»Warum seid Ihr in die Abtei eingetreten? Wart Ihr an Büchern interessiert?«
Febal schüttelte den Kopf.
»Ich bin kein Schreiber. Mein Vater war Fischer. Er ist ertrunken. Ich wollte nicht so enden, deshalb trat ich in den Stand der Geistlichkeit ein, sobald ich das Alter der Reife erreicht hatte.«
»Ihr wart also hier, bevor Draigen auftauchte?«
»O Ja. Sie kam in die Abtei, als sie fünfzehn war, also bereits volljährig. Ihre Eltern waren beide gestorben, und so entschied sie sich für ein Leben im Kloster. Zumindest ist das die Geschichte, an die ich mich erinnere. Draigen erhielt ihre Erziehung und Ausbildung hier.«
»Und welche Stellung hattet Ihr damals inne?«
Febal reckte stolz die Brust.
»Ich war schon doirseor, der Pförtner der Abtei.«
»Eine Vertrauensstellung«, stimmte Fidelma zu. »Wie kam es, daß Draigen Eure Frau wurde?«
»Wie Ihr wißt, werden in einigen Klöstern die Mitglieder ermutigt, zu heiraten und ihre Kinder als gehorsame Diener Christi zu erziehen. Ich muß zugeben, ich fühlte mich zu Draigen hingezogen. Sie war hübsch und intelligent. Ich weiß allerdings nicht, was sie damals in mir gesehen hat, außer daß ich hier bereits eine verantwortungsvolle Stellung bekleidete.«
»Versucht Ihr mir gerade mitzuteilen, daß sie Euch womöglich nur wegen Eurer Position als doirseor geheiratet hat?«
»Das wäre ein ebensoguter Grund wie jeder andere.«
»Wie haben sich die Dinge verändert? Wie hat sich Draigen in ihre gegenwärtige Stellung hochgearbeitet? Und wie kam es zur Trennung zwischen Euch?«
Auf Febals Gesicht trat Verbitterung, wenn auch nur für einen Augenblick.
»Sie war listig wie eine Schlange«, zischte er. Bei der wortwörtlichen Wiederholung der Redewendung, die Draigen selbst nur wenige Stunden zuvor benutzt hatte, mußte Fidelma lächeln. »Die alte Mutter Oberin, Äbtissin Marga, war eine gütige, vertrauenswürdige Seele. Die Jahre gingen dahin, und Draigen wuchs heran. Oh, ich will gar nicht bestreiten, daß sie sehr klug ist. Die Bildung, die sie hier empfing, fiel bei ihr auf fruchtbaren Boden, und so lernte sie, die Tochter eines armen Bauern, fließend Griechisch, Latein und Hebräisch sowie unsere eigene Sprache, und sie kann all diese Sprachen mühelos lesen und schreiben. Sie kennt die Bibel in- und auswendig und kann Kapitel und Vers genauestens angeben. Sie ist ein kluger Kopf, doch dahinter verbirgt sich ein schlechter Charakter. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede.«
Febal hielt inne und verzog angewidert das Gesicht.
»Aber Ihr habt sie geheiratet«, ließ Fidelma nicht locker.
Febal blickte sie an.
»Ja, aber das muß nicht heißen, daß ihr Ehrgeiz mir gefiel. Sie hat die Grenzen übertreten, die sich für eine Frau geziemen.«
Fidelma zog die Mundwinkel nach unten.
»Welches sind denn diese Grenzen?« fragte sie schroff.
»Als Christin solltet Ihr das eigentlich wissen«, erwiderte Febal in selbstgefälligem Ton.
»Dann helft mir auf die Sprünge.« Ein empfindsamerer Mensch als er hätte den Ärger in ihrer Stimme vielleicht bemerkt.
»Schrieb nicht der heilige Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther: >Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde, denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern sie sollen untenan sein ... Wollen sie aber etwas lernen, so lasset sie daheim ihre Männer fragen. Es steht den Weibern übel an, in der Gemeinde zu reden.<«
»Ihr glaubt also, Frauen hätten in Abteien und Kirchen nichts zu suchen?« Fidelma hatte dieses Argument schon oft gehört.
