Mit gerunzelter Stirn ging sie den düsteren Korridor hinunter und öffnete die Tür.
Eine Schwester in mittleren Jahren schürte das Feuer unter dem bronzenen Kessel, in dem das Wasser schon dampfte, und richtete sich nun auf. Bei Fidelmas Erscheinen senkte sie hastig den Blick, faltete die Hände unter ihrem Gewand und neigte unterwürfig den Kopf.
»Bene vobis«, grüßte sie leise.
Fidelma betrat den Raum.
»Dens vobiscum«, erwiderte sie auf die lateinische Begrüßungsformel.
»Ich wußte nicht, daß es hier noch andere Gäste gibt.«
»Oh, die gibt es auch nicht. Ich bin die doirseor der Abtei, aber ich kümmere mich auch um das Gästehaus. Ich habe Euer Bad vorbereitet.«
Fidelmas Augen weiteten sich kaum merklich.
»Das ist sehr freundlich von Euch, Schwester.«
»Es ist meine Pflicht«, erwiderte die Ältere, ohne aufzublicken.
Fidelma ließ ihren prüfenden Blick durch das peinlich saubere Badezimmer schweifen. Die hölzerne Wanne stand bereit und war schon fast mit heißem Wasser gefüllt, und das Holzfeuer verbreitete wohlige Wärme im Raum. Die Luft war durchtränkt vom Duft frischer Kräuter. Ein Lappen aus Leinen war bereitgelegt, ebenso ein Stück sléic, parfümierte Seife. Daneben lagen ein Spiegel und ein Kamm sowie Tücher zum Abtrocknen. Alles wirkte gepflegt und ordentlich. Fidelma lächelte.
»Ihr erfüllt Eure Pflicht vorbildlich, Schwester. Wie ist Euer Name?«
»Ich bin Schwester Bronach«, entgegnete die andere.
»Bronach? Dann seid Ihr eine der beiden Schwestern, die den Leichnam gefunden haben.«
Die Augen der Nonne mieden Fidelmas Blick.
»Das stimmt, Schwester. Ich und Schwester Siomha fanden die Leiche.« Sie beugte rasch die Knie.
»Dann kann ich etwas Zeit sparen, Schwester, wenn Ihr mir darüber berichtet, während ich bade.«
»Während Ihr badet?« wiederholte sie mit mißbilligendem Unterton.
Fidelma wurde neugierig.
»Habt Ihr etwas dagegen?«
»Ich ...? Nein.«
Die Frau drehte sich um, hob mit erstaunlicher Kraft den bronzenen Kessel vom Feuer und goß das heiße Wasser in die halbvolle, dampfende Holzwanne.
»Euer Bad ist jetzt fertig, Schwester.«
»Sehr gut. Ich habe saubere Kleidung dabei und meinen ciorbholg.« Der ciorbholg war, wörtlich genommen, ein Kamm-Beutel, für irische Frauen ganz unentbehrlich, denn dann bewahrten sie nicht nur Kämme auf, sondern auch andere Toilettenartikel. Die alten Gesetze im Buch von Acaill legten sogar fest, daß eine Frau bei bestimmten Streitigkeiten nicht belangt wurde, wenn sie ihren »Kamm-Beutel« vorzeigen konnte und ihren Spinnrocken, einen gespaltenen Stock von etwa einem Meter Länge, von dem Wolle oder Flachs abgewickelt wurden. Die beiden Gegenstände galten als Symbole der Weiblichkeit.
Fidelma ging, um frische Kleider aus ihrer Tasche zu holen. Sie war sehr anspruchsvoll, was persönliche Reinlichkeit betraf, und hätte ihre Kleidung gerne regelmäßig gewaschen. Auf Ross’ kleinem Schiff hatte sie keine Möglichkeit dazu gehabt, so daß sie jetzt die Gelegenheit nutzte, um wenigstens die Kleider zu wechseln. Als sie zurückkehrte, erhitzte Schwester Bronach erneut Wasser auf dem Feuer.
»Wenn Ihr mir Eure getragenen Sachen reicht, Schwester«, erbot sie sich, »werde ich sie waschen, während Ihr badet. Sie können dann vor dem Feuer trocknen.«
Fidelma dankte ihr, doch wieder gelang es ihr nicht, Blickkontakt mit der bekümmerten Nonne aufzunehmen. Sie entledigte sich ihrer Kleidung, schauderte trotz des Feuers vor Kälte, glitt rasch in das verschwenderisch warme Badewasser und stieß einen tiefen Seufzer der Behaglichkeit aus.
