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Gaius’ fröhlicher Gesichtsausdruck verdüsterte sich bei Aurelias Namen. Seinem Vater entging das nicht. Er seufzte, legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter und zwang ihn, ihn anzusehen. »Ich würde ja gerne mehr Zeit außerhalb der Stadt verbringen, mein Junge, aber was ich tue, ist mir sehr wichtig. Verstehst du das Wort >Republik< überhaupt?«

Gaius nickte und sein Vater sah ihn skeptisch an.

»Das bezweifle ich. Nicht einmal alle meine Mitsenatoren verstehen es richtig. Wir leben eine Idee, eine Regierungsform, die jedermann eine Stimme gibt, selbst dem einfachen Mann. Ist dir klar, wie ungewöhnlich das ist? Jedes andere kleine Land, das ich kenne, wird von einem König oder einem anderen Oberhaupt regiert. Der König gibt seinen Freunden Land und nimmt Geld von denen, die es sich mit ihm verscherzt haben. Das ist so, als ließe man ein kleines Kind mit einem Schwert herumspielen.

In Rom wird alles durch Gesetze geregelt. Die Gesetze sind noch nicht vollkommen oder so gerecht, wie ich sie mir wünschte, aber zumindest versuchen sie es. Und diesem Versuch widme ich mein Leben, denn er ist es wert - auch deines, wenn die Zeit gekommen ist.«

»Aber ich vermisse dich«, erwiderte Gaius, obwohl er wusste, dass das selbstsüchtig war.

Der Blick seines Vaters wurde hart, dann jedoch streckte er die Hand aus und raufte noch einmal Gaius’ Haar.

»Ich vermisse dich auch. Deine Knie sind schmutzig, und diese Tunika würde besser zu einem Straßenjungen passen, aber ich vermisse dich. Geh und wasch dich, aber erst nachdem du Merkur abgerieben hast.«

Er lächelte wehmütig und sah zu wie, sein Sohn mit dem Pferd davontrottete. Tubruk hatte Recht. Gaius war wirklich gewachsen.

Im Stall rieb Gaius die Flanken des Pferdes seines Vaters ab. Er wischte Staub und Schweiß fort und dachte dabei über die Worte seines Vaters nach. Diese Idee von einer Republik hörte sich gut an, aber es war bestimmt viel aufregender, ein König zu sein.

Jedes Mal, wenn Gaius’ Vater Julius längere Zeit weg gewesen war, bestand Aurelia auf einem formellen Mahl im lang gezogenen Triclinium. Die beiden Jungen saßen dann auf Kinderstühlen neben den Liegen, auf denen Aurelia und ihr Mann barfuß und lang ausgestreckt ruhten. Das Essen wurde von den Haushaltssklaven auf niedrigen Tischen serviert.

Gaius und Marcus hassten diese Mahlzeiten. Es war ihnen verboten, miteinander zu schwatzen, und so mussten sie bei jedem einzelnen Gang in quälender Stille verharren. Bevor sie nach etwas griffen, mussten sie den Tischdienern die Hände zum Abwischen hinhalten. Obwohl sie beide über einen gesunden Appetit verfügten, hatten sie gelernt, Aurelia nicht durch zu hastiges Essen zu kränken, also kauten und schluckten sie ebenso langsam wie die Erwachsenen, während die Abendschatten immer länger wurden.

Gebadet und in saubere Kleider gehüllt, fühlte sich Gaius in Gegenwart seiner Eltern unwohl.

Ihm war heiß. Sein Vater hatte die Vertrautheit, mit der er ihm bei ihrem ersten Treffen auf der Straße begegnet war, abgelegt und sprach mit seiner Frau, als existierten die beiden Jungen überhaupt nicht. Immer, wenn er Gelegenheit dazu hatte, beobachtete Gaius seine Mutter genau, suchte nach Anzeichen des Zitterns, das einen ihrer Anfälle ankündigte. Am Anfang hatten sie ihm Angst eingejagt und ihn zum Weinen gebracht. Aber nach einigen Jahren hatte sich eine emotionale Hornhaut gebildet, und jetzt hoffte er manchmal sogar auf das Zittern, damit er und Marcus vom Tisch weggeschickt wurden.

Er versuchte zuzuhören und Interesse für die Unterhaltung zu zeigen, aber es ging ausschließlich um Gesetze und Stadtverordnungen. Sein Vater kam nie mit aufregenden Geschichten über Hinrichtungen oder berühmte Straßenräuber nach Hause.

»Du setzt zu viel Glauben in die Menschen, Julius«, sagte Aurelia soeben. »Man muss sich um sie kümmern, wie sich ein Vater um sein Kind kümmern muss. Manche mögen Geist und Intelligenz besitzen, das gebe ich zu. Aber die meisten müssen beschützt werden ...« Ihre Stimme erstarb plötzlich, und es herrschte Stille.

