Ein vermummter Bote, der sich an ihm vorbeidrängte, riss ihn aus seinen Gedanken. Genau in diesem Augenblick veränderte sich alles. Mit aufkeimendem Entsetzen sah Julius, wie die Männer auf dem am nächsten gelegenen Mauerabschnitt plötzlich von hinten überwältigt wurden, von ihren eigenen Gefährten. Sie waren so auf die draußen wartende Legion fixiert, dass innerhalb weniger Sekunden Dutzende von ihnen zu Boden gingen. Wasserträger ließen ihre Eimer fallen und bohrten Dolche in die ihnen am nächsten stehenden Soldaten, töteten die Männer, bevor diese überhaupt bemerkten, dass sie angegriffen wurden.
»Bei den Göttern!«, flüsterte er. »Sie sind bereits in der Stadt!«
Als er seinen Gladius zückte und mehr spürte als sah, dass Tubruk dasselbe tat, sah er, wie ein flammender Pfeil, der in aller Ruhe in einer Kohlenpfanne entzündet worden war, fauchend in die Nacht geschossen wurde. Sobald er in hohem Bogen aufstieg, zerriss die mörderische Stille. Vor den Toren brüllte Sullas Legion auf, als wäre die Hölle aufgebrochen, und stürzte sich auf die Stadt.
Marius hatte in der Dunkelheit der Straße mit dem Rücken zur Mauer gestanden, als ihm das Entsetzen im Gesicht eines Zenturios aufgefallen war. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie der Mann die gekrümmten Finger in die Luft krallte, aufgespießt auf einem langen Dolch, der ihm in den Rücken gestoßen worden war.
»Was soll das? Beim Blut der Götter ...« Er holte tief Luft, um die Abschnitte links und rechts von ihm zu alarmieren und sah in diesem Augenblick, wie ein flammender Pfeil in die pechschwarze Dunkelheit der sternenlosen Nacht aufstieg.
»Zu mir! Die Erstgeborenen zum Tor! Haltet das Tor! Blast vollen Alarm! Sie kommen!«
Seine Stimme überschlug sich, doch die Trompetenbläser lagen bereits in ihrem eigenen Blut. Einer rang noch immer mit seinen Angreifern, hielt die dünne Bronzeröhre trotz der wütenden Stiche, die auf seinen Körper eindrangen, fest. Marius zückte das Schwert, das sich schon seit Generationen im Besitz seiner Familie befunden hatte. Sein Gesicht war schwarz vor Zorn. Die beiden Männer starben, und Marius setzte das Horn an die Lippen, schmeckte das Blut, das auf das Metall gespritzt war.
Rings um ihn her in der Dunkelheit antworteten weitere Hörner. Sulla hatte die ersten Momente der Schlacht gewonnen, doch Marius schwor, dass es damit noch nicht getan war.
Julius sah, dass die als Boten verkleidete Gruppe gut bewaffnet war und sich an dem Punkt zusammenzog, wo Marius mit der blutigen Trompete stand. Sein gezücktes Schwert war bereits dunkel von Blut. Hinter ihm ragte die Mauer auf, über die zuckende, von den Fackeln geworfene Schatten tanzten.
»Mir nach! Sie haben es in dem Durcheinander auf den Legaten abgesehen!«, knurrte er Tubruk und Cabera zu und fiel mit diesen Worten der sich zusammenrottenden Gruppe in den Rücken. Sein erster Hieb traf einen der rennenden Männer am Hals, gerade als sie langsamer wurden, um an mehreren kämpfenden Grüppchen vorbeizukommen. Endlich schienen Marius’ Leute erkannt zu haben, dass der Feind in Verkleidung auftrat, doch der Kampf gestaltete sich schwierig, weil in der Hitze des Gefechts niemand wusste, wer Freund und wer Feind war. Es war ein verheerender Trick, der die gesamte Organisation hinter den Stadtmauern in Chaos verwandelte. Julius zog seine Klinge über einen Beinmuskel, trampelte im Weiterlaufen auf den Körper des Fallenden und empfand eine tiefe Befriedigung, als er Knochen unter seinen Sandalen brechen und splittern fühlte. Zuerst wunderte er sich darüber, dass die Gruppe sich dem Kampf nicht stellte, doch dann wurde ihm rasch klar, dass sie Befehl hatte, Marius zu töten, und sich nicht um andere Gefahren kümmerte.
Mit einem gewaltigen Satz, der sie beide auf das harte Pflaster warf, brachte Tubruk noch einen der Männer zu Fall. Cabera streckte einen weiteren mit einem Dolchwurf nieder, der Sullas Mann in die Seite traf. Er geriet ins Taumeln, und Julius mähte ihn im Vorbeilaufen mit seiner Klinge nieder, nahm nur noch zufrieden wahr, wie sein Arm den Treffer registrierte und die Klinge wieder freikam.
