Julius nickte und straffte sein Rückgrat. Er wusste, dass die anderen ihn so sahen, wie er sich ihnen präsentierte. Wenn er mit gereckten Schultern und geradem Rücken daherkam, würden die Männer ihn ernst nehmen. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater den Jungen erklärt hatte, wie man Soldaten führt.
»Haltet das Kinn hoch und entschuldigt euch nicht, es sei denn, es ist absolut unumgänglich.
Dann tut es ganz kurz, laut und klar. Nicht wimmern, nicht bitten, niemals ins Schwärmen geraten. Denkt nach, ob ihr mit einem Mann reden wollt, und wenn ihr es tut, dann mit wenigen Worten. Männer respektieren die Schweigsamen; sie verachten die Schwätzer.«
Renius hatte ihm beigebracht, wie man einen Mann so rasch und so sicher wie möglich tötet. Wie man Treue und Vertrauen gewinnt, musste Julius noch lernen.
Langsam schritten sie einen Abschnitt der Mauer ab, blieben bei jedem Soldaten stehen, wechselten ein paar Worte und verbrachten ein paar Minuten länger mit dem für den Abschnitt Verantwortlichen, hörten sich Vorschläge und Anmerkungen an und zollten den Männern Anerkennung für ihre Einsatzbereitschaft.
Julius fing Blicke auf und erwiderte sie nickend. Die Soldaten grüßten ihn, wenn auch mit offensichtlicher Anspannung. Er blieb bei einem Mann mit ausladendem Brustkorb stehen, der gerade eine gewaltige, im Mauerwerk verankerte Armbrust justierte.
»Wie weit schießt das Ding?«
Der Soldat salutierte knapp.
»Mit dem Wind gut dreihundert Schritt, Herr.«
»Hervorragend. Kann man mit dieser Maschine auch zielen?«
»Ein bisschen, aber im Moment nicht sehr genau. In der Werkstatt arbeiten sie noch an einem drehbaren Sockel.«
»Sehr gut. Es sieht wahrhaftig tödlich aus.«
Der Soldat grinste stolz und wischte mit einem Lappen über den Spannmechanismus, mit dessen Hilfe sich die schweren Arme in Abschussposition biegen ließen.
»Sie, Herr. Etwas so Gefährliches kann nur weiblich sein.«
Julius lachte auf und musste unwillkürlich an Cornelia und seine schmerzenden Muskeln denken. »Wie heißt du, Soldat?«
»Trad Lepidus, Herr.«
»Ich werde darauf achten, wie viele Feinde sie niedermäht, Lepidus.«
Der Mann grinste wieder.
»Das dürften schon ein paar werden, Herr. Niemand betritt ohne die Erlaubnis des Legaten meine Stadt, Herr.«
»Guter Mann.«
Mit frisch gewonnenem Selbstvertrauen ging Julius weiter. Wenn alle Männer so standfest waren wie Trad Lepidus, gab es auf der ganzen Welt keine Armee, die Rom einnehmen konnte. Er holte seinen Onkel ein, der einen Schluck aus einer silbernen Flasche annahm und den Inhalt sofort wieder ausspuckte.
»Beim Mars! Was ist da drin? Essig?«
»Wenn ich so sagen darf, Herr, du bist wohl bessere Weine gewöhnt. Dieses Gebräu ist ein bisschen derb.«
»Derb! Na, wenigstens wird einem warm davon«, sagte Marius und setzte die Flasche noch einmal an. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Vorzüglich. Schick dem Quartiermeister morgen früh die Rechnung. Ich denke, ein kleines Fläschchen für jeden Offizier dürfte genau das Richtige für eine kalte Winternacht sein.«
»Gewiss, Herr«, antwortete der Mann und zog die Stirn ein wenig kraus, als er versuchte, den Profit auszurechnen, den er als einziger Lieferant für seine eigene Legion einstreichen würde.
Das Ergebnis erfreute ihn sichtlich, denn er salutierte frohgemut, als Julius an ihm vorbeiging. Schließlich erreichte Marius die Steintreppe, die zur Straße hinunterführte und das Ende dieses Abschnitts markierte. Julius hatte mit jedem der an die hundert Soldaten gesprochen oder ihm wenigstens zugenickt. Seine Gesichtsmuskeln fühlten sich steif an, trotzdem empfand auch er etwas von dem Stolz seines Onkels. Dies hier waren gute Männer, und es war gut zu wissen, dass sie bereit waren, auf seinen Befehl hin ihr Leben hinzugeben. Die Macht hatte etwas Verführerisches, und Julius erfreute sich an der Wärme ihres Abglanzes. Er verspürte eine wachsende Erregung, als er mit seiner Stadt auf Sullas Ankunft und das Hereinbrechen der Dunkelheit wartete.
