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Er spürte, wie sein Kopf nach hinten gerissen wurde und wartete darauf, dass ihm jemand eine Klinge durch die Kehle zog. Es geschah nicht, und nach langen Sekunden der Qual konzentrierte sich sein Blick auf die bedrohliche schwarze Masse des Tores zur Via Sacra. Gestalten wimmelten darauf herum, in groteske Verkleidungen gehüllte Gestalten. Er sah, wie eine ganze Gruppe von Männern einen gewaltigen Balken anhoben, und dann das Fackellicht, das durch den Spalt hereinflackerte. Das große Tor schwang auf, und dahinter stand Sullas Legion, der Konsul selbst an ihrer Spitze, mit einem goldenen Reif, der sein Haar zurückhielt, gekleidet in eine weiße Toga und goldene Sandalen. Marius blinzelte Blut aus seinen Augen, und aus der Ferne hörte er das erneute Schmettern des Alarms, als die Erstgeborenen von überall aus der Stadt herbeigeströmt kamen, um ihren Legaten zu retten.

Sie kamen zu spät. Der Feind war bereits in der Stadt, er hatte verloren. Sie würden Rom niederbrennen, das wusste er. Niemand konnte sie jetzt noch aufhalten. Seine Verteidigungstruppen würden überwältigt werden, es würde ein blutiges Gemetzel geben, und die Stadt würde geplündert und zerstört werden. Falls Sulla morgen noch am Leben war, würde er einen Haufen Asche erben.

Der Griff in Marius’ Haar wurde fester und zog seinen Kopf höher, ein entfernter Schmerz unter den vielen anderen. Marius empfand eine kalte Wut auf den Mann, der jetzt im Gefühl seiner Macht auf ihn zugeschritten kam, aber dennoch war diese Wut mit einem gewissen Respekt für einen würdigen Gegner vermischt. Beurteilte man einen Mann nicht nach seinen Gegnern? Dann war Marius fürwahr ein großer Mann. Seine Gedanken, von den schweren Schlägen umnebelt, irrten hin und her. Er verlor das Bewusstsein, nur für ein paar Sekunden, wie er glaubte, und kam wieder zu sich, als ein Soldat mit einem brutalen Gesicht ihn auf die Wangen schlug und angesichts des Blutes, das dabei auf seine Hände spritzte, eine Grimasse zog. Er machte Anstalten, die Hand an seinem schmutzigen Gewand abzuwischen, doch eine kräftige Stimme gebot ihm Einhalt.

»Sieh dich vor, Soldat. Du hast das Blut des Marius an deinen Händen. Ich finde, ein wenig Respekt wäre angemessen.«

Der Mann blickte den Eroberer fassungslos an, dann wich er ein paar Schritte zurück in die immer größer werdende Menge der Soldaten und hielt die Hände steif von sich gestreckt.

»Nur so wenige begreifen, worum es letztendlich geht, habe ich Recht, Marius? Was es bedeutet, zu wahrer Größe geboren zu sein?« Sulla trat so vor ihn hin, dass Marius ihm ins Gesicht sehen konnte. Seine Augen sprühten vor einer Zufriedenheit, die Marius niemals wieder zu sehen gehofft hatte. Er wandte den Blick ab, räusperte Blut aus seiner Kehle herauf und ließ es über sein Kinn laufen. Er hatte keine Kraft mehr zum Spucken, und er verspürte auch kein Verlangen danach, kurz vor seinem Tod kluge Sprüche auszutauschen. Er fragte sich, ob Sulla wohl Metella verschonen würde, und wusste, dass er es wahrscheinlich nicht tun würde. Julius ... er hoffte, dass der Junge entkommen war, aber auch er gehörte wahrscheinlich zu den erkaltenden Leichen, die überall herumlagen.

Im Hintergrund schwoll der Schlachtenlärm an, und Marius hörte, wie seine Männer, die immer noch versuchten, sich zu ihm durchzukämpfen, seinen Namen brüllten. Er versuchte, keine Hoffnung in sich aufkeimen zu lassen; es war zu schmerzhaft. Sein Tod stand unmittelbar bevor. Seine Männer würden nur noch seinen Leichnam finden.

Sulla machte ein nachdenkliches Gesicht und klopfte sich mit dem Fingernagel gegen die Zähne. »Weißt du, jeden anderen Legaten würde ich einfach hinrichten lassen und dann mit der Legion über die Einstellung der Kampfhandlungen verhandeln. Schließlich bin ich Konsul und handele im Rahmen meiner Befugnisse. Es dürfte keine große Sache sein, den gegnerischen Truppen zu erlauben, sich aus der Stadt zurückzuziehen und an ihrer Statt meine Männer in die Stadtkaserne zu führen. Ich glaube jedoch, dass deine Männer bis zum letzten Mann weiterkämpfen, was auch Hunderten von meinen Legionären das Leben kosten würde. Bist du nicht der Legat des Volkes, der von den Erstgeborenen so verehrte?« Er tippte sich wieder auf die Zähne, und Marius bemühte sich, sich zu konzentrieren, den Schmerz und die Müdigkeit zu ignorieren, die ihn wieder in die Dunkelheit zu ziehen drohten.

