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24

Gaius stützte sich auf die steinerne Fensterbank und sah zu, wie die Sonne über der Stadt aufging. Er hörte, wie sich Cornelia auf dem langen Bett hinter ihm rührte, drehte sich um und lächelte in sich hinein. Sie schlief noch, ihr langes goldenes Haar ergoss sich über ihr Gesicht und über die Schultern, als sie sich unruhig hin und her wälzte. In der Hitze der Nacht hatten sie wenig gebraucht, um sich zu bedecken; ihre langen Beine waren fast bis zur Hüfte entblößt. Die leichte Decke hatte sie mit einer kleinen Hand gepackt und näher ans Gesicht herangezogen.

Einen Moment lang kehrten seine Gedanken zu Alexandria zurück, doch er empfand keinen Schmerz dabei. In den ersten Monaten war es schwer gewesen, sogar mit Freunden wie Diracius, die alles taten, um ihn zu zerstreuen. Jetzt konnte er zurückschauen und sich über seine Einfältigkeit und Unbeholfenheit wundern. Trotzdem blieb nach wie vor ein kleiner Rest von Traurigkeit. Er würde nie wieder dieser unschuldige Junge sein können.

Gaius hatte sich allein mit Metella getroffen und ein Dokument unterzeichnet, mit dem Alexandria an Marius’ Haus überging. Er wusste, dass er darauf vertrauen konnte, dass seine Tante sie gut behandelte. Zusätzlich hatte er eine Summe in Goldstücken aus dem Besitz des Gutes zurückgelassen, die ihr an dem Tag, an dem sie sich die Freiheit erkaufte, ausgehändigt werden sollte. Davon würde sie erst erfahren, wenn sie frei war. Es war nur ein kleines Geschenk, im Vergleich zu dem, was sie ihm gegeben hatte.

Gaius grinste, als er spürte, wie ihn die Erregung abermals überkam, obwohl er wusste, dass er sich auf den Weg machen musste, bevor der Haushalt erwachte. Cornelias Vater Cinna gehörte zu den politischen Schwergewichten, denen Marius schmeichelte und die er unter Kontrolle zu bekommen trachtete. Ein Mann, dem man besser nicht in die Quere kam, und wenn man ihn im Schlafzimmer seiner geliebten Tochter fand, bedeutete das selbst für den Neffen des Marius den Tod.

Er warf ihr noch einen kurzen Blick zu und zog seine Kleider zu sich heran. Trotzdem war sie es wert gewesen, trotzdem würde er das Risiko jederzeit wieder eingehen. Sie war drei Jahre älter als er, aber sie war noch Jungfrau gewesen, was ihn überrascht hatte. Sie gehörte ihm allein, und das verschaffte ihm eine stille Zufriedenheit und mehr als nur ein bisschen der alten Lust.

Sie hatten sich bei einer offiziellen Zusammenkunft der Senatorenfamilien kennen gelernt, anlässlich der Feier zur Geburt von Zwillingen, die einem Angehörigen der Nobilitas geboren worden waren. Mitten am Tag gab es nichts Besseres als die unbeschwerte Zügellosigkeit eines von Diracius’ Festen, und zunächst hatte sich Gaius bei den endlosen Gratulationen und Reden gelangweilt. Dann war sie in einem unbeobachteten Augenblick zu ihm herübergekommen und hatte alles verändert. Sie trug eine dunkelgoldene, fast braune Robe, dazu Ohrringe und einen Halsring aus dem gleichen, schweren Metall. Er hatte sie vom ersten Augenblick an begehrt, und fast ebenso rasch hatte er sie gemocht. Sie war intelligent und selbstbewusst, und sie begehrte ihn. Es war ein schwindelndes Gefühl. Er hatte sich über die Dächer in ihr Schlafzimmerfenster geschlichen und ihr beim Schlafen zugesehen, ihr wild zerzaustes Haar betrachtet.

Er dachte daran, wie sie sich aufgesetzt hatte, mit angezogenen Beinen und vollkommen geradem Rücken. Er hatte ein paar Sekunden gebraucht um zu bemerken, dass sie lächelte. Seufzend zog er seine Kleider und seine Sandalen an.

