer. Marcus spürte, wie Enttäuschung in ihm aufstieg.

»Du hättest mich mitnehmen sollen, mein Freund. Du hättest es nicht so offensichtlich zu zeigen brauchen, dass du mich nicht brauchst.«

Rasch zog er sich an und machte sich auf den Weg, um Gaius zu suchen. Draußen stieg gerade die Sonne über das Tal und ergoss ihr Licht gleichmäßig auf alle Gutshöfe, während sich die Feldsklaven bereits über ihre Morgenarbeit beugten.

Selbst im kühleren Wald war das bisschen Nebel rasch verdunstet. Marcus fand Gaius schließlich an der Grenze zwischen den beiden Gütern. Unbewaffnet stand er da.

Marcus näherte sich ihm von hinten und Gaius drehte sich erschrocken um. Doch als er seinen Freund erkannte, entspannte er sich wieder und lächelte.

»Ich bin froh, dass du da bist, Marcus. Ich wusste nicht, wann er kommt, deswegen bin ich schon eine Weile hier. Als ich dich eben gehört habe, dachte ich schon, er sei es.«

»Weißt du, ich hätte auch mit dir zusammen gewartet. Ich bin dein Freund. Schon vergessen? Außerdem schulde ich ihm genauso eine Abreibung.«

»Deine Hand ist gebrochen, Marcus. Und abgesehen davon schulde ich ihm sogar zwei Abreibungen.«

»Das stimmt, aber ich hätte von einem Baum aus auf ihn draufspringen oder ihm ein Bein stellen können, wenn er angerannt kommt.«

»Mit Tricks gewinnt man keine Schlachten. Ich werde ihn mit meiner Stärke schlagen.«

Für einen Moment verstummte Marcus. Der Junge, dem er hier gegenüberstand und der sonst immer so unbeschwert wirkte, hatte jetzt etwas Kaltes und Erbarmungsloses an sich.

Die Sonne stieg langsam höher und die Schatten wanderten. Marcus setzte sich auf den Boden. Zuerst saß er mit angewinkelten Knien, dann streckte er die Beine vor sich aus. Er wollte nicht als Erster sprechen, denn Gaius hatte aus dieser Angelegenheit einen Wettstreit in Ernsthaftigkeit gemacht, außerdem konnte er nicht stundenlang stehen, so wie es sich Gaius anscheinend vorgenommen hatte. Die Schatten bewegten sich weiter und Marcus markierte ihre Positionen mit Stöcken. Er schätzte, dass sie bereits drei Stunden gewartet hatten, als Suetonius schließlich seelenruhig den Pfad entlanggeschlendert kam. Als er sie erblickte, verzog er das Gesicht zu einem abfälligen Grinsen und blieb stehen.