»Bei dir, Marius, bedarf es einer besonderen Lösung. Hier mein Angebot. Kann er mich hören?«, fragte er einen Mann, den Marius nicht sehen konnte. Ein paar Ohrfeigen weckten ihn aus seiner Benommenheit.

»Bist du noch da? Sag deinen Männern, sie sollen meine rechtmäßige Autorität als Konsul von Rom anerkennen. Die Primigenia soll sich ergeben und meine Legion in die Stadt einziehen lassen, ohne Zwischenfälle und ohne neuerlichen Angriff. Wir sind sowieso schon drin, das weißt du. Wenn du das tust, erlaube ich dir, Rom mit deiner Frau zu verlassen, geschützt durch mein Wort und meine Ehre. Wenn du dich weigerst, bleibt keiner deiner Männer am Leben. Ich werde sie Straße für Straße vernichten, von Haus zu Haus, zusammen mit allen, die dir jemals einen Gefallen getan oder dich unterstützt haben, und ihren Frauen, Kindern und Sklaven. Kurz gesagt, ich werde deinen Namen aus den Annalen der Stadt löschen, bis es keinen Lebenden mehr gibt, der dich einmal Freund genannt hat. Verstehst du das, Marius? Stellt ihn hin und stützt ihn. Holt dem Mann Wasser, um seine Kehle zu kühlen.«

Marius hörte die Worte und versuchte, sie in seinen wirbelnden, bleiernen Gedanken festzuhalten. Er traute Sullas Ehre nicht weiter als er spucken konnte, aber immerhin wäre seine Legion gerettet. Natürlich würde man sie weit von Rom fortschicken und mit einer entwürdigenden Aufgabe betrauen, sie irgendwo im Norden Zinnminen gegen die bemalten Wilden verteidigen lassen, aber seine Männer würden am Leben bleiben. Er hatte viel aufs Spiel gesetzt und verloren. Bittere Verzweiflung erfasste ihn, nahm dem Schmerz die Schärfe, als sich im rohen Griff von Sullas Männern gebrochene Knochen in seinem Leib verschoben, Männern, die es noch ein Jahr zuvor nicht gewagt hätten, auch nur einen Finger gegen ihn zu rühren. Sein Arm hing leblos herab, fühlte sich taub an, als gehöre er nicht zu ihm, doch das spielte keine Rolle mehr. Ein letzter Gedanke hielt ihn davon ab, sofort zu sprechen. Sollte er das Ganze noch eine Weile hinauszögern, in der Hoffnung, dass seine Männer vielleicht doch noch durchbrachen und die Situation zu seinem Vorteil wendeten? Er drehte den Kopf und sah Sullas Männer in sämtliche Straßen ausschwärmen, erkannte, dass die Chance auf eine rasche Vergeltung dahin war. Von nun an gab es nur noch blutigen, verzweifelten Kampf, und ein Großteil seiner Legion stand noch immer auf den Mauern rings um die Stadt, alles andere als darauf vorbereitet, in den Kampf einzugreifen. Nein.

»Ich stimme dir zu. Mein Wort darauf. Lass den nächstbesten meiner Männer zu mir, damit ich den Befehl an sie weitergeben kann.«

Sulla nickte, doch in seinem Gesicht spiegelten sich alle möglichen Zweifel. »Wenn du die Unwahrheit sagst, müssen Tausende sterben. Deine Frau wird zu Tode gefoltert. Mach dem allen ein Ende. Bringt ihn her!«

Marius stöhnte vor Schmerz auf, als er aus dem Schatten der Mauer gezogen wurde, dorthin, wo das Klirren der Waffen am lautesten war.

Sulla nickte seinen Adjutanten zu. »Blast zum Einstellen der Kampfhandlungen«, blaffte er, wobei seine Stimme zum ersten Mal, seit Marius ihn erblickt hatte, einen Hauch von Nervosität verriet. Die Trompeter ließen das Signal ertönen, und sofort wichen die erste und zweite Reihe zwei Schritte vom Feind zurück, wo sie ihre Positionen mit blutigen Schwertern hielten.

Marius’ Legion hatte an der südöstlichen Seite die Mauern verlassen und schwärmte durch die Straßen herbei. Durch jede Gasse, jede Straße kamen sie in Massen heran, mit vor Wut und Blutgier leuchtenden Augen. Hinter ihnen drängten von Sekunde zu Sekunde mehr nach, während sich die Stadtmauern von ihren Verteidigern leerten. Als Marius zum Sprechen aufgerichtet wurde, erhob sich unter den Männern lautes Wutgeheul, ein animalischer Lärm, der nichts als Rache forderte. Sulla wich nicht davor zurück, doch die Muskeln um seine Augen spannten sich. Marius holte zum Sprechen tief Luft und spürte die Spitze eines Dolches im Rücken.