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Sie wies mit einer Hand zum Ufer, als wolle sie Fidelma ihre Gemeinschaft dort zeigen. »Ich bedaure meine ungehobelte Begrüßung. Wir leben in schwierigen Zeiten. Ich hatte erwartet, daß mir Broce jemanden schicken würde mit praktischer Erfahrung in, in .«

Fidelma lächelte freundlich, als sie zögerte.

»In der Aufklärung von Gewaltverbrechen? Im Lösen von Rätseln? Macht Euch darüber keine Sorgen, Mutter Oberin. Es gibt ein Sprichwort - usus multas res docet. Erfahrung lehrt viele Dinge. Durch meine Erfahrungen als Advokatin der Gerichtsbarkeit habe ich eine gewisse Befähigung für die Aufgabe erworben, an die Ihr denkt.«

Mit einem Grunzen trat Adnar vor. Er bemühte sich, sein Selbstvertrauen zurückzugewinnen, doch sobald ihm Fidelmas funkelnde grüne Augen begegne-ten, senkte er den Blick. In seiner Verlegenheit wirkte er ziemlich unbeholfen.

»Willkommen, Schwester Fidelma. Ich bin Adnar.«

Fidelma musterte ihn eingehend. Sie war nicht sicher, ob sie mochte, was sie sah. Der Mann sah zweifelsohne gut aus, doch sie fühlte sich stets unwohl, wenn sie mit stattlichen, selbstsicheren Männern konfrontiert war.

»Ich habe von Euch gehört. Ihr seid der bo-aire dieses Bezirks.« Fidelmas Stimme klang eisig. Tatsächlich genoß sie sein offensichtliches Unbehagen und schalt sich insgeheim dafür, sich an den Qualen eines anderen zu weiden. Das entsprach ganz und gar nicht den Lehren des Glaubens - aber schließlich war sie auch nur ein Mensch.

»Ich wollte Euch nicht, das heißt, ich ...«, begann Adnar.

»Ihr wolltet mich sprechen?« fragte Fidelma mit Unschuldsmiene.

Adnar blickte verdrießlich zu Äbtissin Draigen hinüber. Er schien seine Worte sorgfältig zu wählen, als er sich an Fidelma wandte.

»Schwester, ich bin hier bo-aire. Ich bin Ortsvorsteher und Friedensrichter im Zuständigkeitsbereich meines Häuptlings Gulban. Niemand in diesem Bezirk muß in Rechtsfragen um Unterstützung von außerhalb ersuchen. Wie dem auch sei, dies ist weder Zeit noch Ort, um solche Dinge zu besprechen. Dort seht Ihr meine Festung.« Er wies mit der Hand hinüber. »Ich möchte Euch einladen, heute abend mit mir zu speisen.«

Äbtissin Draigen überspielte einen Ausruf des Protestes durch lautes Husten.

»Ihr werdet heute abend in der Abtei erwartet, Schwester Fidelma, damit ich Euch ausführlich erklären kann, warum ich nach Euch geschickt habe«, sagte sie hastig.

Fidelma starrte von der Äbtissin zum Häuptling und schüttelte dann heftig den Kopf.

»Es ist wahr, meine erste Pflicht gilt der Abtei, Ad-nar«, erklärte sie ihm. »Aber ich komme morgen früh zu Euch zum Morgenmahl.«

Adnar wurde zornesrot und warf einen wütenden Blick auf die Äbtissin, deren Miene sich zu einem zufriedenen Lächeln verzogen hatte. Er nickte Fidelma kurz zu.

»Ich werde Euch erwarten, Schwester«, sagte er widerstrebend. Er wollte gerade gehen, zögerte jedoch und starrte hinüber zu dem gallischen Handelsschiff, als sehe er es jetzt zum ersten Mal. »Ihr pflegt einen merkwürdigen Umgang, Ross. Was ist mit dem Schiff, daß sein Kapitän Euch gebeten hat, es in diesen Hafen zu schleppen?«

Ross trat von einem Fuß auf den anderen.

»Ich bin nicht sicher, daß ich verstehe, was Ihr mit merkwürdigem Umgang meint?«

»Ihr pflegt Umgang mit einem gallischen Schiff. Ich habe Euer Abschleppseil gesehen, als Ihr in unseren Hafen einlieft. Was ist mit dem Kapitän? Kann er nicht alleine segeln? Egal, ich werde hinüberrudern und mit ihm reden.«

»Ihr werdet ihn nicht an Bord finden«, erwiderte Ross.

»Nicht an Bord?«

»So ist es«, bestätigte Fidelma. »Das Schiff wurde draußen vor der Küste entdeckt - verlassen.«

Wieder spiegelte sich Verblüffung in Adnars Miene.

