Выбрать главу

Wo das Dach über die Straße ragte, hörte Gaius die Rufe der Hauswache, die dort ausschwärmte und sämtliche Ausgänge blockierte. Hinter ihm wurde das Poltern eisenbeschlagener Sandalen auf den Ziegeln lauter, also holte er tief Luft, um sich zu beruhigen, und eilte weiter, in der Hoffnung, dass ihn Geschwindigkeit und Gleichgewicht lange genug auf der trügerischen Oberfläche hielten, bis er irgendwo in Sicherheit war. Als er seine Deckung verließ, schrie der Hauptmann hinter ihm auf, aber Gaius hatte keine Zeit, sich umzudrehen. Das nächste Dach war zu weit weg, um hinüberzuspringen, und die einzige flache Stelle auf dem ganzen Gebäudekomplex war der Glockenturm mit seinem kleinen Fenster.

Mit einem verzweifelten Satz erreichte er die Fensterbank, zog sich hinauf und hinein, wo er die kalte Morgenluft mit großen Schlucken in sich aufnahm. Aus dem kleinen Glockenraum führte eine Treppe ins Haupthaus hinunter. Zuerst war Gaius versucht, hinunterzusteigen, aber plötzlich tauchte ein Plan in seinem Kopf auf, und er atmete tief durch und dehnte ein paar Muskeln, während er darauf wartete, dass der Hauptmann das Fenster erreichte.

Kurz nachdem er beschlossen hatte, zu bleiben, schob sich der Mann vor das Sonnenlicht, und sein Antlitz hellte sich beim Anblick des jungen Mannes auf, der im Glockenhaus in der Falle saß. Sie blickten einander einen Augenblick an, und Gaius sah interessiert zu, wie sich die Vorstellung, beim Hereinklettern vielleicht selbst getötet werden zu können, nach und nach auf dem Gesicht des Mannes abzeichnete. Gaius nickte ihm zu und trat einen Schritt zurück, um ihm Eintritt zu gewähren.

Der Hauptmann grinste ihn hässlich an. Er keuchte noch immer von der Anstrengung der Jagd. »Du hättest mich töten sollen, als du die Gelegenheit dazu hattest«, sagte er und zog sein Schwert.

»Dann wärst du vom Dach gefallen«, erwiderte Gaius seelenruhig. »Ich brauche aber deine Kleider, besonders deine Sandalen.« Mit diesen Worten zog er sein eigenes Schwert und baute sich, sich seiner Nacktheit offensichtlich überhaupt nicht bewusst, lässig vor seinem Gegenüber auf.

»Verrätst du mir noch deinen Namen, ehe ich dich erledige?«, fragte der Hauptmann und nahm die leicht geduckte Stellung des Schwertkämpfers ein. »Nur damit ich meinem Herrn etwas berichten kann.«

»Gibst du mir deine Kleider freiwillig? An einem so herrlichen Morgen sollte man sich nicht gegenseitig umbringen«, konterte Gaius und lächelte dabei freundlich.

Der Hauptmann wollte etwas erwidern, aber Gaius griff an. Sein Streich wurde pariert, denn der Mann hatte mit einem solchen Trick gerechnet. Gaius erkannte rasch, dass er es mit einem erfahrenen Gegner zu tun hatte und konzentrierte sich auf jede Bewegung des Tanzes. Sie hatten nicht genug Platz, um sich frei zu bewegen, außerdem lauerte zwischen ihnen die Treppe und drohte, einen von ihnen ins Straucheln zu bringen.

Mit Finten und halbherzigen Stößen loteten sie den Kampfplatz aus, suchten nach gegnerischen Schwächen. Der Hauptmann staunte über das Können des jungen Mannes. Er hatte sich seinen Posten in Cinnas Garde gekauft, nachdem er einen Schwertkampfwettbewerb der Stadt gewonnen hatte und wusste, dass er besser war als die meisten Männer, doch hier wurden seine Angriffe immer wieder mit Geschwindigkeit und Präzision abgewehrt. Trotzdem machte er sich deshalb keine Sorgen. Im schlimmsten Fall musste er nur eine Weile durchhalten, bis Hilfe eintraf, und sobald die Suchenden bemerkten, dass hier oben gekämpft wurde, würden immer mehr die Treppe heraufkommen und den Eindringling überwältigen. Seine Hoffnung musste sich in seinem Gesicht widergespiegelt haben, denn jetzt ging Gaius, nachdem er seinen Gegner genügend taxiert hatte, in die Offensive.