Rings um die Stadt waren in regelmäßigen Abständen schlanke Türme an der Mauer aufgestellt worden. Bei Sonnenuntergang rief ein Posten von einem dieser Türme, und seine Nachricht pflanzte sich mit rasender Geschwindigkeit fort. Der Feind stand am Horizont und kam auf die Stadt zu marschiert. Die Tore wurden geschlossen.
»Endlich! Diese Warterei ging mir allmählich auf die Nerven«, brüllte Marius, der beim ersten warnenden Ton der Trompeten, deren klagender Ruf jetzt weithin über die Stadt schallte, aus seiner Unterkunft gestürmt kam.
Die Reserve ging in Position. Die wenigen Römer, die sich noch auf den Straßen aufhielten, eilten nach Hause und versperrten und verriegelten ihre Türen vor den Eindringlingen. Solange ihre Familien in Sicherheit waren, war es den Leuten ziemlich egal, wer die Stadt regierte.
Die Senatsversammlungen für diesen Tag waren abgesagt worden. Auch die Senatoren hielten sich in ihren hier und dort in der Stadt gelegenen palastartigen Häusern auf. Keiner von ihnen war nach Westen geflohen, obwohl einige ihre Familien auf entlegenere Landsitze geschickt hatten, um sie keinem unnötigen Risiko auszusetzen. Ein paar von ihnen erhoben sich mit angespanntem Lächeln, traten hinaus auf die Balkone und blickten zum klagenden Gesang der Hörner über die dunkler werdende Stadt zum Horizont. Andere lagen im Bad oder in ihren Betten und ließen sich von ihren Sklaven die vor Angst verspannten Muskeln kneten. In seiner gesamten Geschichte war Rom noch nie angegriffen worden. Die Stadt war immer viel zu stark gewesen. Sogar Hannibal hatte es vorgezogen, den römischen Legionen auf freiem Feld zu begegnen und es vermieden, ihre Mauern selbst anzugreifen. Es hatte eines Mannes wie Scipio bedurft, um seinen Kopf zu holen und den seines Bruders. Besaß Marius die gleichen Fähigkeiten, oder würde am Ende Sulla Rom in seiner blutigen Hand halten? Der eine oder andere Senator verbrannte Weihrauch für die Hausgötter auf seinem Privataltar. Sie hatten Marius unterstützt, als er seinen Einfluss auf Rom verstärkt hatte, waren gezwungen gewesen, sich in der Öffentlichkeit auf seine Seite zu schlagen. Viele hatten ihr Leben auf seinen Erfolg gesetzt. Und Sulla war nicht für seine Nachsicht bekannt.
28
Als sich die Nacht über die Stadt herabsenkte, wurden überall Fackeln angezündet. Julius fragte sich, welches Bild sich wohl den Göttern bot, die von oben herabsahen: Sah die Stadt für sie aus wie ein großes, schimmerndes Auge in der unermesslichen Weite des Landes? Wir blicken hinauf, während sie herabschauen, dachte er.
Er stand mit Cabera am Fuß der Mauer und lauschte den Neuigkeiten, die von den Aussichtsposten auf den Wällen herabgerufen und sofort bis tief in die Stadt weitergegeben wurden, eine Informationsader für diejenigen, die nichts sehen und nichts hören konnten. Durch die Rufe hörte er trotz des Lärms rings herum das Stampfen tausender marschierender bewaffneter Männer und Pferde. Es erfüllte die warme Nacht und wurde immer lauter.
Es bestand kein Zweifel mehr. Sulla führte seine Legion direkt die Via Sacra hinauf vor die Tore der Stadt, offensichtlich ohne versteckten Plan. Die Posten berichteten von einer von Fackeln beschienenen Menschenschlange, die sich meilenweit in die Dunkelheit erstreckte, bis ihr Schwanz hinter den Hügeln verschwand. Es war die Marschformation für befreundetes Territorium, nicht das vorsichtige Heranrücken an einen Feind. Die Kühnheit eines derartig sorglosen Marsches ließ einige Verteidiger die Stirn runzeln; man fragte sich, was um alles in der Welt Sulla vorhatte. Eines war sicher: Marius würde sich nicht durch demonstratives Selbstvertrauen einschüchtern lassen.
Als die Tore und Mauern der befestigten Stadt im Widerschein der Fackeln seiner Legion zu leuchten begannen, ballte Sulla vor Aufregung die Fäuste. Tausende Soldaten und noch einmal halb so viel, die für die Versorgung zuständig waren, marschierten weiter durch die Nacht. Es war ein rhythmisches, ohrenbetäubendes Geräusch, das Krachen der Füße auf der Steinstraße hallte bis in die Stadt und durch die ganze Nacht. Sullas Augen funkelten in den Flammen der Fackeln. Beiläufig hob er die rechte Hand. Das Signal wurde weitergeleitet, große Trompeten dröhnten in die Dunkelheit und lösten eine Kette von Antworten in der lang gezogenen Menschenschlange aus.