Julius hob den Blick und Gaius sah, wie Traurigkeit das Gesicht seines Vaters überzog. Beschämt sah er weg, als sei er Zeuge einer intimen Handlung zwischen den beiden geworden.

»Relia?«

Gaius hörte die Stimme seines Vaters und sah wieder seine Mutter an, die regungslos wie eine Statue dalag, den Blick auf ein Geschehen in weiter Ferne gerichtet. Ihre Hand zitterte, und plötzlich verzog sich ihr Gesicht wie das eines Kindes. Das Zittern, das in der Hand angefangen hatte, breitete sich über ihren ganzen Körper aus, und sie verdrehte sich krampfartig, wobei einer ihrer Arme die Schüsseln von dem niedrigen Tisch fegte. Ihre Stimme brach in kreischenden Lauten aus ihrer Kehle hervor, sodass die beiden Jungen unwillkürlich zusammenzuckten.

Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sich Julius von der Liege und nahm seine Frau in die Arme.

»Lasst uns allein«, befahl er. Gaius und Marcus verließen gemeinsam mit den Sklaven den Raum, und der Mann blieb allein mit der sich windenden Gestalt in den Armen zurück.

Am nächsten Morgen wurde Gaius von Tubruk geweckt, der ihn an der Schulter rüttelte.

»Steh auf, Junge. Deine Mutter will dich sehen.«

Gaius stöhnte leise, aber Tubruk hatte ihn gehört.

»Sie ist immer sehr ruhig nach einer ... schlechten Nacht.«

Gaius hielt beim Anziehen inne und schaute zu dem alten Gladiator auf.

»Manchmal hasse ich sie.«

Tubruk seufzte leise.

»Ich wünschte, du hättest sie noch gekannt, wie sie damals war, bevor die Krankheit begonnen hat. Früher hat sie vor sich hin gesungen, und im Haus herrschte immer Fröhlichkeit. Denk immer daran, dass sie noch da ist, aber eben nicht zu dir herauskommen kann. Sie liebt dich wirklich, weißt du das?«

Gaius nickte und strich sich achtlos über die Haare.

»Ist mein Vater schon wieder in die Stadt zurückgeritten?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Sein Vater hasste es, hilflos zu sein.

»Er ist bei Tagesanbruch aufgebrochen«, antwortete Tubruk.

Ohne ein weiteres Wort folgte Gaius ihm durch den kühlen Gang zu den Gemächern seiner Mutter.

Sie saß aufrecht im Bett. Ihr Gesicht war frisch gewaschen, ihr langes Haar hing ihr in einem Zopf über den Rücken. Sie war blass, doch sie lächelte, als Gaius eintrat und er schaffte es, zurückzulächeln.

»Komm näher, Gaius. Es tut mir Leid, wenn ich dir gestern Abend Angst gemacht habe.«

Er ging auf sie zu und ließ sich von ihr umarmen, aber er fühlte nichts dabei. Wie sollte er ihr erklären, dass er keine Angst mehr hatte? Er hatte es zu oft miterlebt, und jedes Mal war es schlimmer gewesen. Ein Teil von ihm wusste, dass sie immer kränker wurde, und eigentlich war sie schon dabei, ihn zu verlassen. Aber daran durfte er im Augenblick nicht denken; es war besser, diese Gedanken für sich zu behalten, zu lächeln, sie zu umarmen und ungerührt wieder hinauszugehen.

»Was hast du heute vor?«, fragte sie, als sie ihn losließ.

»Meine Arbeit mit Marcus erledigen«, antwortete er.

Sie nickte und schien ihn zu vergessen. Er wartete noch eine Weile, und als sie nichts mehr sagte, drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Als die kleine leere Stelle in ihren Gedanken verblasste und sie sich wieder im Raum umsah, war sie allein.

Marcus wartete bereits mit einem Vogelnetz am Tor auf ihn. Er sah seinem Freund in die Augen und schlug einen fröhlichen Ton an.

»Ich glaube, heute haben wir Glück. Wir fangen bestimmt einen Falken oder sogar zwei. Dann richten wir sie ab und sie sitzen uns auf der Schulter und greifen auf Befehl an. Suetonius rennt dann weg, wenn er uns sieht.«

Gaius kicherte und vertrieb die Gedanken an seine Mutter aus dem Kopf. Er vermisste seinen Vater schon jetzt, aber vor ihnen lag ein langer Tag, und im Wald gab es immer etwas zu erleben. Er zweifelte an Marcus’ Idee, Falken fangen zu gehen, doch er würde mitmachen, bis der Tag zu Ende und jeder Pfad abgelaufen war.