Weiter vorne stand Marius immer noch allein mehreren dunkel gekleideten Gestalten gegenüber. Als sie erneut auf ihn eindrangen, brüllte er sie trotzig an, und mit einem Mal wusste Julius, dass er zu spät kam. Mehr als fünfzig Mann griffen den Legaten an. Alle seine Soldaten in diesem Abschnitt waren tot oder lagen im Sterben. Einer oder zwei schrieen noch ihre Enttäuschung hinaus, doch auch sie konnten seinen Onkel nicht mehr erreichen.
Marius spuckte Blut und Schleim und hob drohend das Schwert.
»Kommt schon, Jungs. Lasst mich nicht warten«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. Sein Zorn hatte immer noch die Oberhand über die Verzweiflung.
Julius spürte, wie ihn eine kräftige Faust energisch am Kragen packte und ihn zum Stehen brachte. Er schrie wütend auf, wirbelte herum und fühlte, wie sein Schwertarm zur Seite geschlagen wurde. Dann blickte er in Tubruks entschlossenes Gesicht.
»Nein, mein Junge. Es ist zu spät. Flieh, solange es noch geht.«
Wild fluchend wand sich Julius in seinem Griff.
»Lass los! Marius ist .«
»Ich weiß. Wir können ihm nicht mehr helfen.« Tubruks Gesicht war kalt und weiß. »Seine Männer sind zu weit weg. Uns haben sie einen Augenblick übersehen, aber es sind zu viele. Du musst am Leben bleiben, um ihn zu rächen, Gaius. Lebe!«
Julius drehte sich unter der Faust zur Seite und sah, wie Marius fünfzig Fuß von ihm entfernt unter einer wogenden Menge Leiber zu Boden ging, von denen einige nach seinen Hieben bereits schlaff und leblos waren. Die anderen schwangen Keulen, und er sah, dass sie wild auf den Legaten einschlugen und ihn mit besinnungsloser Grausamkeit niederknüppelten.
»Ich kann nicht davonlaufen«, sagte Julius.
Tubruk fluchte. »Nein. Aber du kannst dich zurückziehen. Diese Schlacht ist verloren. Die Stadt ist verloren. Sieh doch, Sullas Verräter stehen bereits an den Toren. Wenn wir jetzt nicht verschwinden, fallen wir der Legion in die Hände. Komm schon.« Ohne auf weitere Gegenrede zu warten, packte Tubruk den jungen Mann unter den Armen und zog ihn weg. Cabera schnappte sich den anderen Arm.
»Wir holen die Pferde und reiten durch die Stadt zu einem der anderen Tore. Dann zur Küste und zu einer Galeere der Legion. Du musst schleunigst weg. Nur wenige, die Marius unterstützt haben, dürften den Morgen erleben«, fuhr Tubruk erbittert fort.
Der junge Mann erschlaffte fast in seinem Griff, erstarrte jedoch kurz darauf fast vor Schreck, als in der Nacht immer mehr schwarze Schatten erwachten. Schwerter wurden an ihre Kehlen gedrückt, und Julius versteifte sich gegen den Schmerz, als ein Befehl die Nacht zerriss.
»Die nicht. Die kenne ich. Sulla hat gesagt, wir sollen sie am Leben lassen. Fesselt sie.«
Sie wehrten sich, doch sie konnten nichts dagegen tun.
Marius merkte, dass ihm jemand das Schwert aus der Hand riss, hörte wie aus weiter Ferne das Scheppern, mit dem es über die Steine schlitterte. Er spürte die dumpfen Schläge der Keulen nicht als Schmerz, sondern nur als Treffer, die seinen Kopf in dem Gedränge der vielen Körper hin- und herwarfen. Er spürte, wie eine Rippe mit einem eisigen Stich brach, dann wurde sein Arm verdreht, bis das Schultergelenk ausrenkte. Er kam kurz zu sich und versank dann wieder, als jemand auf seine Finger trat und sie brach. Wo waren seine Leute? Bestimmt waren sie schon unterwegs, um sein Leben zu retten. So hatte es nicht kommen sollen, so hatte er sein Ende nicht gesehen. Das war nicht der Mann, der an der Spitze eines großen Triumphzuges in Rom einzog, in Purpur gekleidet und Silbermünzen unter das Volk, das ihn liebte, verstreuend. Das hier war ein geschundenes Wesen, das Blut und Leben auf die scharfkantigen Steine hinauskeuchte und sich fragte, ob seine Männer ihm jemals zu Hilfe kommen würden, der sie alle liebte, wie ein Vater seine Kinder liebte.