»Dann haben wir sogar zwei Angelegenheiten zu besprechen, wenn Ihr morgen kommt.« Mit einem kurzen Nicken verabschiedete er sich von der Äbtissin und von Ross und kletterte rasch in sein Boot. Sie hörten, wie seine Männer ihre Ruder ins Wasser tauchten, und beobachteten schweigend, wie das Boot wieder zurück zur Küste glitt.

»Ein lästiger Kerl«, seufzte die Äbtissin. »Trotzdem, Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen, Schwester. Gestattet mir, Euch hinüber zur Abtei zu rudern und Euch alles zu erklären.«

Über ihre anmutigen Züge huschte ein Ausdruck der Verblüffung, als Fidelma den Kopf schüttelte.

»Ich komme erst heute abend in die Abtei, zur Abendmahlzeit, Mutter Oberin. Vorher muß ich mich noch um andere Dinge kümmern.«

»Andere Dinge?«

In Äbtissin Draigens Stimme schwang ein gefährlich mürrischer Unterton mit.

»Ich komme heute abend an Land«, wiederholte Fidelma ohne weitere Erklärung.

»Wie Ihr wünscht«, näselte die Äbtissin säuerlich. »Ihr werdet unsere Glocke zum Abendangelus läuten hören. Wir pflegen die Mahlzeit im Anschluß an die Gebete einzunehmen. Der Gong ertönt zwei Mal, bevor das Mahl beginnt.«

Ohne noch ein Wort zu verlieren, ging sie und kletterte in ihr Boot.

Ross verzog das Gesicht, beugte sich über die Reling und beobachtete, wie die Nonnen ihre Äbtissin über die Meerenge zurückruderten.

»Tja, Schwester, ich glaube nicht, daß Ihr viel Zuneigung geweckt habt, weder im Herzen der Äbtissin noch in dem des bo-aire.«

»Es ist nicht meine Aufgabe, Zuneigung zu wecken, Ross«, erwiderte Fidelma leise. »Und nun laßt uns auf das gallische Schiff zurückkehren.«

Gemeinsam mit Ross verbrachte Fidelma zwei Stunden auf dem Handelsschiff und durchsuchte es erneut von oben bis unten. Abgesehen von den getrockneten Blutflecken fanden sie keine weiteren Hinweise darauf, warum Besatzung und Ladung spurlos verschwunden waren. Nur Odar, der Steuermann, hatte noch etwas entdeckt. Gleich nachdem Fidelma und Ross an Bord auftauchten, sprach er sie an.

»Ich bitte um Verzeihung, Käpt’n, aber da ist etwas, was Ihr vielleicht sehen möchtet . «, begann er zögernd.

»Was denn?« Ross’ Tonfall klang nicht gerade ermutigend, doch Odar ließ nicht locker.

»Ich hörte Euch und die Schwester hier«, er deutete auf Fidelma, »darüber sprechen, wie gepflegt und ordentlich alles an Bord dieses Schiffes ist. Nun, zwei Dinge sind nicht in Ordnung.«

Fidelma wurde augenblicklich hellhörig.

»Erklärt Euch, Odar«, forderte sie ihn auf.

»Die Befestigungstaue, Schwester. Vorn und achtern. Die Befestigungstaue sind durchgeschnitten.«

Ross führte sie sofort zum nächsten Eichenpoller am Bug des Schiffes.

»Ich habe die Taue hier hängenlassen, damit Ihr Euch selbst ein Bild davon machen könnt«, erklärte Odar. »Ich habe sie erst bemerkt, als wir vor kurzem festmachten.«

Ross beugte sich zu der Stelle, an der das dicke Tauwerk aus Flachsfasern am Poller befestigt war, und begann das lose Tau, das über die Schiffswand baumelte, hochzuziehen. Nach etwa sechs Metern erschien das in zahllose Stränge zerfranste Tauende. Fidelma nahm es Ross aus der Hand und untersuchte es sorgfältig. Es war zweifelsfrei durchgeschnitten worden, wahrscheinlich mit einer Axt durchtrennt, zumindest schloß sie das aus der Art, wie die Flachsstränge ausgefranst waren, und aus der Stärke des Schiffstaues.

»Was ist mit dem anderen Vertäuungsseil?« fragte sie Odar.

»Sieht es genauso aus wie dieses?«

»Ja, aber schaut es Euch selbst an, Schwester«, antwortete der Seemann.

Fidelma dankte ihm, daß er sie darauf aufmerksam gemacht hatte, und ging nach hinten, um sich auf die Heckreling zu setzen. Niedergeschlagen starrte sie in die Ferne. Ross, der neben ihr stand, musterte sie verwundert. Er wußte, wann es besser war zu schweigen.

Schließlich stieß Fidelma einen Seufzer aus.

»Laßt uns zusammenfassen, was wir wissen«, begann sie.

»Was nicht sehr viel ist«, warf Ross ein.

»Trotzdem ... erstens, wir wissen, daß dies ein Handelsschiff aus Gallien ist.«