Nachdem Sulla schon ein ganzes Jahr aus der Stadt fort war und die Rebellion in Griechenland an Grausamkeit zunahm, fiel es Gaius leicht zu vergessen, dass irgendwann die Abrechnung folgen musste. Marius hingegen hatte vom ersten Tag an auf den Augenblick hingearbeitet, an dem Sullas Standarten am Horizont auftauchten. Die Stadt summte immer noch vor Aufregung und Furcht, so wie schon seit Monaten. Die meisten waren geblieben, doch ein stetiger Strom von Kaufleuten und ihren Familien, die die Stadt verließen, zeigte an, dass nicht jeder Bewohner Marius’ Vertrauen in den Ausgang der Auseinandersetzung teilte. In jeder Straße gab es verrammelte Geschäfte, und der Senat hatte viele Entscheidungen kritisiert, was Marius, wenn er in den frühen Morgenstunden nach Hause kam, immer zu Wutausbrüchen verleitete. Es war eine Spannung, die Gaius kaum nachvollziehen konnte, überließ er sich doch eher den angenehmen Zerstreuungen der Stadt.

Als er seine Toga festzog, schaute er noch einmal zu Cornelia hinüber und sah, dass ihre Augen offen waren. Er ging hin zu ihr, küsste sie auf die Lippen und spürte sein erneut aufkommendes Verlangen. Er ließ eine Hand auf ihre Brust sinken und fühlte, wie sie sich gegen ihn drängte. Er schnappte nach Luft.

»Kommst du wieder zu mir, Gaius?«

»Ja«, erwiderte er lächelnd und stellte zu seinem eigenen Erstaunen fest, dass er es tatsächlich ernst meinte.

»Ein guter Legat ist auf jede Eventualität vorbereitet«, sagte Marius, als er Gaius die Dokumente aushändigte. »Das hier sind Zahlungsanweisungen. Sie stammen aus der Schatzkammer der Stadt und sind so gut wie bares Geld. Ich erwarte nicht, dass du sie mir zurückzahlst. Sie sind ein Geschenk an dich.«

Gaius warf einen Blick auf die Summen und musste sich ein Lächeln abringen. Die Beträge waren enorm, doch sie würden die Schulden, die er bei den Geldverleihern hatte auflaufen lassen, nur gerade eben decken. Mit den fortschreitenden Vorbereitungen auf Sullas Rückkehr war es Marius nicht möglich gewesen, ein strengeres Auge auf Gaius zu haben, und in diesen ersten paar Monaten nach Alexandria hatte Gaius überall Kredite aufgenommen, um sich Frauen, Wein und Skulpturen zu leisten - alles, um seine Stellung in einer Stadt zu festigen, die nur Respekt vor Gold und Macht kannte. Mit geborgtem Reichtum hatte sich Gaius als junger Löwe in eine abgestumpfte Gesellschaft eingeführt. Selbst diejenigen, die seinem Onkel misstrauten, wussten, dass man mit Gaius rechnen musste, und es gab nie Probleme, immer noch größere Summen zu erhalten, da die Reichen sich förmlich darum schlugen, dem Neffen des Marius finanzielle Hilfe anzubieten.

Marius musste einen Anflug von Gaius’ Enttäuschung bemerkt haben und interpretierte sie als Sorge um die Zukunft.

»Ich rechne mit einem Sieg, aber nur ein Narr würde nicht auch eine Katastrophe einplanen, wenn es um Sulla geht. Falls es nicht so läuft wie geplant, nimm die Wechsel und verlasse die Stadt. Ich habe ein Empfehlungsschreiben beigefügt, damit bekommst du eine Koje auf einem Schiff der Legion, das dich zu irgendeinem Außenposten des Imperiums bringt. Ich habe auch ... Dokumente aufgesetzt, die dich als einen Sohn meines Hauses ausweisen. Damit ist es dir möglich, dich jedem Regiment anzuschließen und die nächsten paar Jahre zu nutzen, um dir einen Namen zu machen.«

»Was geschieht, wenn du Sulla vernichtest, wie du es erwartest?«

»Dann treiben wir dein Vorankommen in Rom weiter. Ich sorge dafür, dass du einen Posten bekommst, der mit einer lebenslangen Mitgliedschaft im Senat verbunden ist. Jetzt, wo die Wahlen anstehen, werden diese Posten eifersüchtig gehütet, aber es dürfte nicht unmöglich sein. Das kostet uns zwar ein Vermögen, aber dann bist du drin, einer der unumstritten Auserwählten. Und wer weiß, wohin dich die Zukunft danach noch bringt?«