Dann griff sie nach der sléic und begann sich einzuseifen. Schwester Bronach sammelte ihre abgelegten Kleidungsstücke ein und warf sie in den Bronzekessel.
»Also«, begann Fidelma, während sie im Schaum der parfümierten Seife schwelgte, »Ihr wolltet gerade erzählen, wie Ihr und Schwester Siomha die Tote gefunden habt?«
»So ist es, Schwester.«
»Und wer ist Schwester Siomha?«
»Sie ist die Verwalterin der Abtei, die rechtaire oder dispensator, wie das Amt in einigen der größeren Abteien auf Latein bezeichnet wird.«
»Erzählt mir, wann und wie Ihr die Tote gefunden habt.«
»Die Gemeinschaft war gerade beim Mittagsgebet, und der Gong verkündete den Beginn des dritten cadar. «
Das dritte Viertel des Tages begann am Mittag.
»Um diese Uhrzeit habe ich stets dafür zu sorgen, daß die persönliche Badewanne der Äbtissin rechtzeitig gefüllt wird. Sie zieht es vor, mittags zu baden. Das Wasser wird aus dem Hauptbrunnen geschöpft.«
Fidelma lehnte sich in der Wanne zurück.
»Hauptbrunnen?« fragte sie stirnrunzelnd. »Gibt es hier denn mehr als einen Brunnen?«
Bronach nickte düster.
»Sind wir nicht die Gemeinschaft Eo na d Tri d To-bar?« fragte sie.
»Der Lachs aus den Drei Quellen«, wiederholte Fidelma interessiert. »Aber das ist doch nur ein Sinnbild für den Namen Christi.«
»Selbst wenn, Schwester, es gibt an diesem Ort tatsächlich drei Quellen. Den geweihten Brunnen der Heiligen Necht, der Gründerin dieser Gemeinschaft, sowie zwei kleinere Quellen im Wald hinter der Abtei. Zur Zeit wird das gesamte Wasser von den Quellen im Wald geholt, denn Äbtissin Draigen hat noch nicht alle Reinigungszeremonien für den Hauptbrunnen ausgeführt.«
Fidelma war froh über diese Mitteilung, denn schon allein bei dem Gedanken, das Wasser zu trinken, in dem die enthauptete Tote gelegen hatte, ekelte es sie.
»Ihr gingt also zum Brunnen, um Wasser zu schöpfen?«
»Ja. Aber ich konnte die Seilwinde nur äußerst mühsam betätigen. Sie war schwer zu drehen. Später wurde mir klar, daß das am Gewicht der Toten lag. Als ich mich gerade nach Kräften mühte, den Wassereimer hochzuziehen, kam Schwester Siomha, um mich für meine Säumigkeit zu tadeln. Sie glaubte mir sicher nicht, daß ich Schwierigkeiten hatte.«
»Warum nicht?« fragte Fidelma aus der Wanne.
Die Nonne hörte auf, den großen Kessel mit Fidelmas Kleidern umzurühren, und dachte nach.
»Sie sagte, sie hätte dort erst vor kurzem Wasser geschöpft, und mit der Seilwinde sei alles in Ordnung gewesen.«
»Hatte sonst jemand an diesem Vormittag den Brunnen benutzt - entweder vor Schwester Siomha oder bevor Ihr dort Wasser holen wolltet?«
»Nein, das glaube ich nicht. Es gab vor dem Mittag keinen Grund, frisches Wasser zu schöpfen.«
»Erzählt weiter.«
»Nun, wir zogen beide mit aller Kraft, bis der Leichnam auftauchte.«
»Ihr wart natürlich beide sehr erschrocken?«
»Natürlich. Schließlich fehlte der Kopf. Wir hatten Angst.«
»Ist Euch sonst noch etwas an der Leiche aufgefallen?«
»Das Kruzifix? Ja. Und natürlich der Espenstab.«
»Der Espenstab?«
»Am linken Unterarm war ein Stab aus Espenholz festgebunden, in den Buchstaben in Ogham eingeritzt waren.«
»Und was habt Ihr Euch dabei gedacht?«
»Dabei gedacht?«
»Was bedeuteten die Zeichen? Ihr habt doch sicherlich genau erkannt, was dort stand.«
Bronach hob die Schultern.
»Ich kann zwar erkennen, daß es sich um Buchstaben der Oghamschrift handelt, wenn ich welche sehe, aber lesen kann ich sie nicht.«
»Hat Schwester Siomha sie gelesen?«
Bronach schüttelte den Kopf, hob den bronzenen Kessel vom Feuer, fischte die einzelnen Kleidungsstücke mit einem Stock heraus und legte sie in eine Wanne mit kaltem Wasser.