Der Jüngling durchbrach die Verteidigung des Hauptmanns und traf ihn an der Schulter. Der Mann quittierte die Wunde mit einem Grunzen, doch Gaius lenkte seinen Gegenangriff seitlich ab und ritzte einen Schnitt in die lederne Brustplatte. Jetzt stand der Hauptmann mit dem Rücken an der Wand des kleinen Glockenturms, und schon ließ ein schmerzhafter Schlag auf seine Finger den Gladius die Treppe hinunterscheppern. Die Hand fühlte sich taub an, und der Hauptmann blickte in Gaius’ Augen, erwartete den Schlag, der ihm den Garaus machen würde.

Gaius wurde kaum langsamer. Erst in der letzten Sekunde, bevor sein Schwert gegen die Schläfe des Mannes krachte, drehte er es so, dass es mit der flachen Seite auftraf. Bewusstlos sank sein Gegner zu Boden.

Von unten wurden immer mehr Rufe laut. Mit fliegenden Fingern machte sich Gaius daran, den Hauptmann auszuziehen.

»Mach schon, mach schon ...«:, murmelte er vor sich hin. Immer einen Plan in der Hinterhand haben, das hatte ihm Renius damals eingebläut, doch abgesehen davon, dem Mann seine Kleider zu stehlen, hatte er noch keine Zeit gehabt, über einen weitergehenden Fluchtplan nachzudenken. Es dauerte ewig, bis er angezogen war. Der Hauptmann rührte sich, und Gaius verpasste ihm noch einen Schlag mit dem Griff und nickte zufrieden, als die zuckenden Bewegungen wieder nachließen. Er hoffte, dass er ihn nicht umgebracht hatte. Der Mann hatte nur das getan, wofür er bezahlt wurde, ohne jede Gehässigkeit. Gaius atmete tief durch. Treppe oder Fenster? Er überlegte nur eine Sekunde, schob seinen eigenen Gladius in die Scheide des Hauptmanns und schritt die Treppe hinunter ins Haupthaus.

Als er die Nachrichten von dem atemlosen Boten vernahm, ballte Marius die Fäuste.

»Wie viele Tage sind sie hinter dir?«, fragte er so ruhig, wie es ihm möglich war.

»Wenn sie Gewaltmärsche einlegen, nicht mehr als drei oder vier. Ich bin so schnell wie möglich hergeritten, habe immer wieder die Pferde gewechselt, aber die meisten von Sullas Männern waren bereits an Land, als ich aufgebrochen bin. Ich habe gewartet, um sicherzugehen, dass es die Hauptstreitmacht war, und nicht nur eine Finte.«

»Das hast du gut gemacht. Hast du Sulla selbst gesehen?«

»Ja, wenn auch nur aus der Ferne. Es sah aus, als ob seine komplette Legion landen und sich auf den Rückweg nach Rom machen würde.«

Marius warf dem Mann eine Goldmünze zu, der sie geschickt aus der Luft fing. Der Legat erhob sich.

»Dann müssen wir uns auf ihren Empfang vorbereiten. Hol die anderen Kundschafter zusammen. Ich möchte, dass ihr Sulla meine Willkommensgrüße überbringt.«

»Legat?«, fragte der Bote verwundert.

»Keine Fragen. Ist er denn nicht der heldenhafte Eroberer, der siegreich zu uns zurückkehrt? Komm in einer Stunde zurück, dann gebe ich dir die Briefe.«

Ohne ein weiteres Wort verneigte sich der Mann und ging hinaus.

Der Suchtrupp fand den Hauptmann, als dieser gerade nackt aus dem Glockenturm heraustaumelte und sich den Schädel hielt. Der Eindringling konnte trotz der intensiven Suche, die den ganzen Morgen über fortgesetzt wurde, nirgendwo aufgespürt werden. Einer der Soldaten erinnerte sich an einen Mann, der wie der Hauptmann gekleidet war und eine Seitenstraße überprüfen wollte, wusste aber nicht mehr genügend Einzelheiten, um eine gute Beschreibung abzugeben. Um die Mittagszeit wurde die Suche abgebrochen, und inzwischen machte bereits die Nachricht von Sullas Rückkehr die Runde in den Straßen von Rom. Eine Stunde später fiel einer der Hauswachen ein kleines Päckchen auf, das am Tor lehnte. Als er es öffnete, fand er darin die Uniform, die Sandalen und die Schwertscheide des Hauptmanns. Als man dem Hauptmann seine Sachen aushändigte, brach dieser in lautes Fluchen aus.

Gaius wurde am Nachmittag zu Marius gerufen und hatte sich bereits eine Verteidigung für sein Handeln überlegt. Dem Legaten schien jedoch nichts von dem Skandal zu Ohren gekommen zu sein. Er wies Gaius lediglich an, sich zu den Zenturios zu setzen.

»Zweifellos habt ihr inzwischen alle gehört, dass Sulla mit seiner Streitmacht an der Küste gelandet ist und nur drei oder vier Tage von der Stadt entfernt steht.«

Die anderen nickten, nur Gaius musste seinen Schrecken verbergen so gut es ging.