»In der Kirche haben die Frauen den Männern zu gehorchen«, verkündete Bruder Febal. »Paulus sagt, ebenfalls in seinem Korintherbrief: >Der Mann aber ist des Weibes Haupt . Und der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen.< Und in seinem ersten Brief an Timotheus schrieb er: >Einem Weibe aber gestatte ich nicht, daß sie lehre, auch nicht, daß sie des Mannes Herr sei, sondern stille sei.< Kann man es noch deutlicher sagen?«
»Das sind die Worte eines ganz gewöhnlichen Mannes, des Paul von Tarsus«, bemerkte Fidelma trocken, »und nicht die Worte Christi. Aber ist es nicht um so erstaunlicher, daß diese Worte Euch nicht davon abhielten, in ein conhospitae einzutreten und darüberhinaus auch noch eine Nonne zu heiraten?«
Febals Augen glühten haßerfüllt.
»Ich war damals noch sehr jung. Doch Eurer Erwiderung entnehme ich, daß Ihr Paulus, der durch Christus die göttliche Erleuchtung empfing, das Recht absprecht, solche Dinge zu lehren?«
»Paulus war nicht Christus«, entgegnete Fidelma ruhig. »In unserem Land sind Männer und Frauen vor Gott gleich.«
Bruder Febal antwortete in spöttischem Tonfalclass="underline" »Der heilige Johannes Chrysostomus hat festgestellt, daß Frauen sich früher in der Lehre betätigen durften und dadurch alles verdarben. Das Christentum hat dem ein Ende bereitet. Augustinus von Hippo weist darauf hin, daß die Frau nicht als Ebenbild Gottes erschaffen wurde, der Mann dagegen voll und ganz dem Bilde Gottes entspricht.«
Fidelma sah Bruder Febal, dessen Gesicht vor Leidenschaft glühte, traurig an. Sie war schon vielen begegnet, die solche Argumente vorbrachten. Tatsächlich gab es in den fünf Königreichen Klöster, in denen die Anhänger des Neuen Glaubens die althergebrachten Gesetze in Frage stellten, ähnlich wie Draigen es tat.
»Soll das heißen, Bruder Febal«, fragte sie mit schneidender Stimme, »daß Ihr das Fénechus-Gesetz nicht anerkennt?«
Febals Augen wurden zu Schlitzen.
»Nur, sofern es mit den Grundlagen des Christentums übereinstimmt.«
»Und auf welche Grundlagen bezieht Ihr Euch?«
»Auf die Bußvorschriften des Finnian von Clonard und des Cummean Fata von Clonfert.«
Fidelma lächelte ironisch. Es war doch merkwürdig, daß Äbtissin Draigen nur wenige Stunden zuvor dieselben Bußvorschriften zitiert hatte - eine Reihe von kirchlichen Erlässen bezüglich der Leitung religiöser Gemeinschaften-, um ihre Sichtweise zu untermauern. Sonderbar, wie beide, Frau und Mann, so sehr sie sich auch auseinandergelebt hatten, in dieser Frage übereinstimmten. Zumindest kannte Fidelma jetzt die Gedanken, auf denen Bruder Febals Einstellungen basierten.
»Als Mann, der davon überzeugt ist, daß Frauen in der Kirche nichts zu suchen haben, hat es Euch doch sicherlich gestört, in einem conhospitae, einem gemischten Kloster, zu leben? Ich wundere mich immer noch, daß Ihr in eine solche Einrichtung eingetreten seid. Außerdem wundere ich mich, daß Ihr eine Heirat mit Draigen überhaupt in Betracht ziehen konntet.«
»Ich habe bereits gesagt, daß ich noch sehr jung war, als ich in die Abtei eintrat. Ich hatte die Bibel noch nicht vollständig gelesen und kannte die Werke von Finnian und Cummean noch nicht. Und anfangs war Draigen Ja ein ruhiges Mädchen, willig und gehorsam. Ich wußte nicht, daß sie nur den rechten Augenblick abwartete, daß sie lernte, soviel sie konnte, und unterdessen auf ihre Chance lauerte.«
»Ihre Chance - war das ihre Ernennung zur rechtaire? Habt Ihr damals den Entschluß gefaßt, die Ehe aufheben zu lassen?«
»Etwa ein Jahr nach unserer Heirat hörten wir auf, wie Mann und Frau zusammenzuleben. Jeder von uns ging seine eigenen Wege. Ich verabscheute sie, das will ich nicht leugnen. Ich war Pförtner, und als die alte rechtaire starb, hätte eigentlich ich ihre Nachfolge antreten sollen. Doch die betagte Äbtissin Marga hatte Draigen so sehr in ihr Herz geschlossen .«